Flagge Israel

70 Jahre Israel -Ausnahmezustand als Normalfall

„Der Ausnahmezustand ist die Normalität in Israel. Man hat sich an die Angst nicht gewöhnt. Aber Israelis haben sich mit ihr irgendwie arrangiert, sie gehört zu ihrem Leben“, so hat es der Filmemacher und Journalist Richard C. Schneider anlässlich der Vorstellung seines Buches „ALLTAG IM AUSNAHMEZUSTAND –MEIN BLICK AUF ISRAEL“ in diesen Tagen formuliert und hinzugefügt, dass das Land trotz aller Probleme und Bedrohungen heute besser dasteht als jemals zuvor. 70 Jahre nach seiner Unabhängigkeitserklärung, die so beeindruckend von dem Fotografen Rudi Weissenstein dokumentiert wurde.

Weissenstein bekommt am 13. Mai 1948 einen Brief zugeschickt. Seine Frau und Nachlassverwalterin, Miriam Weissenstein, hat sich im hohen Alter von 94 Jahren- anlässlich des 60. Geburtstags Israels, also vor zehn Jahren- in einem Gespräch an diesen Tag erinnert, die Einladung gezeigt und erzählt: „Das ist die offizielle Einladung von Ben Gurion, zu kommen und zu fotografieren. Und er war der einzige Fotograf. Er soll kommen, gut gekleidet, Freitag um drei Uhr. Mein Mann wurde gebeten, nicht zu erzählen, wohin er bestellt ist. Es war geheim. Und er ist hingekommen und hat das gesehen, da sind lauter Minister. Niemand lebt mehr von denen. Shalom. Shalom.“

Gang durch Gegenwart und Geschichte

In der Allenystraße und der näheren Umgebung in Tel Aviv gibt es sehr viel helle Bauhausarchitektur. Sie hat sich immer wieder mühsam gegen die Abriss- und Modernisierungswut dieser einstigen Perle am Mittelmeer behauptet. Ein Gang durch das Viertel ist ein Spaziergang durch die israelische Gegenwart und die Geschichte. In einem recht schäbigen Haus mit der Nr. 30 ist ein kleiner Laden : „PHOTO PRIOR“. Eigentlich heißt es Photohaus Prior. In der Auslage schwarz-weiß Fotografien. Hinter einem, unter der Last von Ordnern und Alben fast zusammenbrechenden kleinen Schreibtisch hat Miriam Weissenstein mehr als 70 Jahre gesessen und das 250 000 Fotos umfassende Archiv ihres Mannes betreut, verwaltet, immer wieder Gäste empfangen, erzählt. Und sein berühmtestes Foto gezeigt: Ben Gurion steht, verliest die Unabhängigkeitserklärung. Über ihm an der Wand ein großes Foto von Theodor Herzl. Links und rechts das Wappen Israels. Zu beiden Seiten David Ben Gurions die Minister des ersten Kabinetts.

„Das ist der Ben Gurion. Ein großer Freund von meinem Mann. Alle Stills(gemeint sind stehende Bilder) hat er bestellt bei ihm. Mein Mann ist damals zu ihm hingegangen und ihm entgegengekommen ist Ben Gurion. Er hat einen Kamm herausgezogen und sich gekämmt. Er hat ja so viele Locken gehabt. Wie er gekämmt war, hat er zu meinem Mann gesagt: Jetzt kannst Du fotografieren.“ Sie schaut dabei freundlich. Ihr Gesicht ist faltig. Ihre Brille ist groß. 1921 ist sie mit dem Schiff von Triest nach Tel Aviv gekommen.

Manches erinnert an Bananenrepublik

Ihr Enkel Yuri, der heute das Geschäft führt, brachte damals, drei Jahre vor ihrem Tod im Juli 2011, ein Foto herbei, Miriams Foto: „Das ist das Bild und zwar, das ist der Jude. Müde, alt, kann kaum noch gehen. Sitzt an einer Autobusstation und ruht sich aus. Weint. Wir haben diesen Herrn gesehen in dieser Autobusstation. Ich hab meinem Mann gesagt, von dem Herrn will ich ein Bild. Da nannte er es das Bild von Miriam. Ich sage Ihnen, das ist der Jude. Der wandert sein Leben lang. Ohne Grund. Mit Grund. Ohne Geld. Mit Geld. Das ist sein Los.“

Das sei immer so gewesen. Auch in Israel, deren orthodoxe Einwohner sie nicht mag, Präsident Benjamin Netanjahu nicht und seine Innenpolitik auch nicht. Der frühere ARD – Fernsehkorrespondent  in Israel Richard C. Schneider hat es vor kurzem so formuliert: „Da ist zunächst einmal das Ausmaß der Korruption im öffentlichen Leben, das Israel manchmal wie eine Bananenrepublik erscheinen lässt.“ Er erinnert in diesem Zusammenhang an Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu, an den ehemaligen Präsidenten Moshe Katzav, der im Gefängnis sitzt. „Doch es gibt noch mehr: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf, der Konflikt zwischen Religiösen und Säkularen vertieft sich, die Demokratie ist in Gefahr, die ultrarechte Regierung versucht, mit immer neuen Gesetzesvorlagen die Zivilrechte zu zerstören.“

Wahrscheinlich wäre jedes andere Land mit solchen innen- wie außenpolitischen Problemen längst zusammengebrochen. Auf die Frage, was die größte Bedrohung für Israel sei, hat der Autor Tom Segev denn auch vor wenigen Tagen gesagt: „Ich glaube, dass Israel mit den militärischen Bedrohungen umgehen kann. Gefährlicher sind die ständigen Angriffe von innen auf unsere Demokratie und deren Institutionen.“

Bildquelle:  Wikipedia, User: Grauesel at wikivoyage shared ,GFDL from Wikimedia Commons

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Der Fernseh- und Radiojournalist arbeitete als Kulturredakteur und später als ARD Korrespondent in Washington und Mexiko. Seit 2002 ist Hafkemeyer Professor an der Berliner Universität der Künste.


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