Nicht allein in der SPD rumort es, auch in der CDU. Während es jedoch bei den Genossen drunter und drüber geht, weht in der Union der Parteivorsitzenden ein eher milder Wind ins Gesicht. Es sind zumeist einige Zaunkönige und ältere Heckenschützen, die sich an Angela Merkel bereits seit längerem abarbeiten.
Nach der Bundestagswahl stieß nicht wenigen Unionschristen das Fazit der CDU-Führerin auf, man habe im Wahlkampf eigentlich nichts falsch gemacht. Das schlechte Abschneiden der Union bei den Wählern war vielen Mitgliedern und insbesondere Funktionsträgern tief in die Knochen gefahren. Die exakte Analyse des 32 %-Ergebnisses wurde von Merkel am 24. September angekündigt, lässt indessen bis heute auf sich warten. Vielmehr weckte die CDU-Vorsitzende die Hoffnung auf ein Jamaika-Bündnis. Doch daraus wurde nach langen quälenden Sondierungen nichts, weil am Ende der FDP-Führer Christian Lindner sich nicht in die schwarz-grüne Kiste locken ließ. Nicht wenige Unionsmitglieder zeigten sich darüber froh, da so eine weitere Vergrünung der CDU und der Republik vermieden wurde. Vielmehr setzten CDU und CSU danach auf eine Neuauflage der Großen Koalition. Der Bundespräsident machte es möglich, dass die bereits auf Opposition getrimmte SPD eine Kehrtwende machte und mit der Union innerhalb einer Woche den Vorrat an Gemeinsamkeiten für die neue Legislaturperiode sondierte.
Wenig CDU im Papier der GroKo
Der Parteivorsitzende Martin Schulz und die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles mussten sich beim SPD-Parteitag mächtig ins Zeug legen, um schließlich 56 % der Delegierten für Koalitionsverhandlungen mit der Union zu begeistern. Nach gut einer Woche lag der Koalitionsvertrag mit über 170 Seiten vor. CDU, CSU und SPD hatten zum einen wichtige politische Vorhaben definiert, zum anderen wohlklingende Absichten formuliert. Allerdings fanden sich sowohl manche Unionschristen als auch noch mehr Genossen in den zahlreichen Kompromissformeln nicht wieder.
Martin Schulz konnte jedenfalls verkünden, dass der Koalitionsvertrag, über den die SPD-Mitglieder noch abstimmen müssen, „in einem großen Maße die sozialdemokratische Handschrift“ trägt. Schon das stieß vielen in der CDU sauer auf, denn sie waren davon ausgegangen, dass die Union mit ihren 32 % bei der Bundestagswahl wesentlich mehr hätte herausholen müssen als die SPD mit ihren 20 %. Nahezu kein Leuchtturm-Projekt, das Merkel & Co. im Wahlkampf angekündigt hatten, ist in dem Koalitionspapier zu finden. Wissenschaftler bestätigten mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz, dass rund 70 % im Koalitionspapier auf das Parteiprogramm der SPD zurückgehen.
Dennoch gab es Zustimmung seitens der CSU mit dem „passt schon“ von Horst Seehofer. Und bis auf ein gemäßigtes Murren des CDU-Wirtschaftsrates und einiger anderer in der Union gab es wenig Widerstand.
Enttäuschung über Ressortverteilung
Angela Merkel, so schien es, hatte diese wichtige Hürde ohne Blessuren genommen. Allerdings brach ein Sturm der Entrüstung über sie herein, als die Verteilung der Ressorts zwischen CDU, CSU und SPD öffentlich bekannt wurde. Dass sich Angela Merkel wichtige Ministerien, die bislang als Domäne der CDU angesehen wurden, abpressen ließ, verursachte beachtliche Unruhe in den Reihen. Denn nicht wenige kreideten ihr diese Nachgiebigkeit allein wegen ihres eigenen Interesses an: Es sei ihr einzig und allein darum gegangen, weiterhin Kanzlerin zu bleiben – und das um jeden Preis.
Als besonders schmerzlich empfanden nicht wenige CDU-Leute den Verlust des Finanzministeriums, aber auch des Innenministeriums.
Nach Wolfgang Schäuble soll der Sozialdemokrat Olaf Scholz in Zukunft die Verantwortung für die Finanzpolitik übernehmen; damit könnte er auch entscheidenden Einfluss auf die Währungs- und Schuldenpolitik der EU nehmen. Dass Horst Seehofer an die Spitze des Bundesinnenministeriums, das um die Heimat- und Baupolitik aufgewertet wird, rücken soll, hat manche in der CDU mehr erstaunt denn geärgert. Denn mit Seehofer würde jemand das Innenressort übernehmen, der nicht ein qualifizierter Jurist ist und doch insbesondere für die Wahrung der Verfassung, also des Grundgesetzes, Verantwortung trägt.
Die SPD hatte am Ende der Koalitionsgespräche der CDU-Chefin die Pistole auf die Brust gesetzt; Martin Schulz und seine Kombattanten forderten reiche Beute, mit der sie die SPD-Mitglieder bei dem anstehenden Votum zur Zustimmung verlocken wollen. So gestand Merkel den Sozialdemokraten nolens volens auch die Ministerien für Arbeit und Soziales, Justiz und Verbraucherschutz, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie das Auswärtige Amt zu. Dass die CDU im Gegenzug das Ministerium für Wirtschaft und Energie nach langer Zeit wieder für sich gewinnen konnte, wurde von den meisten Unionschristen nicht einmal als Trostpflaster angesehen.
Kakophonie der CDU-Kritiker
Nicht nur die Zugeständnisse bei der Verteilung der Ressorts wurden Angela Merkel angekreidet. Auch die sofort in den Medien gehandelten Personen, die die CDU- Ministerien führen sollen, wurden kritisch infrage gestellt. Der notwendige Generationswechsel sei nicht zu erkennen, die jüngere CDU-Riege komme nicht ausreichend zum Zuge und in der Partei setze Merkel ihren Kurs des „Weiter so“ fort. Aus der CDU meldeten sich die Granden früherer Zeiten zu Wort: Roland Koch, der nie Mut hatte, ins Bundeskabinett als Minister zu gehen und sich recht erfolglos als Wirtschaftsmanager versuchte, Friedrich Merz, der aus der aktiven Politik ausstieg und nie bereit war, sich im Wettbewerb bei der Wahl um den Partei- oder Fraktionsvorsitz gegen Angela Merkel zu stellen, sowie Wolfgang Bosbach, der als exzellenter Fachpolitiker in die Resignation flüchtete und fortan als kritischer Bild-Kolumnist aktiv ist.
Leichtgewichte für die Merkel-Nachfolge
Aus den Reihen der jüngeren Politiker der CDU meldeten sich Carsten Linnemann, der Chef der Mittelstandsvereinigung, Jens Spahn und Paul Ziemiak, der Vorsitzende der Jungen Union, eher mit mehr oder weniger kritischen Bemerkungen zu Wort. Mit Recht drängen sie vor allem darauf, dass die Parteispitze möglichst bald eine Antwort darauf gibt, wer die CDU in Zukunft führen soll. Dabei geht es vor allem darum, wer in einigen Jahren Angela Merkel nachfolgen kann – als Parteivorsitzende und auch als Kanzler-Kandidatin. In den Couloirs der CDU und in den Medien fehlt es nicht an Namen für Spitzenämter: Da werden Annegret Kramp-Karenbauer, Julia Klöckner, Daniel Günther und andere genannt – wohl wissend, dass sie alle noch reifen müssen, also einige Jahre brauchen, um in die großen Merkel-Schuhe zu passen.
Angela Merkel hat in diesen Tagen vollends begriffen, dass sie die Weichen für die Zukunft stellen muss. Ihre Signale in diese Richtung sind inzwischen eindeutig, da sie unter Druck steht. Zunächst will sie alles tun, um nochmals Kanzlerin zu werden. Mit einer Großen Koalition könnte sie nach so langer Zeit seit der Bundestagswahl wieder eine stabile Regierung und Parlamentsmehrheit mit 399 von 703 Abgeordneten bilden. Auf dem CDU-Parteitag am 26. Februar wird sie einige Nachwuchsleute präsentieren, die sie in politische Ämter für die nächste Zeit berufen will. Dazu zählt auch die wichtige Position des CDU-Generalsekretärs, für die Jens Spahn geradezu prädestiniert wäre. So wird es keine Revolte in der CDU geben, doch Angela Merkel wird mit größerer Beweglichkeit dem Druck der CDU-Basis begegnen.
Alternativen zur GroKo
Allerdings könnte sich das Tempo der notwendigen Veränderungen dann wesentlich verstärken, wenn die SPD-Mitglieder letztendlich die Neuauflage der Großen Koalition ablehnen sollten. Am 4. März wird das Ergebnis der Abstimmung bekannt sein. Schon wird von Merkel und ihren Getreuen die Bildung einer Minderheitsregierung durchgespielt – jedenfalls für eine gewisse Übergangszeit bis zur nächsten Bundestagswahl.
Sollte diese noch im Laufe des Jahres 2018 stattfinden, wird die CDU wieder auf Angela Merkel setzen, die auf der Popularitätsskala weit vor allen anderen aus der eigenen Partei und aus anderen Parteien führt. Die Zaunkönige, Besserwisser und Heckenschützen der CDU würden dann ganz schnell verstummen. Wie die demoskopische Lage in einigen Monaten aussehen wird, mag niemand vorauszusagen, doch aktuell bewegen sich die CDU/ CSU bei rund 30 %, die SPD deutlich unter 20 %. Mit Revolten, Chaos und Rankünen könnten die Volksparteien eher weiter an Gesicht verlieren.
Bis 2021 will Angela Merkel die CDU-Vorsitzende und möglichst auch Bundeskanzlerin bleiben, wenn ihr nun mit der GroKo die Bildung einer stabilen Regierung gelingen sollte. Noch ist niemand ernsthaft in Sicht, der ihr das streitig machen will. Allerdings hat Merkel begriffen, dass sie nun bald die Schar ihrer Möchtegern-Erben sichten und prüfen muss, um die Attraktivität der CDU programmatisch und personell zu steigern, um nicht zu einem Kanzlerwahl-Verein zu degenerieren. Sonst könnte es zu weiteren Erosionen der Parteienlandschaft kommen und schließlich der Platz ins Kanzleramt nicht mehr von der Union zu besetzen sein.
Bildquelle: Sven Mandel – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62213303