Wut und Trauer löste der rechtsextreme Anschlag in Halle nicht nur bei mir aus, auch Mitgefühl, aber auch die Entschlossenheit, die jetzt von der Politik gezeigt werden muss. Die wehrhafte Demokratie darf nicht länger nur ein Begriff für Sonntagsreden sein, jetzt muss sich unsere Demokratie als wehrhaft beweisen gegen ihre Feinde, damit geschützt wird, was und wen sie bedrohen. Wir müssen endlich gegen den Hass und die Hetze angehen, Beleidigungen und Todesdrohungen sind zu verfolgen und ihre Täter zur Verantwortung zu ziehen. Es stimmt ja, was die Bundeskanzlerin als Gefahr in die Worte kleidete, „dass aus Worten Taten werden“, oder wenn das Sagbare zum Machbaren erklärt wird. Das hasserfüllte Diskussionsklima im Netz und anderswo lieferte den Anstoss für den antisemitischen Terroranschlag in Halle und hat viele Demokraten erschreckt. Hört das denn nie auf?
Ich schäme mich, wenn ich im Bonner „Generalanzeiger“ lese, dass die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bonn, Margaret Traub, nach Halle mit den Worten zitiert wird: „Wir machen uns Sorgen, wir machen uns immer Sorgen.“ In welchem Land leben wir, dass man Juden empfiehlt, die Synagoge nicht als Gruppe, sondern höchstens zu zweit verlassen möge. 2019 in Bonn, einer bürgerlichen, sehr alten Stadt, in der Beethoven geboren wurde, auf deren altem Friedhof das Ehepaar Schumann liegt, eine Stadt, die über 40 Jahre Sitz von Bundestag und Bundesregierung war und diese Aufgaben mit Bravour und Herz geleistet hat, hier wurde das Fundament der Bundesrepublik gelegt. Und hier wird jüdischen Männern geraten, nicht mit der Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung in die Öffentlichkeit zu gehen. Ein Sicherheitsmitarbeiter der Synagoge, vor der fast immer ein Polizeiauto steht, sagt: „Das, was in Halle geschehen ist, erinnert uns daran, dass etwas passieren kann, nicht ob etwas passieren kann.“ Der Hass ist stärker geworden. So der Aufmacher im München-Teil der SZ.
Dass ein solcher Anschlag ausgerechnet in Deutschland passiert, dass die Gewalt gegen Juden in Deutschland immer mehr zunimmt, dass am Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungsfest, auf Menschen geschossen wird, ist für mich unfassbar. Und wir können von Glück reden, dass der Attentäter es nicht geschafft hatte, in die Synagoge einzudringen, er hatte vier Kilo Sprengstoff dabei, um das Haus in die Luft zu sprengen und die 51 jüdischen Frauen, Männer und Kinder zu ermorden. Sie hatten sich dort verbarrikadiert, die Tür hielt den Schüssen des Mörders stand. Welche Angst müssen diese Menschen gehabt haben? Es dauerte viele, zu viele Minuten, bis die Polizei am Ort des Geschehens eintraf, die Rede ist von 15 Minuten vom Anruf: „Bewaffneter Anschlag auf die Synagoge“ bis zum Erscheinen der Polizei. Überhaupt darf die Frage gestellt werden: Warum wurde die Synagoge am Jom Kippur nicht geschützt, warum war kein Streifenwagen dort postiert?
Der Bundespräsident wirkte entsetzt, bedrückt, vielleicht auch empört, dass so etwas in Deutschland geschieht. In einem Land mit dieser schrecklichen Nazi-Vergangenheit. 6 Millionen Juden haben die Nazis europaweit umgebracht, erschossen, vergast, erschlagen, verhungern lassen. Ich habe als Korrespondent der Augsburger Allgemeinen und der WAZ die Konzentrationslager Auschwitz, Theresienstadt, Treblinka, Mauthausen besucht, manchmal allein, manchmal als journalistischer Begleiter von Bundespräsidenten. Diese Orte des Schreckens zu erleben, die Kinderschuhe, ihre Spielzeuge, die Koffer, die Haare, Brillen, das was von den Toten übriggeblieben war, das alles hat mich sprachlos gemacht. Und natürlich hatte ich immer geglaubt, dass es nie wieder passieren würde, dass die Bundesrepublik ein sicherer Ort für Juden sein würde. Auf immer. Und jetzt das!
Es ist eine Schande
Es ist eine Schande für unser Land, sagt der Bundesinnenminister Horst Seehofer, dem man wie anderen Politikern die Betroffenheit ansieht. „Wir haben geschworen“, erinnert der CSU-Politiker an das, was die Bundesrepublik nach dem Ende des schrecklichen 2. Weltkriegs vor aller Welt betont hatte, dass nämlich die Juden in Deutschland ohne Angst und ohne Bedrohung würden leben können. Dies und das Existenzrecht Israels wurde Staatsräson der neuen deutschen Republik. Und jetzt das. In der „Süddeutschen Zeitung“ lese ich eine „Chronik der Schande“. Halle war beileibe kein Einzelfall, vielmehr reiht es sich ein in die unrühmliche Liste von antisemitischen Straften. Im Jahr 2018 wurden 1799 Straftaten registriert, im Jahr davor waren es 1504. Straftaten wie Beleidigungen, Bedrohungen, antisemitische Propaganda, Sachbeschädigungen. Am 13. Februar 1970 kamen bei einem Brandanschlag auf ein jüdisches Altenheim in München sieben Menschen ums Leben. Die Täter wurden bis heute nicht ermittelt. So die SZ. 1975 passierte ein Paketbombenanschlag auf den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski. Nach dessen Tod verübten unbekannte Täter Sprengstoffanschläge auf sein Grab in Berlin, das war 1998. Und diese Liste wird fortgeführt von der Zeitung mit dem Mord am jüdischen Verleger Lewin und seiner Lebensgefährtin Poeschke. Der Mörder heißt Uwe Behrendt, Anhänger der verbotenen „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Das war 1980. Und das Morden hört ebenso wenig auf wie Anschläge auf jüdische Synagogen wie in München und in Mainz oder ein Restaurant in Chemnitz im August 2018. Die SZ schreibt, „bei rechtsextremistischen Ausschreitungen sollen vermummte und schwarz gekleidete Täter ein jüdisches Restaurant mit Steinen, Flaschen und abgesägten Stahlrohren angegriffen haben und „Hau ab aus Deutschland , du Judensau“ gerufen haben.“ Im Juni diesen Jahres stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Terroristen wollen Angst und Schrecken verbreiten, sie wollen im Netz auf sich aufmerksam machen, geben dort ihre Pläne frühzeitig bekannt, die sie dann nach getaner Tat dort veröffentlichen, versehen mit so genannten Manifesten, die wirre Pamphlete sind, inhaltlich „Stuss“, wie das ZDF-Moderator Claus Kleber treffend formulierte in einem Gespräch mit einem Gewalt-Experten. Rechtsradikal sind die Texte, rassistisch, antisemitisch, auch frauenfeindlich, auch der Hass auf Schwule wird geschürt. Das Ganze ist menschenverachtend, voller Hass. Sie vernetzen sich in ihren Subkulturen im Netz, was in rasender Geschwindigkeit vor sich geht. Sie haben für sich erklärt, dass für sie keine Gesetze, Regeln oder Normen gelten, sie wollen beleidigen und hoffen auf ein Lob Gleichgesinnter. Der Täter von Halle schimpfte sich im Grunde selber als Versager, für ihn waren die Amokläufer und Terroristen von Christchurch und von München Helden, Vorbilder. Man kann es nicht fassen.
Aber das darf es nicht gewesen sein, der Kampf gegen den Hass, die Hetze, gegen den Antisemitismus muss verstärkt werden. Seehofer darf es nicht bei Worten belassen, wonach man mit „Biss“ gegen die Feinde der freiheilich demokratischen Ordnung angehen werde.
Es muss endlich Schluß sein, dass man die Gefahr von Rechts, ja die braune Pest nicht ernst nimmt. Viel zu lange hat man den zunehmenden Antisemitismus und Rechtsextremismus auf die leichte Schulter genommen, man wollte das offensichtlich nicht wahrhaben. Wie sonst ist zu erklären, dass die NSU-Mörder jahrelang unerkannt durch die Republik ziehen und morden konnten! Wie lange schon müssen wir uns Umzüge von Rechtsextremisten in Springerstiefeln und Parolen brüllend im Fernsehen ansehen? Wie lange wird zugeschaut, wie die rechte Szene wächst und wächst und sich auch mit Waffen ausrüstet? Wie lange schon lassen wir uns den Hass im Netz gefallen, ohne dass dagegen etwas unternommen wird? Warum wurde gegen Pegida nicht eingegriffen, als Demonstranten Plakate mit Merkel und Gabriel am Galgen zeigten? Warum nur, warum?
Der Feind steht rechts
Die Polizei und die Justiz aufzustocken ist das eine, aber das Personal daraufhin zu überprüfen, inwieweit es Sympathien für die rechte Szene entwickelt oder diese sogar unterstützt, ist das andere. Deren Ausbildung zu verbessern, damit sie wissen, wer der Feind dieser Gesellschaft ist. Dass dieser Feind rechts steht und diesen Staat bekämpft. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier stellte einen Zusammenhang her zwischen Terroranschlag und dem teilweisen Hass und der Hetze. Wer Hass schüre und demokratische Institutionen verächtlich mache, der mache sich mitschuldig. Wörtlich forderte er dazu auf: „Diejenigen, die bisher geschwiegen haben, die müssen sich äußern. “ Den Aufstand der Anständigen hatten der damalige Kanzler Gerhard Schröder(SPD) und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Spiegel, vor Jahren aus gegebenem Anlass gefordert.
Steinmeier und Merkel ließen offen, wen sie mit ihrer Kritik gemeint haben, ihre Anspielungen wurden von Bayerns Innenminister Joachim Hermann(CSU) präzisiert. Hermann griff die rechtspopulistische AfD an. „Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige der AfD-Vertreter in unverschämter Weise aufgefallen“. Der CSU-Politiker nannte ausdrücklich Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, wo Höcke nach Umfragen mit rund 20 Prozent rechnen kann. Höcke hatte vor Jahren das Holocaust-Mahnmal in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet. Man könnte auch AfD-Chef Gauland erwähnen, der die Nazi-Zeit mit ihren Kapital-Verbrechen an Juden, Christen, Sozialdemokraten und Kommunisten als „Vogelschiss“ in der großen deutschen Geschichte abgetan hatte.
Blumen, Lichter, Menschenketten, Solidaritäts-Bekundungen. Alle müssen zusammenstehen, alle Demokraten. Wir brauchen eine starke, wachsame Zivilgesellschaft, die darauf achtet, dass nicht kaputt gemacht wird, was in über 70 Jahren auf den Ruinen des von den Nazis angezettelten Weltkriegs mühsam aufgebaut worden ist. Der demokratische Staat ist in Gefahr, wenn wir nicht aufpassen. Und dieser Staat sind wir. Wir sind das Volk.
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