In der Kunst des Kompromisses sind Theresa May und Jeremy Corbyn nicht geübt. Woche für Woche stehen sie sich im britischen Parlament, dem Unterhaus, gegenüber, keifen und fauchen einander an, die Blicke feindselig, die Körpersprache konfrontativ. Jetzt also sollen sie an einem Strang ziehen. Das ist ungewöhnlich, ein Akt der Verzweiflung für die Premierministerin, die weiter für ihren schon dreimal abgelehnten Brexit-Vertrag kämpft, ein Drahtseilakt für den Oppositionsführer, der Gefahr läuft, beim nächsten Scheitern den Schwarzen Peter zu bekommen.
Was für eine furchtbare Entwicklung. Als wäre der 2016 per Volksabstimmung beschlossene Austritt aus der Europäischen Union nicht schrecklich genug, wächst sich der Brexit zu einem Unheil aus, das immer mehr zerstörerische Kraft entfaltet. Es droht ein Austritt Großbritanniens ohne Vertrag, ein harter und chaotischer Brexit mit unkalkulierbaren Risiken. Eine breite Mehrheit im Unterhaus hat sich gegen dieses Szenario ausgesprochen, es aber abzuwenden, gelingt nicht. Das Parlament wirkt ohnmächtig, wie gelähmt, kraftlos und unfähig. Ein desolates Bild für das Herz einer Demokratie. Das traditionsreiche politische System Großbritanniens steht vor dem Ruin. Es droht an der Bewährungsprobe Brexit zu scheitern.
Es gibt nichts Richtiges im Falschen. Das politische System ist schlicht der Aufgabe nicht gewachsen, eine historische Fehlentscheidung in die Realität umzusetzen. Nichts ist, wie es früher war, die herkömmlichen Muster der britischen Politik funktionieren nicht mehr. Das hat Theresa May sehr spät, womöglich zu spät eingesehen.
Der von der konservativen Regierungschefin mit Brüssel ausgehandelte Vertrag fand bisher im Parlament keine Mehrheit. Er scheiterte an den Hardlinern in ihrer eigenen Partei und an den nordirischen DUP-Abgeordneten, auf die May ihre Regierungsmehrheit stützt. Wertvolle Zeit hat sie darauf vergeudet, die eigenen Parteifreunde zu bewegen, die auf einen harten Brexit spekulieren und sie von Anfang an doch nur scheitern sehen wollten. Viel zu lange hat May das Parlament ignoriert, und als das endlich selbst die Initiative ergriff und eigene Wege suchte, fielen alle Alternativen durch.
Die Fronten verhärtet, die Lager gefestigt, die Konservativen zerstritten, auch die Labour-Opposition nicht einer Meinung: Jetzt schert sich May nicht länger um die Scharfmacher unter den Torys und sucht das Gespräch mit Corbyn. In der Sache könnte das auf einen weichen Brexit hinauslaufen. Der Labour-Antrag für einen Verbleib in der Zollunion könnte die Kompromisslinie vorgeben. Doch die Zeit drängt. Nach dem ersten Aufschub wird ein zweiter nötig. Nicht der 29. März, nicht der 12. April, vielleicht wird der 22. Mai der historische Tag des Brexits. Oder ein viel fernerer Tag, nach den Europawahlen Ende Mai, zu denen dann auch britische Abgeordnete gewählt werden müssten.
Ob sich May und Corbyn einigen können? Ob ein Kompromiss die nötige Mehrheit bekommt? Ob die Europäische Union sich weiter in Geduld übt? Alles Spekulieren hilft nicht. In wenigen Tagen kommen die Europäer zu einem Sondergipfel zusammen. Dann wird sich zeigen, was Theresa May zu bieten hat. Das Vernünftigste freilich wäre ein Rückruf, eine Absage des Brexits, wie sie London jederzeit einseitig möglich wäre. Allerdings hat Vernunft in dem Verfahren von Anfang an nicht die entscheidende Rolle gespielt.
Bildquelle: Wikipedia, Robert Mandel, UK, CC BY 4.0
'Sagt den Brexit ab!' hat keine Kommentare
Als erste/r kommentieren