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Fast jeder Ort, jede Region hatte seine Zwangsarbeiter: Auch der Bodensee

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
23. Oktober 2019
Friedhof KZ-Opfer Birnau

In Berlin wird ein Buch der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt: „In Deutschland Feinde, in der Sowjetunion Verräter: Erinnerung der Ostarbeiter 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg“.  Ostarbeiter, die Zwangsarbeiter aus dem Osten, 2,75 Millionen sind es mindestens gewesen, die  die Nazis, oft die SS,  deportiert hatte ins Reich, von den heimischen Feldern geholt oder von der Schule oder einfach aus der Wohnung, Männer, Frauen, auch schwangere, Kinder, rechtlos waren sie, ausgebeutet wurden sie, diskriminiert, gequält teils bis zum Tod. Über 12 Millionen Menschen mussten während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit in Deutschland leisten, auch weil deutsche Männer an den vielen Fronten des Krieges kämpfen mussten und ihre Arbeitsplätze zu Hause leer blieben. Die Rüstungsindustrie vor allem rief nach Arbeitern, woher auch immer, und  die SS lieferte gegen ein kleines Entgelt. In einem Buch „Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1945“ lese ich den Satz: „Kaum eine Gemeinde im Deutschen Reich und später im deutschen Okkupationsgebiet von einiger Größe war zuletzt ohne KZ-Dependance“.Und wohl auch nicht ohne Zwangsarbeiter, die überall gebraucht wurden, im Bergbau wie in der Landwirtschaft, im Weinbau und in privaten Haushalten.

So war das wohl in den Jahren der Hitler-Diktatur, die ein gewisser Alexander Gauland, der Chef der rechtspopulistischen AfD, als „Vogelschiss“ in der ansonsten großen deutschen Geschichte abtun will. Zu Gauland gehört ein gewisser Höcke, Chef der AfD in Thüringen, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet hat und dennoch in dieser Partei bleiben durfte. Sechs Millionen tote Juden reichen wohl nicht, gar nicht zu reden von den 50 bis 60 Millionen Toten des von den Nazis angezettelten Zweiten Weltkriegs.

Zu erinnern ist hier an das Buch „Die Tagesordnung“ von Eric Vuillard, in dem der Autor schildert, wie die höchsten Vertreter, quasi der Adel der deutschen Industrie, 1933 der finanziell klammen, beinah pleiten NSDAP mit Millionen Reichsmark den Wahlkampf finanziert und dafür mit lukrativen Geschäften entlohnt wird. Später können die Krupps, Opels, Quandts, Tengelmanns, Stinnes, Fincks und all die anderen. die an diesem von Göring anberaumten Treffen teilnahmen,  billig Zwangsarbeiter von dem Nazi-Regime anfordern, das ihren Reichtum mehren wird. Blutiger Reichtum. Nach dem Krieg zahlte Krupp jedem Überlebenden 1250 Dollar. Und als sich noch mehr Überlebende meldeten, ließ der Konzern sie wissen, dass er leider zu weiteren freiwilligen Zahlungen nicht mehr in der Lage sei. Die Juden hätten ihn schon genug Geld gekostet, so schreibt Vuillard. 

Geschäfte mit der braunen Diktatur

Geschäfte mit dem braunen Diktator machten viele Unternehmer, die Leichenberge von Auschwitz, Millionen gequälter Zwangsarbeiter, konnten den Blick für den zu erwarteten Gewinn nicht trüben. Und als alles zu Ende war und vieles in Trümmern lag, hat diese schlimmste deutsche Geschichte, dieser Zivilisationsbruch nur wenige interessiert. Im schon erwähnten Buch über das KZ Dachau lese ich den bezeichnenden Satz: „Es gab in diesen Jahren so gut wie kein öffentliches Interesse an der Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 und dem Schicksal der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur. “ So forderte der Landrat von Dachau 1955 den Abriss des dortigen Krematoriums, um mit der „Diffamierung des Dachauer Landes“ Schluss zu machen. Öffentlicher Protest verhinderte das schließlich. Das KZ Dachau war das erste KZ, das die Nazis am 22. März 1933 errichteten. Und es war das letzte, das die Amerikaner 1945 befreiten. Insgesamt wurden in Dachau und seinen Außenlagern über 200000 Menschen aus aller Welt ihrer Freiheit beraubt, gequält, ausgebeutet, rund 40000 Häftlinge starben unter der Gewalt der SS, an Hunger, an Erschöpfung, an mangelnder medizinischer Hilfe und an Seuchen. Zitiert nach dem angegebenen Buch über das KZ Dachau.

Auf der Fahrt Richtung Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee sieht der Tourist plötzlich ein kleines Schild: KZ-Friedhof. Die junge Dame im Souvenirladen der wunderschönen Kirche oberhalb des Sees weiß davon nichts, die Verkäuferin im benachbarten Kiosk, die Kaffee, Bier, Kuchen, Würste verkauft, weist den Weg. „Ein paar hundert Meter auf der B31.“ Man glaubt es nicht, in dieser Idylle, in einer der schönsten Landschaften, die ich kenne, umgeben von Weinbergen, im Hintergrund leuchtet das Panorama der Alpen, findet sich besagter Friedhof. Ein Schild erklärt Näheres, dass es eine der Außenstellen des KZ Dachau in Überlingen gab. Bombenangriffe der Alliierten hatten die Rüstungsbetriebe in Friedrichshafen ziemlich beschädigt, manches vernichtet, auch die Stadt Friedrichshafen hatte es schwer getroffen. Also wollte man ausweichen und Stollen in die Molassefelsen im Westen von Überlingen sprengen, damit die Produktion nicht eingestellt werdern musste. Rüstungsbetriebe wie Zeppelin, Maybach-Motoren, Dornier und die Zahnradfabrik ZF produzierten für die Kriegsmaschinerie der Nazis.

Deshalb richteten die Nazis in Überlingen ein Außenlager des KZ Dachau ein, 800 Häftlinge aus vielen Nationen sollten für diese Stollen den Weg in die Felsen freisprengen. 240 Menschen starben an der Zwangsarbeit in Überlingen an Unterernährung, Misshandlung, 71 Tote wurden im Krematorium in Konstanz verbrannt, andere starben bei Transporten in die Lager Saulgau, Allach und Dachau.  Wie gesagt, Zwangsarbeiter waren rechtlos, die Wachmannschaften durften mit ihnen machen, was sie wollten. 97 Opfer wurden im Frühjahr 1945 in einem Massengrab im Überlinger Waldstück Degenhardt verscharrt, 1946 wurden sie exhumiert und auf dem schon erwähnten Friedhof in Birnau an der stark befahrenen Bundesstraße 31, nur ein paar Hundert Meter von der  Wallfahrtskirche Birnau entfernt, begraben. Die Namen der Toten konnten mit Hilfe von Häftlingslisten ermittelt werden.

Der Lehrer und Historiker, der einstige SPD-Kommunalpolitiker Oswald Burger hat über den Stollen und das Schicksal der Zwangsarbeiter am Bodensee das Buch“ Der Stollen“ geschrieben. Burger ist zugleich Vorsitzender des „Vereins Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch“. Ihm verdanken wir viele Kenntnisse über die Lage dieser armen Menschen, die Tag und Nacht arbeiten mussten, in zwei Schichten zu je zwölf Stunden, viele Häftlinge überlebten die Strapazen nicht und starben in Überlingen, 97 wurden 1946 auf dem KZ-Friedholf Birnau beigesetzt, unter ihnen Giuseppe Beltrame, der ein Opfer des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten am 8. September 1943 wurde. Die Nazis rächten sich für diesen Waffenstillstand und griffen sich alle Italiener, die sie zu fassen kriegten. Und so wurde Beltrame von seiner Frau getrennt und nach einem Sabotageakt mit Schusswechseln festgenommen, erst in Genua ins Gefängnis gesperrt, ehe die Fahrt nach Deutschland ging. Nach Kriegsende schilderte ein Überlebender der Familie Beltrame in einem erschütternden Bericht das tödliche Schicksal des Guiseppe Beltrame, der völlig entkräftet gestorben sei mit der Bitte an seine Freunde, sich um seine Frau und seine kleine Tochter zu kümmern. Die Geschichte wurde im Grunde erst publik, nachdem sich das Ehepaar Pieranna Beltrame   -die Tochter von Guiseppe- und Giorgio Goeta aus Savona an der Riviera im September 2001 in Überlingen nach dem Verbleib des Vaters erkundigen wollte und dort die Antwort erhielt. Es gibt einen Grabstein mit seinem Namen auf diesem Friedhof.

Friedrichshafen profitierte von den Zwangsarbeitern

Es passt zu dieser Geschichte, dass in Hamburg ein gewisser Bruno D. vor Gericht steht, angeklagt der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen. Bruno D. war einer der Wachmänner im Konzentrationslager Stutthof, in dem Juden, politische Gefangene und andere zum Feind des Regimes erklärte Menschen getötet wurden. Der Fall liegt fast 80 Jahre zurück, Bruno D. war bei Beginn seiner Tätigkeit als Wachmann 17 Jahre alt. Im Prozess beklagte er: „Jetzt wird alles wieder aufgewühlt. So habe ich mir mein Alter nicht vorgestellt. “ Was würden wohl die damaligen Häftlinge dazu sagen? Ob sie auch aufgewühlt waren? Oder um ihr Leben bangten, viele vergeblich, weil sie nicht arbeitsfähig waren? Über die Juden habe er gewusst, was der Volksmund sagte, so Bruno D. , lese ich in der SZ, „dass sie am Krieg schuld seien und so etwas, und dass sie von ihrem Eigentum weggebracht würden. Er habe das falsch gefunden.“ Er habe Leichen gesehen, aber nicht, wie die Menschen gestorben seien. Ob der 93jährige Bruno D. für schuldig befunden wird?   

Bliebe noch zu erwähnen, was ich im Internet zu Friedrichshafen fand, einer Stadt, die ab 1942 fast zur Hälfte aus Zwangsarbeitern bestand. Die Stadt, völlig zerstört, stand keinesweg ruiniert da. Die durch Kriegswirtschaft und Ausbeutung der Zwangsarbeiter-in Friedrichshafen waren über 14000 Zwangsarbeiter aus 28 Nationen, darunter 5000 Ostarbeiter, beschäftigt- erwirtschafteten Rücklagen betrugen insgesamt 11 Millionen Reichsmark. Dieses Geld und die Liegenschaften der Werke der Zeppelinstiftung gingen in den Besitz der Stadt über. Damit hatte Friedrichshafen beste Startchancen für einen Neubeginn. Die Schatten der Vergangenheit wurden erst spät gelüftet. Sehr spät habe man sich der Verantwortung gegenüber den Zwangsarbeitern gestellt, von deren Arbeit die Werke und die Stadt profitiert hätten, heißt es in dem Beitrag. Mich wundert das nicht.

Die Bundesrepublik brauchte bis zum Jahre 2000, ehe die erste rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder(SPD) die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ins Leben rief, die bis zum Jahre 2007 Zahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter leistete. Insgesamt wurden 4,4 Milliarden Euro an 1,66 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter ausgezahlt. Bundeskanzler Schröder hatte damals in seiner Rede von Erleichterung und Genugtuung gesprochen und dem hinzugefügt: „Endlich.“ Die Einigung kam mit den Vertretern führender deutscher Unternehmen-insgesamt sind es 6300 Firmen- zustande, die ganz nebenbei auch noch daran interessiert waren, dass es einen dauerhaften Rechtsfrieden gab. Schließlich waren in den USA 68 Klagen gegen die deutsche Wirtschaft anhängig. Mitverantworlich für die Einigung war u.a. auch der FDP-Politiker und Ex-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, den Schröder als Verhandlungsführer gewonnen hatte. Lambsdorff wurde als Offiziersanwärter Ostern 1945, kurz vor Ende des Krieges, bei einem Tieffliegerangriff schwer verwundet, ihm musste der linke Oberschenkel amputiert werden.

Bildquelle Titelbild: Wikipedia, Von Roland.h.bueb – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,

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