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Scholz fährt und führt auf Sicht – der Krieg Putins gegen die Ukraine dauert nun schon 100 Tage

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
3. Juni 2022
Ukraine Flagge

100 Tage dauert nun schon der Krieg, den Russlands Präsident und Diktator Wladimir Putin gegen das einstige Brudervolk in der Ukraine führt. Mit aller Härte und Bestialität will er vernichten, was man ihm niemals freiwillig übergeben will. Tod und Zerstörung bringt der Krieg mit sich, in den Europa, der Westen, Deutschland nicht hineingezogen werden wollen, bloß keinen dritten Weltkrieg, keinen Atomkrieg, so hat es auch Bundeskanzler Olaf Scholz formuliert. Deutschland unterstützt Kiew aber mit Waffen und Geld, damit Russland den Krieg nicht gewinnt. Putin, so Scholz, darf diesen Krieg nicht gewinnen. Präsident Selenskyi fordert fast täglich neue, modernste Waffen im Kampf gegen die Übermacht aus Moskau.

„Modernste Waffen für die Ukraine“, so der Aufmacher der SZ nach der Bundestags-Debatte mit dem Kanzler Olaf Scholz und dem Oppositionsführer Friedrich Merz. „Raketenwerfer für die Ukraine“, jubelte der Bonner Generalanzeiger, interpretiere ich den Titel des Blattes. Endlich, kann man da raushören, hat der Kanzler nachgegeben, nachgerüstet, schickt er die schweren Waffen in den Krieg der Ukraine gegen Russland. Die selbst ernannten Waffenexperten unter den Journalisten und Politikern fühlen sich bestätigt. Merz habe Scholz dazu gebracht, getrieben, ihn wach geküsst, ihn aus der Reserve gelockt. Das Kriegsgeschrei kann einem auf die Nerven gehen, wenn man diesen Tonfall hört und dies seit Wochen.

Auch die Grünen sind dabei, an der Spitze einer wie Toni Hofreiter, eigentlich ein Biologe, der aber längst die Seiten gewechselt hat und in der Waffen-Welt zu Hause ist. Die Basis der Grünen-Partei, die man gelegentlich nur erschrocken bis ängstlich vernimmt ob des Kurses, soll dann wohl beruhigt werden durch den Satz aus der Reihe der Grünen Altvorderen. Claudia Roth, heutige Kulturstaatsministerin, betont in der „Frankfurter Rundschau“: „Die Grünen waren nie eine pazifistische Partei.“ Na ja, das habe ich trotz eines gelernten Straßenkämpfers vom Typ Joschka Fischer, der dann in den Blaumann des Außenministers schlüpfte, schon mal anders gehört von der Seite. Aber die Zeiten, sie ändern sich. Aus Grün wird eben Oliv-Grün. Man beobachte die forsche Außenministerin Annalena Baerbock. Aber damit wir uns nicht vertun: Im neuesten Deutschlandtrend von infratest/dimap für die ARD haben Baerbock und der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck höchste Zustimmungswerte, liegt die Union vorn, verliert die SPD an Zustimmung. Wegen Scholz´zögerlicher Politik gegenüber Russland? Oder wegen seiner Verteidigungsministerin Lambrecht, die nicht so recht präsent wirkt im wichtigsten Amt der Ampel-Regierung?

Merz wirkt überdreht

Eine „Selbstbefreiung“ feiert der Leitartikler der SZ den Auftritt des Kanzlers im Bundestag beim sogenannten Duell zwischen dem Chef der Regierung und dem Vormann der Opposition. Friedrich Merz tritt so auf, als wolle er nachholen, was ihm über viele Jahre durch die lange Kanzlerschaft Angela Merkels verwehrt worden war. Und dass jetzt ein Sozialdemokrat Kanzler ist und nicht er, der Christdemokrat, sieht er ohnehin als einen Betriebsunfall, den er am liebsten sofort korrigieren möchte. Er wirkt seit längerem überdreht, der Mann, der in der Vergangenheit viele Abstimmungen innerhalb der CDU verloren hatte, ehe er es doch noch an die Spitze der Union schaffte. Scholz ließ ihn kommen und ihn dann abtropfen im sogenannten Hohen Haus, stellte einige Dinge klar und die Union in die Ecke der Schuldigen, was den Zustand der heruntergekommenen Bundeswehr angeht. Die Verteidigungsminister unter Merkel waren samt und sonders von der CDU und CSU. Da musste der Sauerländer schlucken. Scholz kann Angriff.

Aber auch das stimmt: die CDU ist wieder da, sie hat zwei wichtige Landtagswahlen gewonnen, darunter die in NRW, das mal zu den Stammlanden der SPD gehörte. Man spürt das am gewachsenen Selbstvertrauen in den Reihen der Christdemokraten. Ganz nebenbei haben sie gerade  in Hessen den Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten von Volker Bouffier zu Boris Rhein problemlos hingekriegt, auch in Wiesbaden regiert Schwarz-Grün seit Jahren ruhig. Wer erinnert sich noch an das rote Hessen? Wenn nicht alles täuscht, wird es neben Hessen zwei Schwarz-Grün regierte Regierungen geben in Kiel und in Düsseldorf. Dazu Grün-Schwarz in Stuttgart. Es läuft. Merz kann zufrieden sein.

Die SPD dagegen hat mit einer Ampel zu tun und mit riesigen Problemen, von der Pandemie über den Krieg bis zu den Krisen, die von demselben ausgelöst werden. Vieles wird teurer, das Geld in der Familienkasse wird knapp und es trifft wie immer zuerst die Armen. Aber auch der Mittelstand stöhnt, diejenigen, denen es bisher gut ging, befürchten, dass sie absteigen könnten, dass sie schauen müssen, wie sie und ihre Kinder über die Runden kommen. Sprit ist sündteuer geworden. Wer täglich fährt, spürt das im Geldbeutel. Existenzen stehen auf dem Spiel, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit, für die SPD eine fundamentale, wird gestellt.

Melnyks Auftritte bringen Quote

Zurück zu den Waffen: Aufschlussreich die Reaktion der Waffen-und Kriegs-Experten unter den Journalisten, die den Kanzler seit Monaten als Zauderer und Zögerer mehr als kritisieren und dabei den Eindruck erwecken, als könnten sie nicht früh genug darüber schreiben, wie der Westen stärker eingreift in den Krieg gegen die Russen, mit schweren Waffen, was immer das heißt. Ob sie wissen, worüber sie schreiben? Wie gefährlich diese Waffen sind? Dieselben Journalisten schleppen den ukrainischen Botschafter Melnyk gern von einer Talkshow in die andere, weil er Scholz attackiert und auf den Putz haut. Das bringt Quote. Und diese Meinungsmacher hören nicht auf zu fordern, die Ukraine müsse diesen Krieg gewinnen. Gerade so, als ob das kleine Land dies gegen die Übermacht aus Moskau könnte!

Henry Kissinger, den man mit seinen 99 Jahren zu Recht als großen alten Mann aus den USA nennen darf, dessen Eltern mit dem Sohn zur Nazi-Zeit die fränkische Heimat in Fürth verließen, weil die Bedrohung durch die Nazis immer stärker wurde- seine Mutter Paula war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Viehhändlers aus Leutershausen bei Ansbach- derselbe Kissinger, der später Außenminister wurde in Washington, musste sich jetzt anhören auf dem Forum in Davos, dass er mit seiner Meinung, die Ukraine könne diesen Krieg nicht gewinnen gegen die Weltmacht Russland, an die Zeit erinnere 1938, da der Westen Hitler entgegenkam, nachgab, weil Chamberlain und Co.  den Krieg scheuten. Dieser Kissinger hat, nachzulesen in einer neuen Biografie, gesagt: „Viele meiner Familienangehörigen und etwa 70 vh der Menschen, mit denen ich zur Schule ging, starben in Konzentrationslagern.“ Dieser Kissinger hat die oben erwähnte Realität beschrieben und damit auch die Lage der Ukraine. Deren Soldaten mögen noch so tapfer kämpfen, aber dass sie diesen Krieg gewinnen gegen Russland, ist doch mehr als unwahrscheinlich. Zumal Putin als letzte Waffe die Atombombe hat. Und weil das so ist, wird man auch nicht davon ausgehen können, dass sich Russland auf absehbare Zeit aus dem Donbass und der Krim zurückziehen wird. So ähnlich kann man Kissinger, diese Jahrhundert-Persönlichkeit, interpretieren. Nicht, weil er sich das wünscht, sondern weil er kein Träumer ist. Und trotz allem musste er sich vom ukrainischen Präsidenten Selenskyi anhören, das sei Appeasement-Politik wie 1938.

Putin darf nicht gewinnen

Ähnlich wie Henry Kissinger redet der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz: Russland darf den Krieg nicht gewinnen, hat er gesagt. Mehrfach. Und der Ukraine Unterstützung zugesagt, Waffen, Geld und jede Art der Solidarität des Westens. Scholz hat Putin als Kriegstreiber angegriffen, der „seinen Krieg nicht gewinnen“ dürfe. So Scholz. Was soll daran falsch sein? Das Ziel muss doch sein, die Ukraine so zu stärken, dass es eines nicht zu fernen Tages zu einer Art Waffenstillstand kommt. Zu Verhandlungen, um diesen Krieg zu beenden. Damit das Töten ein Ende hat. Was Scholz und Kissinger nicht gesagt haben: Russland kann diesen Krieg nicht verlieren. Es wird sich nicht zurückziehen aus dem Donbass, der Krim. Wie immer später der Status dieser Region heißen wird. Und auch dies gehört hierher: Solange es Putin gibt als Präsidenten von Russland, wird man mit ihm reden müssen, mit ihm telefonieren. Mit wem sonst? Man muss es versuchen, immer wieder, wie Scholz und Macron es gerade wieder taten. Wir leben doch alle mit der Hoffnung, dass es irgendwann ein Russland ohne Putin geben wird, mit dem man reden kann, leben, Verträge schließen. Ich wiederhole mich: Ohne Russland wird es in Europa keine Sicherheit geben, keinen Frieden. Die Entspannungspolitik von Willy Brandt war nicht falsch.

Der Westen wird nicht mit Soldaten und Panzern einmarschieren, wie das Mathias Döpfner, Springer-Chef, vor Wochen in der Bild-Zeitung gefordert hat. Unverantwortlich war das. Der Westen wird kein aktiver Kriegsteilnehmer, er will die Gefahr eines Dritten Weltkriegs vermeiden. Da sind sich alle einig in der Nato, der EU. Scholz agiert nicht allein, sondern im Geleitzug des Westens, in Abstimmung mit Amerika, mit Frankreich, der Nato. Und Scholz wird das nicht sagen, was der Kommentator der SZ gegen Ende seines Leitartikels vom deutschen Kanzler wohl erwartet: „Dass die Ukraine den Krieg gewinnen soll.“ Das wird er nicht sagen. Er wird in Kauf nehmen, dass man ihm immer mal zurufen wird: Das reicht nicht, nicht mal das Sondervermögen. Verbale Muskelspiele. Dabei ist Krieg in Europa. Zündeln sollte man nicht, weil daraus schnell ein Feuer wird, ein Flächenbrand. Mir ist ein Scholz lieber, der besonnen bleibt, meinetwegen zaghaft. Kriegsgeschrei haben wir schon genug.

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Tags: Angriffswaffen für UkraineFriedenslösungen UkraineOlaf ScholzPutins KriegUkraine-KriegWaffenlieferungen
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