Was wir brauchen, wissen wir nicht erst seit Corona. Die Pandemie hat die Schwachstellen in unserer Gesellschaft und im globalen Gefüge bloßgelegt und verschärft, nicht geschaffen. COVID 19 befördert womöglich die Einsicht in das Wünschenswerte: mehr Solidarität statt Egoismus, mehr Rücksicht statt Ellbogen, mehr Freiheit zur Verantwortung statt Freiheit auf Kosten anderer, mehr Gemeinsinn, mehr Menschlichkeit, mehr Gerechtigkeit. Doch die Hoffnung, dass das Virus auch konkrete Kursänderungen bewirkt und notwendigen Wandel vorantreibt, bleibt schwach.
Der Staat hat gleich zu Beginn der Krise seine ganze Stärke bewiesen. Mit milliardenschweren Hilfsprogrammen einerseits und mit strengen Verhaltensvorschriften für die Bevölkerung andererseits hat er die schlimmsten Szenarien der Pandemie zunächst abgewendet. Er folgte dabei der Devise: Auf die Wirtschaft kommt es an. Die Kinder, die Frauen, die prekär Beschäftigten, die Obdachlosen, die Geflüchteten, die Bewohner*innen von Pflege- und Behindertenheimen – kurz: die schon vorher Benachteiligten und Übergangenen – blieben außer Acht.
Der Primat der Politik erlebte eine unerwartete Rückkehr, allerdings insofern, als er der Wirtschaft diente. Die ist groß darin, in der Krise nach dem Staat zu rufen, ihn aber brüsk abzuweisen, wenn es um soziale und ökologische Anforderungen, sprich: das Gemeinwohl geht. Die großen Zukunftsfragen wie Klimakatastrophe und Artensterben, die beide Virus-Pandemien begünstigen, aber auch Ausbeutung von Mensch und Natur, Armut und Hunger, Nationalismus, Rüstung und Krieg und die zunehmenden sozioökonomischen, rechtlichen und Chancen-Ungleichheiten, die seit Jahrzehnten zu beklagen sind, brauchen endlich entschlossene Antworten. Die Profiteure sind in der Pflicht.
Die Globalisierung hat ihr großes Wohlstandsversprechen nicht gehalten; der Neoliberalismus hat den Anspruch der sozialen Marktwirtschaft geschreddert; das wirtschaftliche Wachstum um jeden Preis nimmt keine Rücksicht auf die Kosten, die dem Planeten und der Zukunft entstehen. Menschlichkeit bleibt auf der Strecke, und es stellt sich die Frage, ob das kapitalistische System überhaupt anders kann. Sogleich gefolgt von der Frage nach der Alternative, die erst recht ratlos macht.
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'Was brauchen wir wirklich?' hat einen Kommentar
11. Oktober 2020 @ 15:50 Marianne Bäumler
Liebe Petra Kappe,
danke für deinen Anfang! Auch deinen Hinweis zu den nicht vorhandenen ZUGÄNGEN für „die da Unten“ finde ich klasse; besonders die vielen Amis, die auf ihren „access“ immer so stolz sind, die passen ja höllisch auf, das die Anderen schön draußen bleiben!
Demnächst schreibe ich etwas zum Aspekt: „Was brauchen wir wirklich nicht!“
So long, Marianne