Wie wohl nicht anders zu erwarten, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Rundfunkurteil seine bisherige Linie nicht verlassen, nämlich Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu garantieren, egal, was auch passiert. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist damit im Grundsatz auf absehbare Zeit gesichert, wenn sich auch in Zukunft noch über die Höhe des Beitrags trefflich streiten lassen wird. Lediglich eine kleinere Korrektur zur Frage der Beitragszahlung für Zweitwohnungen wird zu einer Novellierung des Rundfunkbeitragstaatsvertrages führen müssen. Also alles gut ?
Ja – wenn man nicht das Gefühl hätte, dass dies alles irgendwie von gestern zu sein scheint. Wer sich die Urteilsverkündung live im Fernsehen angesehen hat, auf Phoenix übertragen und im Netz nachzuerleben, wird dies von Berufs wegen getan haben, sei es als Medienschaffender, als Journalist oder als Medienpolitiker. Auf normale Menschen, also die, für die der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich da ist, muss das Ganze wie ein weltfremde Inszenierung wirken. Die Roben, die Rituale, die recht monotone Verlesung von Urteil und Begründung muten sehr altbacken an, eben analog und mit der digitalen Welt nur entfernt in Bezug zu setzen. Mit Zukunft hat das eher wenig zu tun. Und erscheint irgendwie aus der Zeit gefallen.
Ein Satz aus der Urteilsbegründung ist besonders erwähnenswert: „Der Gesetzgeber muss keinen Wirklichkeitsmaßstab wählen, sondern kann auch einen Ersatz- oder Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde legen“ (bei der Festlegung der Wohnung als Grund für eine Beitragspflicht). Eine steile These, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Die Wirklichkeit ist nicht mehr der Maßstab, sondern eine Fiktion oder theoretische Konstruktion. Das lässt sich in Zukunft sicher noch an vielen Exempeln durchdeklinieren – für Juristen vielleicht nichts Besonderes, aber für Normalsterbliche schon befremdlich.
So notwendig der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch ist, oder besser, so wichtig uns die öffentliche Aufgabe des Rundfunks sein muss, so notwendig ist seine Reform. Die Herausforderungen werden nicht weniger, im Gegenteil, und nichts wäre jetzt schlimmer, als sich beruhigt zurück zu lehnen und angesichts einer gesicherten Finanzierung die (ohnehin eher halbherzigen) Bemühungen für inhaltliche und organisatorische Reformen herunter zu fahren. Das Bundesverfassungsgericht sagt selbst, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk annähernd 90 Programme (Fernsehen und Hörfunk) verbreitet, zu denen mittlerweile über 20 Telemedienangebote hinzugekommen sind. Da muss die Frage erlaubt sein, ob dies alles nötig ist oder ob nicht eine Neudefinition des Funktionsauftrags überfällig wäre und damit eine Einsicht in die Erkenntnis, dass weniger mehr wäre.
Von der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird keine neue Dynamik für die Weiterentwicklung des Rundfunksystems ausgehen. Dazu ist das Urteil zu defensiv, zu sehr am Status Quo orientiert, zu wenig problembewußt. Es verdeutlicht eigentlch nur, dass man gedanklich auf der Stelle tritt. Dies belegen auch die Reaktionen der Beteiligten: Die Intendanten äußern sich (selbst-)zufrieden, bestätigt, beruhigt. Die sich als Konkurrenz verstehende Presse ist (verhalten) kritisch, beleidigt, enttäuscht. Die Medienpolitiker sind (innerlich) erleichtert, kritiklos, dankbar. Und das Publikum ist weitestgehend desinteressiert, ratlos, gleichgültig.
Was folgt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts kein Anstoß für neue Debatten, die etwas mit Perspektive oder Vision zu tun hätten. Im Grunde bleibt es dabei, dass sich das höchste deutsche Gericht im eigenen Denken verheddert hat. Das ist, wie gesagt, nicht weiter verwunderlich. Aber die Medienpolitik sollte sich darauf nicht ausruhen – und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erst Recht nicht!
Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F083314-0005 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0 CC BY-SA 3.0 de , via Wikimedia Commons