„Die Justiz (…) sorgt für die Einhaltung von Recht und Gesetz sowie ausgewogene und gerechte Entscheidungen. Richterinnen und Richter müssen für diese Aufgabe unbedingt gegenüber Bedrohungen und Einschüchterungen geschützt werden. Nur so können sie ihre Aufgabe unabhängig wahrnehmen“, schreibt der Landesverband Berlin des Deutschen Richterbunds in einer Pressemitteilung. Die Organisation der Richter sah offenbar Anlass, sich vor die drei Kolleg*innen des Verwaltungsgerichts Berlin zu stellen, die in drei Fällen an der deutsch-polnischen Grenze abgewiesener Somalier entschieden haben, dass den Menschen ein Recht auf einen Asylantrag in Deutschland zu Unrecht verwehrt wurde.
Die Begründung ist ausführlich. Trotz des Eilverfahrens hat sich das Gremium mit den bestehenden Gesetzen auf EU-Ebene auseinandergesetzt und gegen die Auffassung der die Bundesrepublik vertretenden Anwälte entschieden.
Die Urteile machten schnell die Runde. Pro Asyl hatte die Fälle aufgegriffen und die Anwälte organisiert. Die Aufregung in Berlin war groß – hatte sich doch das Gericht gegen die Rechtsauffassung des von Dobrindt geführten Innenministeriums gestellt. Die Statements kamen umgehend: Dobrindt akzeptiert zwar den Einzelfall, will aber weiterhin an der Rechtsauffassung festhalten und Asylsuchende an den Grenzen abweisen, sollte kein besonderer Grund vorliegen.
In den sozialen Medien explodiert die Empörung. Es sind die üblichen Verdächtigen, die versuchen, das Gericht zu diskreditieren. Vor allem der Vorsitzende Richter Florian von Alemann hat es NIUS, Bild & Co. angetan. Sie recherchieren seine öffentlichen Auftritte, seine Social-Media-Postings, seine Follower usw. Und aus all dem Gefundenen konstruieren sie, dass von Alemann ein „Grüner“ sei. Weitere Recherchen finden Texte von von Alemann zum Asylrecht in Magazinen kritischer Juristen. In einem wird er als Mitglied der ehemaligen FDP-nahen Organisation JungdemokratInnen erwähnt, die nach dem Zusammenschluss mit der Jungen Linken um die Jahrtausendwende in Verfassungsschutzberichten auftauchte.
Von Alemann ist – so viel kann man sagen – ein Verfechter des Grundrechts auf Asyl und kritisiert die seit Jahrzehnten erfolgten Beschneidungen desselben durch diverse Regierungen.
Die gestreuten Informationen über den angeblich „grünen“ Richter erzeugen das gewünschte Ergebnis: Man setzt sich nicht mit dem Urteil auseinander, nicht mit der wackeligen Argumentation des Bundes in diesem Verfahren, sondern diskreditiert das Gericht. Dass von Alemann einer von drei Richtern war, interessiert genauso wenig wie die Tatsache, dass zwei andere Gerichte die Befassung abgelehnt und an das VG Berlin abgegeben haben. Dass das Urteil kein Grundsatzurteil ist, sondern lediglich für die drei Somalis gilt, geht im Getöse unter. Natürlich berichten weder Bild noch NIUS darüber, dass die Richter beleidigt und bedroht werden. Merkwürdigerweise äußert sich auch die sozialdemokratische Justizministerin nicht zur Richterhetze.
Von AfD und rechtspopulistischen Publikationen ist nichts anderes zu erwarten – denen sind die Institutionen der Demokratie erkennbar egal; sie greifen sie an, wenn es ihnen politisch opportun erscheint.
Ungewöhnlich ist aber ein Vorgang in Baden-Württemberg: Dort hat sich Staatssekretär Siegfried Loreck (CDU) zum Vorgang geäußert. In einem Facebook-Video nutzte er eine Aufzugsfahrt, um das Urteil zu kommentieren – und kritisierte dabei den „grünen Verwaltungsrichter“ aus Berlin.
Das muss man sich vor Augen führen: Ein Justizpolitiker unterstellt dem Berliner Richter praktisch Gesinnungsjustiz. Welchen Eindruck sollen denn die (wenn auch wenigen) Follower sonst von der parteipolitischen Zuordnung bekommen?
Noch viel fataler: Loreck stimmt in die Justizkritik der AfD ein, die ja ebenfalls regelmäßig behauptet, Entscheidungen der Gerichte seien parteipolitisch gefärbt.
Wieder ein Beispiel dafür, wie ein CDU-Politiker der Propaganda der Rechtsextremen auf den Leim geht. Denn diese greifen kontinuierlich die demokratischen Institutionen an: die Justiz, die Bundesbehörden, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diesem Narrativ beizupflichten, ist genau das Ziel jener staatszersetzenden Kräfte.
Loreck hat das Video inzwischen gelöscht und in einem weiteren Beitrag dem Eindruck widersprochen, das kritisierte Urteil sei parteipolitisch motiviert gewesen – nur um dann erneut zu bekräftigen, dass der Kurs der Bundesregierung richtig sei, auch gesetzlich. Wir werden sehen, ob die Justiz das auch so sieht.
Von allen Politikerinnen und Politikern, die dafür sorgen müssen, dass Gerichtsentscheidungen unbeeinflusst und unabhängig gefällt werden können, sollte man genau das auch erwarten.
Bildquelle: Wikipedia, User Waugsberg, CC BY-SA 2.0
Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden!
Dobrindt, Loreck und Co. werden das noch lernen (müssen).
Gerichtsentscheidungen zu missachten kennen wir bereits von einem Typen in den USA der die Demokratie abschaffen will.