Es war einmal, könnte man diese Geschichte überschreiben. Schier endlos war die Reihe der SPD-Verlierer gegen den schwarzen Riesen, Helmut Kohl. Der hatte es fertig gebracht, 1982 Helmut Schmidt zu besiegen, dann Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine, Rudolf Scharping. Nun endlich sollte Kohl weg. Darin waren sie sich einig, der Gerhard Schröder und der Oskar Lafontaine, der eine Ministerpräsident in Niedersachsen, der andere Regierungschef des Saarlandes und vor allem SPD-Parteichef. Lafontaine hatte Schröder die Kanzlerkandidatur 1998 überlassen. Oskar war eher der Liebling der Partei, Gerhard Schröder sagte über sich: „Das Volk liebt mich“. Einig im Ziel, Parteifreunde vielleicht, aber Freunde, zwischen denen „kein Blatt Papier passt“, wie sie die Öffentlichkeit wissen ließen? Eher doch wohl Konkurrenten, die sich gegenseitig belauerten. Dass der eine aus dem Saarland dem anderen aus Hannover den Sieg gönnte, darf man annehmen, weil sie sonst das Ziel verpasst hätten. Aber hätte nicht auch der andere, der Napoleon von der Saar, gewonnen gegen den Alten aus Oggersheim? Denn am Ende war Kohl alt geworden im Amt. Schwergewichtig, wie er war, schleppte sich der Pfälzer im Wahlkampf 1998 von Bühne zu Bühne, während der Herausforderer der SPD, Gerhard Schröder, beinahe leichtfüßig die Stufen hochlief. Er war in Hochform, der 54jährige, der Alte wehrte sich wacker. Kohl wird damals im Sommer 1998 gespürt haben, dass es bald vorbei sein werde mit dem Regieren, seine Anhänger winkten ihm ein letztes Mal zu, viele kamen quasi zum Abschied, Kohl winkte zurück, aber nicht wie ein Sieger. Das musste er dem anderen überlassen, Gerhard Schröder, der mit weit ausgebreiteten Armen auf der Bühne stand, lachte, siegesgewiss. Ja, so war das vor rund 25 Jahren. Und dann kam es zum Krach, kaum, dass Schröder Kanzler geworden war. Am 11. März 1999 erreichte das Kanzleramt am Nachmittag völlig überraschend ein Brief Oskar Lafontaines per Bote. Darin schrieb er kurz und bündig: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich trete hiermit als Bundesminister der Finanzen zurück. Mit freundlichen Grüßen. Oskar Lafontaine“. Das war eine Sensation am Rhein. Schröder war kalt erwischt worden. Alle Versuche, den Saarländer zu erreichen, scheiterten. Lafontaine warf hin, entnervt, weil er die Macht des Kanzleramtes unterschätzt, geglaubt hatte, er könnte den Gerd als Bundesfinanzminister dirigieren, bestimmen, was geht und was nicht geht. Wobei zu fragen wäre, ob Schröder ihn geärgert hat, oder ob es Bodo Hombach war, der einflussreiche Kanzleramtsminister, Schröders Mann in der Regierung, der alles tat, damit der Gerd in aller Ruhe regieren konnte. Dass Lafontaine das störte, konnte Hombach egal sein, er half in erster Linie dem Chef. Der Saarländer ging, weil er das fehlende „Mannschaftsspiel“ bemängelte. Und er nahm viele mit, die SPD ächzte unter den Folgen, Tausende verließen die Partei, wegen Oskar, wegen der Agenda 2010, wegen der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Lafontaine wurde zum ersten Widersacher des Kanzlers, schrieb erboste Kommentare in der Bild-Zeitung, gegen Schröder. 2005 kam das Ende der Kanzlerschaft, Schröder musste Angela Merkel Platz machen. Jahre vergingen. Das Zerwürfnis zwischen Schröder und Lafontaine blieb. Mal schrieb Schröders vierte Frau, Doris Schröder-Köpf, dem Oskar Lafontaine, als er an Krebs erkrankt war, er, sichtlich bewegt von dieser menschlichen Geste, antwortete. Dann wieder Funkstille. Jetzt, im hohen Alter, haben sie sich versöhnt. Heißt es. „Die Altersmilden“, schreibt der „stern“. Schröder ist 79, Lafontaine ein halbes Jahr älter. Er wird am Samstag 80. Sie sollen sich, von der Öffentlichkeit nicht bemerkt, im Mai im Haus von Lafontaine getroffen haben, mit den Ehefrauen Sahra Wagenknecht und der Südkoreanerin So-yeon Schröder-Kim. Vermittelt hat dem „stern“ zufolge ein alter Freund von Lafontaine, Reinhard Klimmt, Nachfolger Oskars als Ministerpräsident, dann im ersten Kabinett von Schröder/Fischer Bundesverkehrsminister. Klimmt, inzwischen 81 Jahre alt, so schildert die Zeitschrift, habe zunächst die Stimmung bei beiden getestet, es sei zu ersten Telefonaten zwischen Schröder und Lafontaine gekommen, sie hätten sich verabredet. Irrungen und Wirrungen Gibt es so etwas wirklich? Glaubt jemand an Zufall? Nur, weil der Oskar 80 wird, schreibt der Gerd ihm im „stern“ warme Worte zum Geburtstag? Kitschig? „Lieber Oskar“, beginnt das Schreiben. „Du bist wieder einmal schneller als ich. Am 16. September dieses Jahren wirst Du 80 Jahre alt, ich erst am 7. April nächsten Jahres. Zu deinem 80. Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich. Am Beginn unseres gemeinsamen Lebensweges war eine solche Gratulation eine Selbstverständlichkeit. Im Laufe der Jahre gab es „Irrungen und Wirrungen“, um Theodor Fontane zu zitieren. 80 Jahre alt zu werden, ist gewiss ein Grund, alte Reibereien Geschichte werden zu lassen. Ad multos annos- und: danke für Deine jahrzehntelange Freundschaft- auch in schwierigen Zeiten! Für das neue Lebensjahr wünsche ich Dir alles Gute, Glück und Gesundheit. Beste Grüße. Dein Gerd“. Der „stern hat den Schröder-Glückwunsch in voller Länge abgedruckt. Schröder reicht Lafontaine die Hand. Der Jüngere dem Älteren, so ist es Brauch im Land, wird Lafontaine an anderer Stelle zitiert. Wurde ja auch Zeit, könnte man hinzufügen. Was haben die beiden nicht alles gemeinsam gepackt, geleistet für sich und die SPD?! Schröder hat, als er noch Oppositionschef war in Niedersachsen, den Oskar beinahe verehrt. Weil der schon OB von Saarbrücken geworden war, dann Ministerpräsident. Oskar Lafontaine zählte zu den Lieblings-Enkeln von Willy Brandt. Der Friedensnobelpreisträger sah in dem Saarländer seinen natürlichen Nachfolger. Und vieles sprach auch dafür, aber dann passierte der Mauerfall, kam die deutsche Einheit. Lafontaine wurde Kanzlerkandidat zum historisch falschen Moment. Mit der Wiedervereinigung konnte er wenig anfangen, was wiederum einem wie Willy Brandt missfiel, für ihn war es eine Sternstunde. „Ich danke dem Herrgott, dass ich das noch erleben durfte“. So hat er sich erleichtert und erfreut geäußert. Lafontaine und andere kritisierten die angebliche „Deutschtümelei“. Was auf einen wie Willy Brandt niemals zutraf. Lafontaine verlor die Einheits-Wahl gegen Kohl, den Kanzler der deutschen Einheit, der viele Wählerinnen und Wähler damit auf seine Seite zog, indem er ihnen die DM versprach, was immer das bedeutete, Wohlstand, wirtschaftlichen Aufschwung. Wir wissen heute, dass manches anders kam, als man hoffte. Die Wirtschaft der DDR krachte zusammen. Ich denke noch an den Mannheimer Parteitag 1995. Die SPD war bei fast Null angekommen. In Umfragen waren die Sozialdemokraten- Parteichef war Rudolf Scharping- auf 23 Prozent abgesackt. In Mannheim herrschte zunächst Friedhofsstimmung. Doch dann redete Oskar Lafontaine, inhaltlich hatte der Saarländer wenig zu bieten, aber er redete sich derart in Rage, dass er viele Delegierten mitriss. „Wer von sich selbst nicht begeistert ist, kann auch andere nicht begeistern“. Das war der Satz, den die Genossen in Mannheim als Signal verstanden: Scharping müsse weg. Dafür musste aber zunächst die Satzung der Partei geändert werden, weil der Punkt Wahlen gar nicht auf der Tagesordnung stand. Hans-Jochen Vogel schimpfte, das sei ein Putsch. Es half alles nichts, der Parteitag beschloss und am nächsten Morgen wurde Lafontaine mit 321: 190 Stimmen gewählt. Schröders Rolle dabei ist bis heute ziemlich unklar geblieben. Er wollte den Sturz des Rheinland-Pfälzers, bedrängte seinen „Freund“ Oskar, es zu wagen, aber er hatte wohl Sorgen ob des Triumphes von Lafontaine, der ihm den Weg ins Kanzleramt hätte verbauen können. Denn der Putsch von Mannheim hat manchem imponiert, so dem damaligen Kanzler Helmut Kohl. Ein Double voller Power Schröder/Lafontaine, das war schon ein politisches Double voller Power. Schröder war immer der, der in Ämter drängte, der nach vorn wollte, Lafontaine hat gelegentlich gezögert. Schröder konnte ruppig sein, wie ein Raufbold. Man denke daran, wie er sich den SPD-Vorsitz in Niedersachsen einfach nahm, gegen den Willen von Willy Brandt, der Anke Fuchs vorgeschlagen hatte. Doch dann kam Schröder und meldete seine Ansprüche an. Und gewann. Jeder kennt die Szene mit Schröder am Zaun des Kanzleramtes in Bonn: Ich will hier rein. Rief er, er musste sich damals noch etwas gedulden. Mit Oskar Lafontaine hatte er nach Mannheim eine Ämterteilung verabredet, mit einer Bedingung: Schröder müsste die Landtagswahl in Niedersachsen am 1. März 1998 mit Bravour gewinnen, sein ohnehin gutes Ergebnis von 1994 um weitere zwei Prozentpunkte verbessern. Als Forsa gegen 17 Uhr am Wahlsonntag bei Lafontaine und Schröder anrief und die Wahlprognose lautete: 47 Prozent, griff Lafontaine zum Hörer und gratulierte Schröder mit den Worten: „Hallo Kanzlerkanzlerkandidat“. Dabei muss man wissen, dass zwischen beiden kein richtiges Vertrauensverhältnis herrschte. Lafontaine traute Schröder nicht über den Weg, hielt ihn immer für einen Egoisten, der nur an seinen Vorteil dachte. Umgekehrt sah Schröder im Saarländer immer auch den Vormann, den er bei passender Gelegenheit gern hinter sich lassen würde. 2023 also nun Friede, Freude, Eierkuchen? In Merzig haben sie sich getroffen, schildert der „stern“, die Schröders fuhren vors Haus des Freundes/Feindes, niemand hats fotografiert, keiner hat es gesehen. Man kochte zusammen, aß, trank Wein, fast wie früher könnte man meinen. Schröder und Lafontaine hätten sich während des fünfstündigen Gesprächs mehrfach zu Vier-Augen-Runden zurückgezogen. Worüber werden sie gesprochen haben? Wohl nicht übers Wetter. Ihre politische Zukunft haben beide hinter sich. Lafontaine ist wieder parteilos, nachdem er 1999 die SPD verlies, die Linke mitgründete, vor einiger Zeit aber austrat. Ob er wieder in die alte SPD eintreten würde, ist kaum anzunehmen. Beide, Schröder und Lafontaine, spielen in der SPD keine Rolle mehr. Schröder ist isoliert, die Partei hätte ihn wegen seiner Russland-Geschäfte und seiner Freundschaft mit dem Kriegsherrn Putin am liebsten rausgeschmissen. Juristisch sehr schwer, also bleibt er. Was Putin betrifft, stehen sich die beiden früheren Alpha-Tiere sehr nahe. Lafontaine hat zwar den Krieg Russlands gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig kritisiert, aber im gleichen Atemzug die Politik der USA unter Feuer genommen und dem Westen seine Osterweiterung der Nato vorgehalten. Nachzulesen in seinen gelegentlichen Kommentaren in den „Nachdenkseiten“ von Albrecht Müller. Im Reich der Spekulation Sie könnten über die mögliche Parteigründung von Sahra Wagenknecht geredet haben. Wenn sie es denn wagte! Thomas -Seim hat in der Bielefelder „Neue Westfälische“ gemutmaßt, Lafontaine und Wagenknecht könnten wegen dieser möglichen neuen Partei Interesse haben an einer Annäherung mit Schröder, der noch in der SPD ist, wo ihn aber kaum jemand wirklich mehr will. Aber wie könnte Schröder dort helfen? Wir sind im Reich der Spekulation. Am Samstag feiert Oskar Lafontaine seinen 80. Geburtstag. Wohl ohne Schröder, wie es im „stern“ vermutet wird. Am 27. Oktober wird Schröder für 60 Jahre Mitgliedschaft in der SPD geehrt. Ich erinnere mich sehr gut, als Lafontaine 1999 die Brocken hinwarf und die SPD Schröder zu seinem Nachfolger als SPD-Chef wählte. Tatsächlich wirkte der Niedersachse in dem Augenblick ein wenig gerührt. Der Bezirk Hannover, lese ich im „stern“, will Schröder in einer Feier würdigen. Eingeladen seien rund 50 Leute, es werde eine Urkunde geben, unterschrieben von der Parteispitze in Berlin, die ihn vor kurzem noch rauswerfen wollte. Weggefährten werden erwartet, Freunde, Kabinettskollegen. „Für Schröder dürfte das eine Genugtuung sein“, kommentiert die Zeitschrift. Ob auch Lafontaine eingeladen sei? Leute, die es wissen müssten, hätten dazu geantwortet: „Noch nicht.“
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