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Regensburg, 21. Februar 1951, Rathaus

Norbert Bicher Von Norbert Bicher
16. Juni 2019
Hand- und Fußabdruck von Hildegard Kned

Die Kritiker überboten sich in Abscheu. »Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau!«, tobten die einen auf Flugblättern. Andere, darunter katholische Priester, warfen Stinkbomben in Kinosäle. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Josef Frings, Erzbischof von Köln, warnte sein Kirchenvolk in einem Hirtenbrief eindringlich: »Ich erwarte, dass unsere katholischen Männer und Frauen, erst recht unsere gesunde katholische Jugend, in berechtigter Empörung und in christlicher Einmütigkeit die Lichtspieltheater meidet, die unter Mißbrauch des Namens der Kunst eine Aufführung bringen, die auf eine Zersetzung der sittlichen Begriffe unseres christlichen Volkes hinauskommt. Ein Christ, der trotzdem diesen Film besucht …, gibt Ärgernis und macht sich mitschuldig an einer unverantwortlichen Verherrlichung des Bösen.« Noch weit düstere Ahnungen hatte Frings Glaubensbruder, der Regensburger Erzbischof Michael Buchberger. Er wetterte, das sei ein »Vorgeschmack auf einen bolschewistischen Angriff, der die christliche Grundordnung zerstören« werde, als die Kammerlichtspiele der bayerischen Bischofsstadt den Streifen »Die Sünderin« auf den Spielplan setzten.

Seit der Premiere des Films am 18. Januar hatte es Proteste aus konservativen und kirchlichen Kreisen gehagelt. Es war weniger die kurze Szene, in der die jugendliche Hauptdarstellerin Hildegard Knef für einen Augenblick ihre nackte Brust zeigte, die Teile der Republik in Rage brachte, als vielmehr die Story des Regisseurs Willi Forst, in der er die Knef als Prostituierte Marina ihrem todkranken Freund beim Sterben helfen und sich selbst am Ende das Leben nehmen lässt. »Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?«, erregte sich der katholische Film-Dienst und mit ihm besorgte Moralisten quer durch die Republik.

Doch nirgendwo eskalierte die Auseinandersetzung so heftig wie in Regensburg. Tausende demonstrierten dort vor dem Rathaus am Abend des 21. Februars, die einen 17 für die Freiheit der Kunst, die anderen für ein Aufführungsverbot. CSU-Oberbürgermeister Georg Zitzler hatte ein Zeichen setzen wollen und sich in Absprache mit dem bayerischen Innenministerium dazu durchgerungen, die geplante Aufführung zu verbieten. Polizisten räumten das Kino. Die Filmrollen wurden in Gewahrsam genommen. Grund genug, dass sich die Stimmung damit erst richtig aufheizte.

Gegen die Demonstranten in den Straßen der Stadt gingen Polizisten mit Knüppeln und Wasserwerfern vor. Bürgerkriegsähnliche Zustände entwickelten sich. Die Lage drohte außer Kontrolle zu geraten. Zumal eine Mehrheit der Menschen es sich nicht gefallen lassen wollte, von Politik und Klerus bevormundet zu werden. Als auch am dritten Tag nach dem Verbot wieder Tausende vor dem Rathaus demonstrierten, entschied der Rat mit einer Stimme Mehrheit, die Aufführung zuzulassen.

Nicht nur in Regensburg, überall im Land hatten die Proteste gegen den künstlerisch eher belanglosen Film das Publikumsinteresse erst recht geweckt und den Skandal-Streifen zu einem Renner gemacht. Mehr als vier Millionen Zuschauer strömten bis zum Sommer in die Kinos, um Knefs Busen zu sehen.
Für die damals 25-jährige Berlinerin war der Erfolg der »Sünderin« Segen und Fluch zugleich. Nach einer kurzen Episode als Kabarettistin in Berlin wurde sie durch die Rolle als KZ-Überlebende und junge Fotografin im ersten großen Nachkriegs-und Naziaufarbeitungsfilm »Die Mörder sind unter uns« von Wolfgang Staudte international bekannt. Die Illustrierte Stern feierte sie in ihrer Ausgabe Nr. 1 vom  1. August 1948 als den ersten deutschen Nachkriegsstar. Die Knef erhielt lukrative Angebote aus den USA und wurde 1950 amerikanische Staatsbürgerin. Für die Arbeit in »Die Sünderin« kehrte sie kurz nach Deutschland zurück, nutzte die durch den Streifen noch einmal gesteigerte Popularität zu ersten Plattenaufnahmen, um sich dann wieder fast fluchtartig aus der Bundesrepublik zurückzuziehen. 1957 kam sie erneut nach Berlin, wo sie nicht mehr als Schauspielerin, sondern als Chansonsängerin und Autorin zu einer ebenso gefeierten wie privat tragischen Diva wurde.

»Die Sünderin«, schon im Sommer 1951 aus den Kinos verschwunden, wäre schnell vergessen gewesen, wenn der Film nicht noch lange die Gerichte beschäftigt
hätte, um zu klären, ob die Freiheiten im Film durch die Freiheit der Kunst und damit 18 durch das Grundgesetz geschützt sei. Im Dezember 1954 entschied das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz: ja. Denn »moralische, religiöse und weltanschauliche Auffassungen einzelner Bevölkerungskreise« seien »nicht unter den besonderen Schutz der staatlichen Grundordnung gestellt.«

Das Urteil war nicht nur für Forsts »Sünderin« von Bedeutung. Es veränderte auch den Blick der »Freiwilligen Selbstkontrolle« (FSK) auf die Freigabe von Filmen für Jugendliche. Unter Protest von Kirchen und Konservativen hatte sich die FSK 1951 nach hartem Ringen dazu entschlossen, den Film für Zuschauer ab 18 Jahren freizugeben. Einige Jahre später sahen die Kontrolleure nichts Verwerfliches daran, Kinder ab 12 Jahren den Film sehen zu lassen. Also keine Gefahr mehr »für die seelische Gesundheit unseres ohnehin so schwer geprüften Volkes«, wie sie Kardinal Frings noch 1951 in seinem »Mahnwort« von der Kanzel beschworen hatte.

Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei

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Tags: "Die Sünderin" Gesellschaft70 Jahre GrundgesetzBonner RepublikBundesrepublikGeschichte der BundesrepublikKirche
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