Um gleich damit anzufangen: An die Willkommenskultur habe ich nie so recht geglaubt. Ich hatte großen Respekt vor der Haltung der Kanzlerin Angela Merkel, Zehntausenden von Flüchtlingen den Weg nach Deutschland zu ebnen. Das war humane Politik. Das menschliche, mitfühlende, helfende Deutschland. Wir schaffen das! hatte Merkel betont und den Beifall von Millionen erhalten. 82 Millionen würden das schon packen. Wäre doch gelacht! Und wenn man Europa miteinbezöge, könnte das doch ein lösbares Problem für 500 Millionen Europäer sein. Ich hatte mir schon gedacht, dass es bald Gegenstimmen geben würde, Nörgler, Neider, Rechtspopulisten. Aber dass die Rettung von Flüchtlingen auf hoher See in Frage gestellt würde, das hätte ich mir nicht vorstellen können. Kaltschnäuzig nennt CDU-Mann Norbert Blüm den Ton seiner Christenfreunde aus Bayern, kaltherzig, ekelhaft die geführte Asyldebatte bis zum Überdruss. Und sein Kollege von der CSU, der frühere Kultusminister Hans Maier fragte seine CSU: „Kann sie eine Flüchtlingspolitik vertreten, in der das Wort Nächstenliebe und das elementare Verständnis für Verfolgte fehlen?“
Man schüttelt mit dem Kopf über so viel menschliche Kälte. Wo ist das „C“ geblieben, fragt Norbert Blüm in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung. Blüm war immer der soziale Mann gewesen, für den Solidarität und Menschenliebe zum Kernbestand seiner Partei gehörten. Vor Tagen hatte er sich schon in einem kurzen Beitrag in unserem Blog-der-Republik kritisch über die Union geäußert. Wie kommt ein Ministerpräsident wie Markus Söder dazu, von Asyltourismus zu reden, als ginge es hier um Ausflüge, um Kaffeekränzchen. Es kann doch nicht jedes Mittel Recht sein, um eine verkorkste Stimmung in Bayern wenige Wochen vor der Landtagswahl zu drehen. Und dass er jetzt betonte, den Begriff nicht mehr zu verwenden, ist zu begrüßen. Die Einsicht kommt aber spät, sehr spät, Herr Ministerpräsident. So verrohen die Sitten im Lande.
Auch die Vertriebenen waren nicht beliebt
Ich erinnerte mich an die Geschichten und Bilder aus der Zeit nach dem Krieg, als Millionen Vertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten ins damals verwüstete Westdeutschland kamen. Nicht selten stießen sie auf Unverständnis, wollten die Einheimischen sie durchwinken ins nächste Dorf, die nächste Stadt. Und ich erinnere mich noch gut an die vielen Vorurteile gegenüber den wirklich armen Schlesiern und Ostpreußen, um nur die beiden zu nennen, die mit leeren Händen gekommen waren und wenn sie sich was leisteten, bekamen sie zu hören, das wäre alles nur der Lastenausgleich.
So unbeliebt die Flüchtlinge zunächst waren, politisch waren der Zuzug, die Aufnahme und Eingliederung gewollt. Und viele von ihnen wurden ja auch schnell gute Arbeitskräfte, die am Wiederaufbau des in Trümmern liegenden Staates mitwirkten. Aber heute haben wir doch eine andere Lage. Diesem Land geht es so gut wie nie zuvor. Zugegeben, es gibt in der Politik einiges zu korrigieren, weil Fehler gemacht wurden. Es gibt Gruppen, die benachteiligt werden, die abgehängt wurden von der Aufwärts-Entwicklung. Es gibt Reformbedarf, keine Frage. Aber dass es hier drunter und drüber ginge, ist doch ein schlechter Witz.
Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen Flüchtlinge aufnehmen können, schreibt Blüm in der SZ, dann schließen wir am besten den Laden „Europa“ wegen Insolvenz. Wenn Lebensretter angeklagt werden, so ist das ein Armutszeugnis der besonderen Art. Wo sind wir gelandet?! Sind „Ärzte ohne Grenzen eine Filiale der Anti-Abschiebungsindustrie?“ fragt der alte Christdemokrat und einstige Opel-Facharbeiter Blüm. Und wenn ein Bundesinnenminister wie Horst Seehofer, der zugleich CSU-Parteichef ist, einen Masterplan vorlegt, über den die Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen(UNHCR) urteilt, dass dieser Plan das Wichtigste vernachlässige, eben den Menschen, wenn der Repräsentant des Hochkommissars in Deutschland, Dominik Bartsch, anmerkt, dass in diesem umfangreichen Papier des Christsozialen Politikers Seehofer „ein Bekenntnis zum Schutz von Menschen, die in ihrem Herkunftsland bedroht sind, völlig fehlt“, dann ist das eine schallende Backpfeife. Die entscheidende Frage müsse sein, so Bartsch, „wie man Flüchtlinge effektiv schützt, nicht, wie man sie möglichst schnell abwickelt und die Verantwortung am besten anderen zuschiebt.“
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So steht es im Grundgesetz. So lautet auch eines der gemeinsamen Werte der EU-Mitgliedsstaaten. Aber das ist die Theorie, sie klingt gut. Die Praxis beschreibt Manuela Roßbach vom Vorstand der „Aktion Deutschland Hilft“ so: „Dass ein Rettungsschiff mit hunderten Flüchtlingen tagelang auf dem Mittelmeer ausharrt oder Schiffe festgesetzt werden und viele europäische Regierungen davor die Augen verschließen, widerspricht dem zutiefst.“
Menschenrechte stehen jedem bedingungslos zu, unabhängig von der Hautfarbe, vom Geschlecht, dem Alter, der Religionszugehörigkeit. Klingt gut, Aber lassen wir mal eine Betroffene reden, wie zum Beispiel Hannah Arendt, eine Jüdin, die 1933 Deutschland fluchtartig verließ und über Frankreich und Portugal schließlich im Mai 1941 in den USA landete. Ihr Stück „Wir Flüchtlinge“ stammt aus dem Jahre 1943 und ist erst 1986 in Deutschland bekannt geworden. „Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren, wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüsst, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind. .. Und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt.“ Und anderer Stelle schreibt sie: „Und die Gemeinschaft der europäischen Völker zerbrach, als – und weil sie den Ausschluss und die Verfolgung seines schwächsten Mitglieds zuließ.“ Damals waren es die Juden. Wir können das noch mit einer ihrer Thesen ergänzen: „Menschsein bedeutet das Recht, Rechte zu haben“, sagte eine wie Hannah Arendt, die als Flüchtling das Niemandsland der Rechtlosigkeit erlebte. Es klingt so, als wäre es heute gesagt worden.
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