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Das darf doch wohl nicht wahr sein – Die rechtsextreme AfD vor der SPD

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
24. Juni 2023
Nein zum Menschenhass

Auch wenn Umfragen nur Stimmungen wiedergeben, kann ich über das Ergebnis des neuen Deutschlandtrends den Kopf schütteln: Die rechtsextreme AfD hat die SPD überholt, liegt demnach mit 19 Prozent vor der SPD mit 17 Prozent. Die älteste deutsche Partei, die den Kaiser und Bismarck überlebte, die Nazis und die Kommunisten, deren Mitglieder für ihre politische Überzeugung verhaftet und ermordet wurden, hinter einer Partei, die unser parlamentarisch-demokratisches System beseitigen will, die die EU überwinden will, die fremdenfeindlich ist und in Teilen antisemitisch. Angeblich aus Protest gegen die Politik in Berlin, gegen die da oben, die Eliten wollen also mehr und mehr Deutsche den Altparteien eins auswischen. Und deshalb stimmen sie für die AfD? Das geht gar nicht. Wo landen wir denn, wenn das so weitergeht? Sind die denn von Sinnen?

Gerade las ich einen Bericht über die Stichwahl eines Landrats im thüringischen Sonneberg. Dort könnte der erste AfD-Landrat am Sonntag gewählt werden. Ein Team von „Spiegel TV“ war dort unterwegs, um die Stimmung einzufangen. Ohne Widerspruch der Umgebung, so steht es bei t-online, habe ein Mann, Mitte 50, in die Kamera gesagt, dass er auch die NSDAP wählen würde. Ein Journalist habe dazwischen gerufen: „Die NSDAP hat 6 Millionen Juden getötet“. Der Mann habe nur dazu geantwortet: „Na ja.“ Sind wir wieder so weit, dass das kein Thema mehr ist, der Massenmord der Nazis an den Juden, die Konzentrationslager, der Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion, der unter dem Namen „Barbarossa“ am 22. Juni 1941 begonnen hatte und der  z. B. in Russland und der Ukraine 27 Millionen Tote gekostet hatte? „Na ja“. Interessiert das keinen mehr, was Faschisten und Nationalsozialisten angerichtet hatten? Deutschland den Deutschen, das hört man ja schon wieder aus der rechten Ecke. Es sind nicht nur die Ewiggestrigen, die so schwadronieren. Es gibt andere, die so ähnlich reden und im Grunde das Geschäft der Rechten betreiben. 

Es ist verantwortungslos

„Sie werden doch nicht“, heißt der Titel der Seite-3-Reportage in der „Süddeutschen Zeitung“. Sie werden doch nicht einen AfD-Mann zum Landrat wählen, ergänze ich den Titel. Und bin mir wie die SZ nicht so sicher, dass die Menschen in Sonneberg das nicht tun. Aus Protest?  Ich halte das für verantwortungslos, der AfD die Stimme zu geben. Einer Partei, die in Thüringen von Björn Höcke angeführt wird, einem Radikalen unter den Radikalen. Einem Mann, der einst das Holocaust-Mahnmal neben dem Brandenburger Tor als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Es wurde dort errichtet zum Gedenken an die 6 Millionen von den Nazis ermordeten Juden in ganz Europa. 

Sie werden doch nicht… Im ersten Wahlgang bekam AfD-Kandidat Robert Sesselmann 47 Prozent der Stimmen, der CDU-Bewerber Jürgen Köpper kam gerade auf knapp 36 Prozent. Jetzt haben SPD, Grüne, FDP und die Linke dazu aufgerufen, bei der Stichwahl dem CDU-Kandidaten die Stimme zu geben. Sonneberg ist ein kleiner Flecken in Deutschland mit 50000 Wahlberechtigten, zur Wahl gegangen waren nur 48 Prozent der Thüringer. Als wäre es ihnen egal, wer da gewählt wird. Und wenn der von der AfD ist, ist es auch in Ordnung. Oder? Sesselmann ist ein Anwalt, Landtagsabgeordneter, aufgewachsen in Sonneberg, man kennt ihn, er kennt sie. Die SZ zitiert den Bürgermeister von Steinach, Ulrich Kurtz. Steinach liegt nur 15 Autominuten entfernt von Sonneberg. „Es gehen diejenigen zur Wahl, deren Motivation ist: Denen muss man eins auswischen. Denen da oben. Der Elite. Den  Altparteien“.  Und deshalb wählen sie eine Partei wie die AfD, die laut Verfassungsschutz ein „rechtsextremistischer Verdachtsfall ist?

Das mit dem Verfassungsschutz hilft der AfD wohl eher  als dass es ihr schadet. Verfassungsschutz, Altparteien, Elite, Berlin und dagegen die Märtyrer-Rolle der AfD. Dabei ist Thüringen ein schönes Land. Was aber nichts darüber aussagt, dass  hier, wo sie jahrelang den CDU-Politiker Bernhard Vogel mit großer Mehrheit gewählt hatten, ein nicht zu verachtender Teil sich zum Handlanger eines Björn Höcke macht.

Streit ist nötig in der Demokratie

Mir reichen die Erklärungen nicht, dass die Ampel in Berlin schuld sei. Mag sein, dass der Streit über die Heizung der Zukunft manche verunsichert hatte. Man hätte sich eine bessere Vorlage seitens des Grünen Wirtschaftsministers gewünscht. Stimmt. Aber ein Teil der Medien hat natürlich den Fehler von Robert Habeck dazu benutzt, um ihm und seinem Ruf zu schaden. Heiz-Hammer hieß eines der Schlagwörter im Boulevard in großen Buchstaben. Heiz-Hammer, gegen uns da unten gemünzt, sollte das heißen, gegen die Kleinen, die Unterdrückten. Der Streit an sich war und ist in der Demokratie immer nötig, der Streit über den richtigen Weg zum Ziel. Das Ziel: Weg von Kohle, Gas, Öl, Atom hin zu sauberer Energie wie Wind, Sonne, Wasser, Geothermie. Letzteres bleibt richtig, dauert aber länger, muss besser erklärt und wohl auch sozialer abgefedert werden. Und am Ende steht dann der Kompromiss. Ein demokratischer Vorgang.  

„Wir als AfD wollen nicht, dass Deutschland zum Weltsozialamt wird“. Da ist die Neiddebatte gegen Flüchtlinge, die sogenannten Einwanderer in deutsche Sozial-Systeme, wie es CDU und CSU schon mal formuliert hatten,  darunter der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Damit hat die AfD schon immer Stimmung gemacht, gegen die Überfremdung, den Bevölkerungsaustausch, sie lebt von den Sprüchen aus dem sogenannten Volk, wonach Ausländer Geld bekommen, ohne dafür zu arbeiten. Sie profitiert vom Gequatsche der Menschen, dass da keiner mehr Deutsch spricht im Dorf. Unser Land, unsere Regeln, das sind ihre Sprüche auf den Plakaten, Mehrwertsteuer senken. Weil unsere Frauen kein Freiwild sind. Grenzen sichern. Das kommt bei ihren Anhängern an, und manches verfängt auch bei den Sympathisanten anderer Parteien wie der SPD, der CDU und den Grünen. Sie müssen ihre Sprüche nicht weiter erklären, Stammtisch-Parolen finden Zuspruch. Als könnte ein Landrat ein „Ende der Energie- und Wärmewende ins Nichts“ erklären oder gar herbeiführen. Ja, Handwerk hat goldenen Boden, den Spruch kennt jeder, aber nicht jeder könnte einen Job als Facharbeiter in einem Handwerk übernehmen, weil ihm die Qualifikation fehlt. Macht aber nichts, gegen Ausländer, die die Ampel-Regierung von Olaf Scholz nach Deutschland holen will, reicht es. Und dann wird noch das Gendern polemisiert. 

Die SZ-Reportage über Sonneberg wirft mehr als einen Blick auf die Menschen dort und den Wahlkampf, der an jeder Ecke ausgetragen wird, auch an der Tafel, wo angeblich Flüchtlinge fordernd aufgetreten seien, und deutsche Rentner, die selber kaum etwas hätten, nicht mehr zum Zuge kämen. Es findet sich auch eine Aussage, die man häufiger hören möchte: „Uns geht es doch gut“. Stimmt doch, oder? Aber dann liest man wieder von der Entfremdung, die Menschen, vor allem älteren Angst mache. Von Stephan Brandner ist die Rede in dem Report, Jurist, Vize-Chef der AfD, Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, ein Vertrauter von Höcke und Thüringer. Höcke ist in Lünen(NRW) geboren, hat länger gelebt in Neuwied (Rheinland-Pfalz), war Lehrer in Hessen. Brandner habe das Bundesverdienstkreuz für den AfD-Kritiker und Sänger Udo Lindenberg als „Judas-Lohn“ geschmäht. Nach dem mörderischen Anschlag auf die Synagoge in Halle habe Brandner einen Tweet geteilt, in dem gefragt wurde, warum Politiker nach dem Anschlag „in Moscheen und Synagogen rumlungern“, obwohl die beiden Todesopfer doch Deutsche gewesen seien. Mies ist das, widerlich. Brandner hofft, durch die Wahl in Sonneberg die Brandmauer zu kippen, die Isolation der AfD durch die anderen Parteien, die nicht mit ihr zusammen regieren wollen. Im Bund liegt die AfD in Umfragen jetzt vor der SPD, in Thüringen führt sie die Tabellenspitze mit rund 28 Prozent an.

Es geht rüde zu in Thüringen

Es geht teils rüde zu in Thüringen. Während der Pandemie, schildert die SZ, habe ein AfD-Stadtrat über seinen Facebook-Account das Foto einer Schafherde verbreitet, die auf dem schnurgeraden Gleis direkt auf das Tor von Auschwitz zugelaufen sei. Über dem Tor habe das Wort „Impfzentrum“ gestanden. Der AfD-Stadtrat Danny Schley-Rapöhn, zuständig für den Account, wurde wegen Volksverhetzung und Verharmlosung von NS-Verbrechen angezeigt und später verurteilt. Der Ankläger, Steinach-Bürgermeister Ulrich Kurtz, sei daraufhin von dem AfD-Mann in einer E-Mail beschimpft worden: „Du Stasi ausgebildetes Arschloch. Willst mir vorn Koffer pissen wegen Satire Bilder..Solche Schweine wie dich gehören einfach…“

Ulrich Kurtz weiß auch von anderen Rüpeleien, besser Schweinerein zu berichten. So habe einmal eine tote Maus in einem Briefumschlag gelegen, in einem anderem Umschlag habe sich ein Strick befunden mit dem Werbespruch eines bekannten Baumarkts: „Respekt, wer´s selber macht.“

Zivilcourage ist nötig im Kampf gegen die AfD, die die anderen einschüchtern will. Wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehrfach eingefordert hat. „Die Demokratie braucht Demokraten, die sie verteidigt.“ Am Arbeitsplatz, in der Kneipe, beim Einkaufen, im Bundestag, in der Schule. Und am Wahltag. Wer sein Wahlrecht nicht wahrnimmt, stärkt die AfD. Es ist wahr, am Sonntag schaut das politische Deutschland nach Sonneberg. Es darf nicht sein, dass einer wie Höcke Recht bekommt: „Die Bundesrepublik würde beben, und das muss unser Ziel sein .“ Jede Stimme für die AfD ist erschreckend, ihr Sieg wäre ein Armutszeugnis für unsere Demokratie.

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