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Home Politik

Fehlt das Wasserthema auf der Erdogan-Besuchsagenda?

Siegfried Gendries Von Siegfried Gendries
30. September 2018
R.T. Erdogan

Der türkische Präsident Erdogan ist auf Staatsbesuch in Deutschland. Wasser ist den Medien zufolge kein Thema. Dennoch lohnt ein Blick darauf, welche Krise an der Grenze zum Irak und Syrien schwelt und wie der türkische Staat das Überleben seiner Nachbarstaaten Syrien und Irak. „Wasser ist das geopolitische Kapital“, mit dem sich die Türkei die vor 100 Jahren verloren gegangene osmanische Stärke und den Einfluss auf das Gebiet, das historisch als der „Fruchtbare Halbmond“ bezeichnet wird, zurückerobern könnte, mutmaßte der Thinktank Global Risk Insightin einem Artikel im Dezember vergangenen Jahres. Es darf schon gemutmaßt werden, dass die Türkei auch die Kurden ausserhalb des Staatsgebietes im Blick hat. Dürre und Bevölkerungsexplosion im Irak verschärfen das Problem fehlenden Wassers. Die diesjährige Weizenernte hat sich halbiert. Die Entwicklung hat Folgen, die über die Region hinausgehen, nicht nur in dem sie neue Migrationsströme auch nach Deutschland auslösen könnte. Dieser Beitrag versucht die Zusammenhänge und Lösungswege aufzuzeigen.

Türkei greift mit Staudammprojekten in die Nachbarstaaten ein

Tigris und Euphrat, die Lebensadern im Nahen Osten, finden ihren Ursprung im Taurus-Gebirge der Osttürkei. Der Türkei fällt damit implizit auch die Kontrolle über die Wasserressourcen Syriens und des Irak zu. Mit ihrem Infrastruktur-Projekt zur Entwicklung von Südost-Anatolien (Southeastern Anatolia Project – GAP), zu dem 22 Staudämme u.a zur Wasserversorgung der Landwirtschaft und 19 Wasserkraftwerke zur Energieerzeugung gehören, verstärkt die Türkei möglicherweise ungewollt ihre Einflusssphäre auf die vom Krieg zerrütteten Nachbarstaaten. Die 31 Millionen Menschen im Irak leiden schon heute. Die Dürre dieses Sommers mag im Winter überwunden sein, das Missmanagement bei der Wasserversorgung dagegen wird bleiben. Jetzt kommt aber auch noch der Wasser-Energie-Bedarf der Türkei hinzu, mit dem sie dem Irak sprichwörtlich das Wasser abgräbt.

„The GAP region has total population of 8.5 million, making 10.7% of Turkey’s total population.“

So berichtet das Online-Magazin Al-Monitor, die Türkei habe nach Fertigstellung des Ilisu-Staudamms am Tigris, Anfang Juni damit begonnen, einen dazugehörigen Stausee zu füllen. Aufgrund zunehmender Proteste hätten die Türkei und der Irak inzwischen abgestimmt, dass die Türkei den natürlichen Fluss des Flusses bis zum 1. November fortsetzen wird. Delegationen aus Ankara und Bagdad treffen sich am 2. November zu weiteren Gesprächen. Die Türkei zeige sich demnach nicht nur gesprächs-, sondern auch kompromissbereit. So zitierte die türkische Zeitung Daily Sabahim Juni den türkischen Botschafter in Bagdad mit den Worten: „Turkey will continue to be on Iraq’s side regarding the Tigris and Euphrates, seen as our common water.“

Schon zu den Zeiten der IS steuerte die Türkei den Zufluss des Euphrat in den Assad-Staudamm in Syrien, um den IS-Terroristen mit Wasser zu bekämpfen. Diese drohten den Damm zu sprengen und die Region zu fluten. Mit dem Wasser hatte sich der IS eine strategische Waffe angeeignet (siehe Lebensraumwasser „Wasser als Waffe: Der IS und seine zerstörerische Macht“, 9.12.2015). Die Türkei versuchte die Waffe des IS zu entschärfen, ganz uneigennützig sei das nicht, warfen ihr Kritiker vor.

Migrationswelle droht, wenn dem Irak das Wasser ausbleibt

Der türkische Dammbau ist seit langem umstritten. Seit 1975 haben türkische Staudämme die Wassermenge, die den Irak erreichte, um 80% und Syrien um 40% reduziert. Im Jahr 1990 kam es zu Konflikten, als sowohl Syrien als auch der Irak glaubten, die Türkei habe ihre Wasserversorgung absichtlich unterbrochen, da beide Staaten einen gleichzeitigen, deutlichen Rückgang des Wasserflusses registrierten. Die Situation sei nur durch die irakische Invasion in Kuwait abgelenkt worden, wird berichtet.

70% der irakischen Wasserressourcen stammen aus Euphrat und Tigris. Die Flüssen führen jetzt schon historisch niedrige Wasserstände. Iraks Wasserreserven werden bis Ende 2018 auf 30 Milliarden Kubikmeter reduziert sein. Dies ist der niedrigste Stand seit 1931. Prognosen aus dem Juni 2018 zufolge reichten die Reserven aus, um 50% der landwirtschaftlich genutzten Flächen im Sommer 2018 zu bewässern. Die irakische Landwirtschaft benötigt aber 25 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr, aber dieses Jahr standen nur 17 Milliarden Kubikmeter zur Verfügung. Bei diesem Tempo, so die FAO, verliert der Irak 50.000 Hektar landwirtschaftliches Land. Diese Entwicklung entzieht dem Irak die Lebensgrundlagen. Migration droht und Destabilisierung – einer ehedem schon fragilen Gesellschaft. Der stellvertretende irakische Agrarminister Mahdi al-Qaisi erklärte in einem Reuters-Interview, dass sich die Weizenernte 2018 wegen der Dürre halbiert habe. Insoweit treffen die Prognosen zu.

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wies in einem Interview für die Deutsche Welleauf die Migrationswelle in Folge regionale Konflikte hin, die die die türkischen Staudammprojekte auslösen könnten: „Wir hatten das Problem mit der Stadt Hasankeif in der Türkei, eine Weltkulturerbe-Stätte, die wird zerstört, wenn der Staudamm Ilisu gebaut wird. Es werden ganze Dörfer verschwinden, es werden Minderheiten, die dort leben – in dem Fall die Kurden – vertrieben. Es muss aufhören, dass man mit Wasser versucht, möglicherweise neue Kriege anzuzetteln.

„Blue Peace“-Initiative könnte Kooperation begründen. Türkei ist Gastgeber 

Hoffnung macht jetzt die Einrichtung einer neuen regionalen Initiative zur Intensivierung der Zusammenarbeit und Koordinierung der grenzüberschreitenden Wasserressourcen im Nahen Osten, die am  31. August in Stockholm angekündigt wurde. Als Gastgeber und Koordinierungsbüro des Projekts wurde bis Ende 2020 das türkische Wasserinstitut (SUEN) mit Sitz in Istanbul ausgewählt. Das Kooperationsprojekt umfasst Wasserexperten und Entscheidungsträger aus der Türkei, dem Irak, Syrien, Jordanien, dem Libanon und dem Iran. Sie sollen Wasser zum Gegenstand von Kooperation machen und den Konflikt um grenzüberschreitende Wasserressourcen im Nahen Osten minimieren. Unterstützung kommt von der Swedish International Development Agency (SIDA) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Sie ist das Ergebnis fast zehnjähriger Bemühungen von Blue Peaceim Nahen Osten, einer Initiative, die auf den Schweizer Bundesrat Burkhalterzurückgeht, der im vergangenen Jahr mit Blue Peaceein grenzüberschreitendes Wassermanagement in Zentralasien begründen wollte. „Wasser ist eine große Herausforderung, aus der wir zukünftige Möglichkeiten und Strategien entwickeln und kreative Visionen entwickeln können, um bestehende Konflikte um Wasser zu vermeiden. Wir garantieren auch die Rechte aller Menschen auf diese lebenswichtige Ressource und tragen zur Reduzierung von Ressourcenverstößen bei.“ erklärte Danilo Turk, der Vorsitzende des Global High-Level Panel on Water and Peace dem Online-Magazin Daily Sabah.

Ein Weg zur Lösung

Wie immer man sich auch einigen wird, an einem gegenseitigen Verständnis für die Belange des jeweils anderen, geht kein Weg vorbei. Der Irak wird seine desaströse Wasser-Infrastruktur erneuern und an den Unzulänglichkeiten des Management arbeiten müssen. Investitionen wird der kriegsgeschüttelte Staat nicht alleine stemmen können. Es wäre eine Chance für die Türkei, aber auch für die Weltgemeinschaft, die Region mit einer funktionieren Wasserinfrastruktur zu befrieden. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Region nicht nur vom Klimawandel, sondern auch von der Bevölkerungsexplosion getroffen wird. Wenn die Türkei jetzt auch noch das Wasser abgräbt, ist der Konflikt unausweichlich. Fehlendes Wasser ist der Nährboden des IS.

Die Türkei kann mit ihrem Engagement und der Bereitschaft zu Kompromissen einen wichtigen Beitrag zur Befriedung der Region und Eindämmung der Migrationsströme aus Syrien und dem Irak leisten. Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Diskussion ist aus den Berichterstattungen der internationalen Medien nicht erkennbar – vielleicht findet er dennoch statt. Die Türkei begründet den Zugriff auf die Wasserströme einem Bericht von Newsweek zufolge mit jenem Ressourcenbedarf, mit dem die arabischen Staaten sich der Ressource Öl bemächtigt haben. Das mag die Schlussfolgerung, „Wasser sei das Öl des 21. Jahrhunderts“ rechtfertigen. Die Welt kann nur hoffen, das diese Parallele nicht auch für die Kriegsursachen gilt. Daher haben wir Deutschen ein vitales Interesse daran, dass Wasser im Nahen Osten, zumal an der Grenze der NATO, nicht zum Auslöser eines „regionalen Weltbrandes“ wird.

  • Zitat: GAP
  • Grafik Kurdish Herald (2009)
  • Foto im Text: GAP
  • Bildquelle Titelbild: Kremlin.ru, CC BY 4.0

Erstveröffentlichung auf LebensraumWasser

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