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„Unfreiwilliges Erinnern“ an die Wannseekonferenz- Vor 80 Jahren besprachen Eichmann und Co beim Cognac die Endlösung der Judenfrage

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
13. Januar 2022
Villa Wannseekonferenz

80 Jahre Wannseekonferenz. Am 20. Januar 1942 saßen Adolf Eichmann und Freunde auf Einladung von Reinhard Heydrich, dem berüchtigten Chef des Reichs-Sicherheitshauptamtes,  am idyllischen Ort beisammen und besprachen bei einem Glas französischen Cognacs die Endlösung der Judenfrage. Es herrschte, wie man dann zu Protokoll gab,  eine „fröhliche Stimmung“. Man war sich ja auch einig und prostete sich zu vielleicht auch auf das gerade angelaufene neue Jahr. 15 Mittäter, Mörder, Bürokraten, von denen sich später der eine oder andere als „Wohltäter“ feiern ließ. Man darf das nicht vergessen und muss mehr denn je daran erinnern, zumal die Überlebenden aussterben, die Zeugen des Jahrhundert-Verbrechens der Deutschen waren.

Der Deutsche Bundestag nimmt sich dieses Themas an mit einer Ausstellung im Paul-Löbe-Haus in Berlin. Der Titel „Unfreiwilliges Erinnern. Zur Bedeutung der Wannseekonferenz in Geschichte und Gegenwart“ erinnert mich unweigerlich an ein Buch des Journalisten Niklas Frank, Sohn des Hans Frank, Hitlers Generalgouverneur im damals besetzten Polen. In diesem Buch, das jeder in Deutschland lesen sollte, spricht Frank von dem „Erinnerungsverbot“, das sich die Deutschen nach 1945 auferlegt hätten, ohne jedes „Mitgefühl“ mit den Millionen Opfern der Nazis. „Ein Volk ohne Moral“ nennt er die Deutschen,  spricht „von uns verübten und feige geduldeten Verbrechen in der Zeit der Nazi-Diktatur“. Sein Fazit: „Mangelnde Zivilcourage kann bis in die Gaskammern von Auschwitz führen“.

Wannseekonferenz. Das Treffen der Bürokraten des Holocaust. Dort wurde die Organisation des Massenmordes  an den europäischen Juden besprochen. Wobei man hinzufügen muss, dass es die Konzentrationslager schon gab wie auch die Vernichtung der Juden. 15 hochrangige Vertreter des NS-Regimes saßen also im Gästehaus der SS am Großen Wannsee und führten Buch darüber, was noch zu tun sei zur Endlösung der Judenfrage. Sie hatten sich vorbereitet auf die Konferenz und Namen und dazu gehörige Daten von allen Juden in Europa gesammelt. Sie kamen auf über 11 Millionen Juden in Deutschland, Polen, der Sowjetunion, Frankreich, und so weiter. 11 Millionen sollten gefasst und in die Vernichtungslager wie Auschwitz und Majdanek,  Belzec, Treblinka und Sobibor deportiert werden. Das einzige Ziel dieser Transporte: die Ausrottung der Juden, weil sie Juden waren. So hatte es Adolf Hitler schon früh angekündigt.

Irgendwo im Exil

Ich habe mir vor Jahren die Dauer-Ausstellung im Haus der Wannseekonferenz am Großen Wannsee in Berlin angesehen und darüber im Blog-der-Republik berichtet. Darüber, wie eine Schulklasse diese Ausstellung besuchte. Eine Führerin durch die Gedenkstätte fragte die Schüler im Alter zwischen 16 und 17 Jahren: „Kennt einer von Ihnen Adolf Eichmann?“ Ein Mädchen meldete sich zu Wort: „Ja, ich habe von ihm gehört, er war irgendwo im Exil.“ Die Antwort überraschte mich nicht, weil die Nazi-Zeit im Geschichts-Unterricht oft ausgespart wird. Woher sollen die Schüler etwas von Eichmann, dem Organisator der Endlösung der Judenfrage, wissen? Als Eichmann vor vielen Jahren, 1962, vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürt, ihm in Israel der Prozess, er zum Tod verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet wurde, waren die Schüler noch nicht geboren. Übrigens stellte dieser Eichman, der sich im Gerichtsverfahren verteidigte mit Aussagen, er sei unschuldig, er habe nur ausgeführt, was die Hitlers und Himmlers angeordnet hätten, auch ein Gnadengesuch. Ein erbärmlicher Massenmörder.

An der Konferenz nahm auch Roland Freisler teil, der Chef des Volksgerichtshofs, ein furchtbarer Jurist, dessen Willkür und Unmenschlichkeit Menschen ausgeliefert waren, die angeklagt waren, weil sie ein kritisches Wort über die Nazis verloren hatten, oder den Krieg für verloren gaben. Ich höre noch heute die kundige Führerin durch die Konferenz-Räume, wie sie den Schülern den Sinn des Treffens der Nazi-Größen erklärte und dabei gelegentlich den Blick nach draußen schweifen ließ auf den See und die feine Umgebung, wo Villa an Villa stehen, alles ist umgeben von Bäumen, Gärten, einem Yachtklub, es ist ein Segler-Paradies. Hier besprachen sie die Koordination der verschiedenen Behörden beim Genozid. Die heutige Gedenk- und Bildungsstätte war einst eine Fabrikanten-Villa, ehe sie von der SS zum stolzen Preis von einer Million Reichsmark erworben wurde.

Eine Mord-Industrie

Die Dauer-Ausstellung-in deutscher und englischer Sprache- ist wirklich gelungen.Sie informiert über die Vorgeschichte der NS-Verfolgung der Juden, über ihre Ausgrenzung, Entrechtung und Vertreibung zwischen 1933 und 1945. Hitler hatte die Juden zum Freiwild gemacht, sie waren ausgeschlossene von der übrigen Gesellschaft, mussten den Judenstern tragen, sie wurden beleidigt, angespuckt, verprügelt, deportiert, ermordet. Weil sie Juden waren. Nur dafür hatten die Nazis eine Mord-Industrie errichtet mit Gaskammern und Zyklon B. Dafür steht der Name Auschwitz.

Ja, es waren Bürokraten am Werk, die sich nachher für unschuldig hielten, „biedere Familienväter“, die dem öffentlichen Geschäft der Judenvernichtung nachgingen und sich am „Feierabend in dem Gefühl streckten, gesetzestreue, ordentliche Bürger zu sein, denen es nicht einfallen würde, einen Schritt vom Pfad der Tugend abzuweichen“.(Band III „Deutschland im Spiegel) Ja, sie kamen sich tatsächlich als tragische Figuren vor. Man denke an einen der Mittäter, Dr. Gerhard Klopfer, Staatssekretär und Stellvertreter des Hitler-Stellvertreters Martin Bormann. Dieser Klopfer behauptete nach dem Krieg, er sei immer davon ausgegangen, dass Juden nur umgesiedelt würden. Dabei hatte der kaltschnäutzige Heydrich bei der Konferenz am Wannsee erläutert, wie die im Herrschaftsbereich der SS liegenden europäischen Länder systematisch „gesäubert“ werden sollten. Juden sollten in „geeigneter Weise im Osten zum Einsatz kommen“, wobei einkalkuliert war, dass „zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.“ So der bürokratische Ton von Heydrich. Und weiter: Der übrig bleibende Teil „wird entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“ Damit war klar die Ausrottung der Juden gemeint, auch die der Kinder.

Und keiner der anwesenden Bürokraten am Wannsee erhob Widerspruch. Auch nicht Gerhard Klopfer, der später als „minderbelastet“ eingestuft wurde und mit einer kleinen Geldstrafe und einer dreijährigen Bewährungsstrafe davon kam. Klopfer lebte in einer Kleinstadt in Baden-Württemberg als Anwalt, war angesehen bei seinen Mitbürgern, weil er stets freundlich war, gute Manieren an den Tag legte und bei Begrüßungen den Hut zog. „Stets anständig“ habe er sich verhalten, wurde er gelobt.

Zum Wohle aller

Erst nach seinem Tod 1987 empörte sich die Öffentlichkeit über diesen so freundlichen Zeitgenossen, weil die Todesanzeige seiner Familie es übertrieb mit der Würdigung des Toten. Da hieß es: „nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren.“ Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, war „fassungslos“ über diesen Nachruf.  Und die Medien kommentierten: So wurde ein „Schreibtischtäter zum Wohltäter“. Denn Gerhard Klopfer hatte in seinem ehemaligen Einflussbereich, der Nazi-Parteikanzlei, als Staatssekretär mit hohem SS-Rang, der schon 1933 Mitglied der NSDAP geworden war, dem Todesurteil über sechs Millionen Juden zumindest nicht widersprochen. Klopfer war der letzte Überlebende jener Konferenz von hohen Verwaltungsbeamten und SS-Führern, die den größten Massenmord der Geschichte in Szene gesetzt hatten. Nachher stellten sich viele einfach dumm. Wie Klopfer, über den das Urteil hieß, „ihm sei ein Beitrag zum Holocaust nicht nachzuweisen.“

Klopfer war nicht der einzige Konferenz-Teilnehmer, der ungeschoren davon kam. Da sind noch zu nennen der in Innsbruck geborene Weinhändler Otto Hoffmann, einst SS-Gruppenführer aus dem Rasseamt. Er wurde später ein unauffälliger Kaufmann im württembergischen Künzelsau. Oder Georg Leibbrandt, Ministerialdirektor für die besetzten Ostgebiete, der an Besprechungen mit Heydrich über die geplanten Massenmorde teilgenommen hatte und darüber unterrichtet wurde. Leibbrandt wurde nach dem Krieg Leiter des Bonner Büros der damals bundeseigenen Salzgitter AG.

Noch einmal Niklas Frank. „Wir die Deutschen haben uns nach Kriegsende 1945 um das große Erschrecken gedrückt.“ Mit „allen Zellen unseres Hirns“. Diese deutsche Katastrophe, das Menschheitsverbrechen, dürfen nie „vergessen“ werden.  Daran erinnert die Ausstellung am Wannsee wie im Paul-Löbe-Haus. (Bis zum 27. Januar. Geöffnet montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr).

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Tags: ErinnernErinnerungskulturHolocaustNationalsozialismusWannseekonferenzZögerliches Aufarbeiten des Nationalsozialismus
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