Düsseldorfer Leizsätze

70 Jahre Düsseldorfer Leitsätze – Wie wird die CDU ihren Markenkern weiterentwickeln?

Als Kevin Kühnert Anfang Mai die Enteignungsdebatte von Wohnimmobilien lostrat (und BMW gleich mit verstaatlichen wollte), da war die Empörung heftig. Die SPD diskutiere über eine Rückkehr zum Sozialismus, meinte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Wohnungsmangel sei nur mit einer Antwort zu bekämpfen, und „sie heißt Soziale Marktwirtschaft“. Da war sie endlich wieder, die scharfe Auseinandersetzung über die Grundrichtung unserer Wirtschaftsordnung, wie sie vor über 70 Jahren in den damaligen „Westzonen“ (also vor Gründung der Bundesrepublik) geführt wurde. Planwirtschaft oder Marktwirtschaft, das was die Frage, über die sich die politischen Gründungsväter in den ersten Aufbaujahren stritten. Die SPD sah zunächst im sozialistischen Ordnungsmodell die richtige Antwort. Und auch die CDU war anfangs in ihrem „Ahlener Programm“ (vom 3.Feb.1947) durchaus auf eine Art Sozialismus aus christlicher Verantwortung ausgerichtet. Damit ließ sich sogar die Vergesellschaftung der Großindustrie begründen.

Sternstunde der Geschichte

Konrad Adenauer war kein Wirtschaftstheoretiker, aber er hatte ein Gespür für mehrheitsfähige gesellschaftliche Entwicklungen, und er ließ der weiteren parteiinternen Diskussion freien Lauf. So kam es, dass sich das Erhard‘sche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, der Eigenverantwortung und der geregelten Wettbewerbsordnung behauptete. Die Menschen hatten Sehnsucht nach einem politischen Entwurf, der ihnen ein Leben in Freiheit, Frieden und Wohlstand versprach. Gut zwei Jahre nach Ahlen war es soweit: Am 15. Juli 1949, einen Monat vor der ersten Bundestagswahl, hat die CDU der westlichen Besatzungszonen in Düsseldorf im Rahmen einer Pressekonferenz die sog. „Düsseldorfer Leitsätze“ verkündet. Es war eine Sternstunde in ihrer Geschichte, sich diese Ordnungsidee zu eigen zu machen. Damit war die Alternative zur Planwirtschaft sichtbar. Indem die CDU die Soziale Marktwirtschaft zu ihrem Programm machte, vollzog sie die Wende zu einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Die drei folgenden Kostproben zeigen, wie weitblickend einzelne Forderungen waren, aber auch wie sehr es bisweilen an ihrer konsequenten Anwendung hapert.

  1. Die Leitsätze sagen: Echte Verantwortung in der Wirtschaft erfordert Haftung auch bei angestellten Vorstandsmitgliedern. Frage: Wie sieht es aus mit der Manager-Verantwortung z.B. bei Bayer oder Volkswagen, mit hohen Boni für Manager einer Bank, die kaum Rendite erzielt?
  2. Die Leitsätze sagen: Die Soziale Marktwirtschaft kann nur verwirklicht werden, wenn sie das Vertrauen aller Schichten des Volkes besitzt. Frage: Warum schauen wir der Monopolisierung der Internetwirtschaft tatenlos zu? Warum bekämpfen wir nicht die Steuervermeidung internationaler Konzerne? Warum geht die Balance zwischen dem Wohl des Einzelnen und der Allgemeinheit verloren?
  3. Die Leitsätze sagen: Die vermögenslosen Schichten müssen in großem Umfang zu besitzenden Eigentümern gemacht werden. Frage: Ist das nicht die beste Antwort auf die Enteignungspläne eines Kevin Kühnert? Warum rangiert die Wohneigentums-quote in Deutschland mit 53 Prozent auf dem vorletzten Platz einer europäischen Statistik? (Spanien z.B. 83%).

Skeptische Stimmen nehmen zu

In Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit ist die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft wieder gewachsen. Für 67 Prozent der Deutschen ist sie maßgeblich für derzeit gute wirtschaftliche Lage. Aber es gibt auch Kritik: 77 Prozent glauben, dieses Wirtschaftssystem „macht die Reichen reicher und die Armen ärmer“. Diese Meinung findet auch ihren Ausdruck in Kevin Kühnert‘s politischer Rolle rückwärts – in die Zeit der SPD vor 1959, vor dem „Godesberger Programm“ mit seiner Abkehr von sozialistischen Heilsversprechen.  Hörbar sind auch mahnende Stimmen aus der CDU. Sie fordern, die Marktwirtschaft an die neuen Herausforderungen anzupassen. Sie sei zwar aktuell die bestmögliche Antwort, aber noch nicht das optimalste aller Modelle, wie Kramp-Karrenbauer kürzlich anmerkte. Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder ein Finanzsystem, das zum unkontrollierten Selbstläufer geworden ist, passten vor 70 Jahren noch nicht in die Vorstellungskraft der Begründer dieser Wirtschaftsordnung.  Und ob der Klimawandel ausschließlich mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu stoppen ist, wird zunehmend in Frage gestellt. Es gehe um kein normales politisches, sondern um ein „existenzielles Problem“. Von der Politik werden Lösungen erwartet, deren Wirksamkeit zweifelsfrei und schnell nachweisbar ist, bevor es möglicherweise zu spät ist.

Debatte über neues Grundsatprogramm

Die CDU will auf ihrem Bundesparteitag Ende 2020 ein neues Grundsatzprogramm beschließen, dieses Jahr am 31. Oktober endet die Frist für Vorschläge. Eine der Hauptaufgaben dabei sollte lauten, das Ordnungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft für die nächsten Jahrzehnte fit zu machen und um neue Spielregeln zu ergänzen. Kann das Wachstumsdogma der Garant für unseren Wohlstand bleiben? Wie erlangt der Finanzsektor wieder seine dienende Funktion? Wie definieren wir künftig Fortschritt?  Ein lebhafter Diskussionsprozess über solche Fragen ist nicht erkennbar; Personalgerangel, Volkspartei-Rettung und die nächsten Landtagswahlen bestimmen die parteiinterne Debatte. Das ist kein verantwortungsvoller Umgang mit dem Markenkern der Union, wie er vor 70 Jahren gestaltet wurde. Apropos: Die CDU-Bundesgeschäftsstelle veröffentlicht zum Jahresbeginn eine 10-seitige Terminvorschau mit gut 300 Gedenktagen, Jubiläen, Geburtstagen. Darin findet man den 72. Geburtstag eines EVP-MdEP oder einen sog. Nationalfeiertag (?) in Katalonien. Den 15. Juli als 70. Jubiläum der Düsseldorfer Leitsätze sucht man dort vergeblich.


Zeitgerecht zum Jubiläum hier zwei Zitate aus den Leitsätzen, die ihr geistiges Fundament zum Ausdruck bringen:

„Die Soziale Marktwirtschaft ist die sozial-gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, in der die Leistung freier und tüchtiger Menschen in eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß an wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle erbringt….

Echter Leistungswettbewerb liegt vor, wenn durch eine Wettbewerbsordnung sichergestellt ist, dass bei gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz die bessere Leistung belohnt wird.“


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Journalist seit 1970 in Köln und Bonn. Heute freier Korrespondent beim „Luxemburger Wort“, „Der Mittelstand“ u.a. Vizepräsident der European Journalists Ass. (EJ), seit 2003.


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