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Home Politik

Die Brücke von Vavarin – Wenn wir es sind die töten

Hans Wallow Von Hans Wallow
17. Mai 2023
Die Brücke von Vavarin

Der 31. Mai 1999 war in ganz Europa ein herrlicher Sonnentag. Die Cafés waren überfüllt und auch in Berlin hielten die Menschen ihre Gesichter in die wärmende Sonne. Sie ahnten nicht, dass die Aufklärungstornardos der Luftwaffe im deutschem Namen Bombenziele für die US-Tarnkappenbomber in der Bundesrepublik Jugoslawien suchten eine Nation, deren Bundesarmee keinen Schuss auf ein anderes Land abgegeben hatte, in dem aber ein grausamer Bürgerkrieg tobte. Pfingsten – das ist auch für die orthodoxen Christen ein hohes Fest. Man feiert die Ausschüttung des
Heiligen Geistes. Vor zehn Jahren erlebte die serbische Kleinstadt Vavarin, etwa 180 km südöstlich von Belgrad zu Pfingsten eine Ausschüttung der besonderen Art: Zwei F-16-Kampfjets von NATO-Staaten feuerten auf die dortige über den Fluss Morava führende Brücke Raketen ab – Präzisionsprojektile für chirurgisch saubere Kriegsführung. Die einspurige innerörtliche Brücke ohne militärischen Wert stand trotzdem auf der Liste von elf militärischen Zielen („Strategie Targets“). Die U.S. Air Force belastetet später die deutschen Aufklärer: Sie hätten das falsche Ziel übermittelt.

Die Brücke von Vavarin

Tragischerweise gingen drei fröhliche Teenager vom Stadtfest kommend über die Brücke nach Hause zum Mittagessen. Ebenfalls überquerte zur gleichen Zeit eine Mutter mit Sohn in ihrem roten
Lada die Brücke. Sie wurden beim ersten Angriff über das Geländer geschleudert und später tot am Fluss geborgen. Die drei Mädchen rutschten schwer verletzt auf der eingestürzten Brücke in den Fluss; unter ihnen Sanja, die Tochter des Bürgermeisters, ein mathematisch hoch begabtes
Mädchen, deren Mutter Vesna Milenković, sie gerade erst von der Förderschule aus dem bombardierten Belgrad in die vermeintliche Sicherheit der Kleinstadt zurückgeholt hatte. Einige Mitbürger eilten nach dem Angriff den Schwerverletzten zu Hilfe. Sie wurden Minuten später bei
dem zweiten Angriff bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Sanja Milenković starb am Nachmittag.
Die Wochenzeitung „Der Spiegel” recherchierte genauer und kam zu dem Ergebnis, dass die Piloten die Menschen auf der Brücke hätten sehen können. Die Mutter Vesna trauert noch immer um ihre Tochter. Einigen Familien fehlt bis heute der Ernährer. Marina Jovanovic, die heute Ärztin ist, spürt die Bombensplitter auch weiterhin in ihrem Rücken, da sie inoperabel sind. Um wenigstens materielle Wiedergutmachung zu erreichen, klagten einige Hinterbliebene gegen die deutsche Regierung. Sie wurden in drei Instanzen abgewiesen. Begründung: Nach internationalem Recht
dürfen nur Staaten Schadensersatz einklagen. Privatpersonen ist das verwehrt. Nach deutschem Recht war die Beteiligung der Tornados wegen eines fehlenden UNO-Mandats verfassungswidrig und sogar strafbewehrt.

Deshalb mussten Gründe für die „Selbstermächtigung” her. Der damalige
Außenminister Joseph Fischer bemühte vor dem Grünen-Parteitag die Auschwitzkeule um die Delegierten gefügig zu machen. Einige Renitente schlugen ihm ein rotgefärbtes Tuch ins Gesicht. Selbst die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung empörte sich über den Vergleich mit dem
Massenmord an den Juden.

Die Kriegsgründe waren auf eine skandalöse Weise banal. Die US-Regierung wollte schon immer den Einfluss der Russischen Föderation auf dem Balkan beschneiden und zurückdrängen. Die Eile mit der man die Angriffe forcierte ergab sich aus der Absturzgefahr in die sich Präsident Clinton manövriert hatte. Im Zusammenhang mit seiner Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky („Monicagate”) warf ihm der Sonderermittler Kenneth Starr „Meineid” vor. Dazu berichtete der deutsche Botschafter an die Regierung: „Die angestrebte schnelle Gangart bietet Vorteile: Ablenken von der Lewinsky-Affäre durch eine ausländische Krise, Beweis fortbestehender amerikanischer Führungsqualität im internationalen System. Widerstand eines wirtschaftlich und politisch geschwächten Russland sind die USA hinzunehmen gewillt. Sollte das Vorpreschen der USA die rot-grüne Koalitionsverhandlung in Bonn aus der Bahn werfen, so wird dies nur Krokodilstränen hervorrufen.” Es war eine rot-grüne Regierung, die „Ja” zum Angriffskrieg sagte. Das Parlament wurde geschickt an der Nase herumgeführt, durch den von Verteidigungsminister Scharping präsentierten Hufeisenplan – Jugoslawiens angebliche Strategie ethnischer Säuberung – der sich schon bald in Luft aufgelöst hatte. Es war die Generation, die ihren Eltern vorgeworfen hatten, sie hätten in der Nazi-Zeit zu selten „Nein” gesagt. Im Rückblick muss man das als pure Heuchelei bewerten. Denn die Kritiker von damals entpuppten sich als Angriffskrieger. Präsident Clinton wurde nach seiner Amtszeit wegen Missachtung des Gerichtes vergleichsweise milde bestraft. In Deutschland gingen über hundert Anzeigen gegen die Regierung bei den Staatsanwaltschaften ein. Die sahen sich aber außer Stande den Bundeskanzler Schröder und den Außenminister Fischer vor Gericht zu bringen.


Sanja Milenković und ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nur helfen wollten, sind tot. Clinton, Schröder und Fischer genießen ihre Pensionen.

Vesna Milenković, die Mutter von Sanja Milenković im Kinderzimmer ihrer getöteten Tochter Sanja. RemasterDirector_V0


Manchmal reicht es aus etwas zu unterlassen, so wie jener Bundeswehrpilot, der aus Gewissensgründen den Einsatz verweigerte. Zunächst sollte er seine Ausbildungskosten zurückzahlen. Als er dann Rechtsmittel einlegte wurde er „gewissensschonend versetzt.”
Der Krieg in der Ukraine erinnert uns an das, was wir bereits vergessen und verdrängt hatten. Doch auch mit ihm hat uns die Realität eingeholt. Der in Wien forschende bulgarische Wissenschaftler Ivan Krastev entdeckte, dass der Kreml-Herrscher Putin bei seiner Annexion der Krim in Teilen fast

wortgenau die vom Westen unterstützte Unabhängigkeitserklärung des Kosovo übernahm.

 

 

 

 

Oder dass der Angriff auf Kiew mit der Zerstörung des Fernsehturms begann, so wie auch NATO-Flugzeuge in Belgrad 1999 den dortigen Fernsehturm zerstörten. Es ist, als hätte der Herrscher im
Kreml sich eine Kopie gezogen.

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Comments 1

  1. Joke Frerichs says:
    3 Jahren ago

    Auf die von Ihnen gesschilderten Fakten hat auch der Schriftsteller Peter Handke seinerzeit hingewiesen; mit dem Ergebnis, dass er bis heute dafür geschmäht wird. Zuletzt noch nach der Verleihung des Literatur-Nobelpreises.

    Antworten

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