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Einig im dagegen – Deutschland schiebt Frust – und macht sich’s dabei zu bequem. Gastbeitrag von Klaus Schrotthofer

Gastbeitrag Von Gastbeitrag
19. Juni 2023
Ei unter Hammer

Wir gründen eine Partei! Das Programm? Erstens: Früher war‘s besser. Zweitens: Die da oben sind dämlich, korrupt oder unfähig. Drittens: Wir lösen alle Probleme, blitzschnell und mit gesundem Menschenverstand.

Klingt simpel? Ist es auch. Und weltweit erfolgreich: Trump, Bolsonaro, Berlusconi, Orban und andere haben‘s vorgemacht. Unsere Schaumschläger heißen zwar nur Kubicki, Wagenknecht, Höcke oder Aiwanger (- neben etlichen Teilzeit-Populisten). Aber auch sie haben viel Potenzial: Mehr als die Hälfte der Menschen in NRW ist unzufrieden mit den Regierungen in Düsseldorf und Berlin. Warum so viel Frust? Weil wir’s uns bequem machen.

Wir sind uns einig im Dagegen. Eine Mehrheit wünscht sich „klare Führung“. Nur wohin? Bei der Bundestagswahl wollte ein Viertel mehr Sozialstaat und billigere Mieten, knapp ebenso viele wollten, dass sich möglichst wenig ändert. 14,8 Prozent fanden, dass der Klimawandel nicht schnell und radikal genug bekämpft werden kann. 11,5 Prozent wollten Steuersenkungen ohne Tempolimit. 4,9 Prozent wünschten eine Revolution. 10,3 Prozent zeigten allen anderen den Mittelfinger.

So fragmentiert die politische Landschaft, so zersplittert ist diese Gesellschaft. Wer „klare Führung“ verlangt, meint in der Regel: Ich habe recht – und der begriffsstutzige Rest soll kuschen. Das funktioniert schon zu Hause nur selten, noch weniger in einem Land mit Millionen Bescheidwissern.

Die Demokratie wird diffamiert

Die Demokratie ist nicht durch die Regierenden bedroht, wie die Provinz-Populisten behaupten. Sie funktioniert sogar gut – wie der quälende Prozess um das Heizungsgesetz bewiesen hat. Weil Vertreter sehr unterschiedlicher Interessen nach langem Streit gefunden haben, was in einer Demokratie das maximal Mögliche ist: den Kompromiss. Man darf erwarten, dass die Beteiligten künftig professioneller vorgehen als in diesem Fall. Aber es ist grundfalsch, zu glauben, dass so grundlegende Aushandlungsprozesse mit einem Basta übersprungen werden könnten.

Demokratie ist mühsam und wird es bleiben, wenn die Ampel bald über Flüchtlinge oder den Haushalt streitet. Aber nicht die Kompromiss-Suche ist schuld am Missmut im Land, sondern deren fortwährende Diffamierung. Durch Minderheiten, die den Mehrheitswillen mit rüder Polemik delegitimieren wollen. Durch Aktivisten, die glauben, dass Selbstgewissheit Mehrheiten ersetzt. Durch Medien, die aus beidem Kampagnen stricken. Vor allem aber durch all jene, denen es zu mühsam ist, sich mit Politik zu beschäftigen – und die ihre faule Geringschätzung zur Haltung adeln.

Fast alle haben individuelle Lösungsvorschläge für die Probleme dieses Landes. Weitaus weniger wollen sie tatsächlich lösen. Die sitzen in Gemeinderäten oder tristen Tagungsorten von Parteien, Gewerkschaften und Verbänden. Sie diskutieren auf Schulpflegschaftssitzungen oder Vereinsversammlungen – samt Jubilarehrung und Bericht der Kassenprüfer. Sie sammeln Geld, sie streiten, sie ackern. Und sie werden ständig weniger.

Viele reden, wenige machen

Auch der Andrang in Profi-Jobs nimmt ab. Bürgermeister oder Abgeordnete zu sein, bedeutet ständige Verfügbarkeit, gnadenlose Öffentlichkeit und lange Arbeitszeiten bei vergleichsweise mäßiger Bezahlung. Dazu Beschimpfungen auf allen Kanälen oder, wie in Minden, ein Mob mit Fackeln vor dem Haus. Wer das in Kauf nimmt, muss noch andere Motive haben, als die häufig unterstellte Machtgier. In den allermeisten Fällen ist es tatsächlich Gestaltungswillen.

Ja, auch in der Politik gibt es schlichte und brillante Geister, fleißige Expertinnen und arbeitsscheue Selbstdarsteller. Aber warum sollte es im Bundestag anders sein als in Unternehmen, Sendeanstalten oder Zeitungshäusern?

Man kann und soll die Akteure in diesem System kritisieren. Die Bundesregierung lieferte dafür zuletzt reichlich Anlass. Aber man darf das System selbst nicht beschädigen, will man die Freiheit behalten. Also sollten wir aufhören, die Demokratie und den Kompromiss verächtlich zu machen. Wer den Populisten folgt und Fakten für entbehrlich hält, muss sagen, wie er Mehrheiten organisieren will. Der Versandhandel liefert keine Gesetze.

Dieser Beitrag wurde am 16.6.23 in der Neuen Westfälischen erstveröffentlicht

Zum Autor: Klaus Schrotthofer ist Herausgeber der „Neuen Westfälischen“ und des „Haller Kreisblatts“. Er ist zudem Geschäftsführer der NW-Mediengruppe in Bielefeld.

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