Manchmal wundere ich mich, was sich einzelne Juristen so alles einfallen lassen beziehungsweise was man aus ihrer Sicht noch alles reglementieren könnte. Die aktuelle Forderung eines „Archivrechtlers“, SMS-Verkehre und Chatnachrichten zum Beispiel von Ministern vor dem Löschen dem Landesarchiv anzubieten, spricht für mich einerseits von grenzenlosem Misstrauen und andererseits von Weltfremdheit. Weitergedacht müssten dann auch alle dienstlichen Telefonate aufgezeichnet und überprüft werden. Überhaupt ist die Unterscheidung zwischen dienstlich und privat nicht praktikabel, sei es mündlich oder schriftlich.
Als ehemaliger Behördenleiter habe ich natürlich Gespräche geführt, die für einen dienstlichen Vorgang relevant waren. Aber schon da gab es die Möglichkeit der Gesprächs- oder Telefonnotiz, ja die Pflicht dazu. Und das gilt doch gleichermaßen für SMS-Nachrichten und Chats, dass ich also das, was ich für relevant halte, archiviere. Die Entscheidung darüber, was relevant ist, liegt dabei aber immer im Auge des Betrachters, wo denn sonst? Wenn dem Landesarchiv erst einmal alles angeboten werden muss, wird es dort wohl eine eigene Abteilung mit Faktencheckern geben müssen, die beurteilen sollen, was historisch relevant ist und was nicht. Da sich die Forderung ja nicht lediglich auf Behördenleiter oder Minister beziehen kann, wünsche ich viel Vergnügen bei der Arbeit!
Ich traue jedem Minister und jedem anderen zu, entscheiden zu können, was an einem offiziellen Vorgang relevant ist. Wenn ich allerdings dieses Vertrauen nicht habe, wundert mich der Ruf nach Kontrolle nicht. Der angebliche Satz Lenins „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ hat mich noch nie überzeugt. Dass sich die SPD in Nordrhein-Westfalen aus aktuellem Anlass mit dieser Frage beschäftigt, kann ich verstehen. Aber ich kann nicht verstehen, dass man direkt mit einer derart überzogenen Forderung das konterkariert, was man sich doch eigentlich auch auf die Fahne geschrieben hat, nämlich Entbürokratisierung.
Also: Nun kommt mal wieder runter vom Pferd und kümmert Euch um das, was wirklich relevant ist! Dass Frau Merkels SMS-Nachrichten nicht ins Bundesarchiv gewandert sind, mag man schade finden. Aber auch so wird die zukünftige Geschichtsschreibung genug Quellen finden, um ihr Regierungshandeln nachzuvollziehen. Dazu braucht es keine 24/7-Beobachtung und -Kontrolle! Überhaupt gibt es eine 30-jährige Sperrfrist für derartiges Archivmaterial. Vielleicht sollte man mal die Historiker fragen, was sie für nötig halten, nicht die Juristen!














Meine Replik zu den obigen Thesen habe ich bei LinkedIn publiziert:
https://www.linkedin.com/posts/thomas-henne_brautmeier-brautmeier-brautmeier-activity-7384490804989513728-d-g1?