Welche Gedanken kommen Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, in den Sinn, wenn Sie das Wort „sozial“ hören? Deutsche mit einer Neigung zur Sozialdemokratie denken an soziale Gerechtigkeit, an August Bebel, Hubertus Heil, neuerdings auch an Bärbel Bas und an die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Deutsche aus dem Umfeld von CDU und CSU denken eher an die Caritas, an Adolf Kolping, Hans Katzer und Norbert Blüm.
Hierzulande hat der Begriff – und da unterscheiden sich SPD-Genossen nicht von Unions-Christen – oft eine ethisch-normative Bedeutung, also im Sinne von „gemeinwohlorientiert“ oder „für die Schwächeren eintretend“.
Ganz anders das amerikanische „social“: Es meint vor allem gesellschaftliches Miteinander, zwischenmenschliche Kontakte, die Ebene der Kommunikation. Ein „social event“ ist ein geselliges oder gesellschaftliches Zusammensein – nicht aber etwa ein Treffen der Caritas oder der AWO.
Insofern ist die einfache Übersetzung von „social media“ mit „soziale Medien“ eine Irreführung. Sie suggeriert im Deutschen etwas, das im amerikanischen Sprachgebrauch gar nicht gemeint ist.
Meinen wir wirklich „sozial“ – oder nur vernetzt, sichtbar, öffentlich?
Es geht nicht um positiv dargestellte Phänomene, sondern tatsächlich um vernetzte Kommunikation – um eine digitale Bühne, auf der alle mit gleichem Recht auftreten und auftreten dürfen. Ohne Regisseur oder Chefredakteur, die als Katalysatoren wirken könnten.
„Soziale Medien“ – das ist im Deutschen positiv besetzt, auch wenn sich diese Konnotation in der Wirklichkeit des Netzes kaum wiederfindet.
Denn dort, im Netz, herrschen die „Gesetze“ des digitalen Dschungels: Dort werden Hass und Zwietracht gesät, dort gibt es Mobbing, Rufmord, Verfolgung. Ein digitaler Shitstorm ist keine abgewogene Meinungsäußerung, sondern eher der unkontrollierte Stuhlgang eines digitalen Mobs. Der Fall um Stefan Gelbhaar, den grünen Politiker aus Berlin, ist dafür der beste Beleg: der Politiker verlor sein Mandat, seine Reputation und – notabene – auch sein Einkommen aufgrund eines Shitstorms.
Wie heißt es im Buch Zwischen Welten der Schriftstellerin Juli Zeh und ihres literarischen Partners Simon Urban so treffend über das Internet und die dort entfesselten Kampagnen: „Da draußen ist ein Monster.“
Das mag im Amerikanischen noch „social“ sein – „sozial“ im deutschen Sinn ist es mit Sicherheit nicht.
Es lohnt sich also, nach einer neuen, besseren und treffenderen Übersetzung von „social media“ zu suchen.
Der Wettlauf um einen passenden Begriff ist hiermit eröffnet.
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