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Oskars Kündigung löste in Bonn ein Beben aus – Erst mit der SPD, dann mit der Linken, jetzt mit Sahra W. 

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
10. März 2024
Oskar Lafontaine, als Kanzlerkandidat der SPD , 1990

Der 11. März 1999 war ein Donnerstag. Eigentlich nichts Besonderes.  Am Tag zuvor hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im rot-grünen Kabinett auf den Tisch gehauen. Schröder machte den Ministern klar, dass mit ihm eine wirtschaftsfeindliche Politik nicht zu machen sei. So wurde es später interpretiert von den Kanzler-Erklärern.  Es folgte kein Widerspruch. Man verließ die heiligen Hallen des Amtes. Nichts weiter, so schien es. Doch einen Tag später war es mit der Ruhe am Rhein vorbei. Drei Briefe schrieb Oskar Lafontaine, einen an den Kanzler, einen an die SPD, einen an Wolfgang Thierse, den Bundestagspräsidenten. Inhalt Rücktritt von allen Ämtern, mit sofortiger Wirkung. Die politische Bombe erreichte die Redaktionen um 18 Uhr. Rums, Schock. CDU-Chef Wolfgang Schäuble reagierte kurz und trocken: Schröder ist gescheitert. So weit war es nicht, aber Bonn hatte ein Beben erfasst. Geschehen vor 25 Jahren.

Die SPD-geführte Regierung ohne ihren Architekten Oskar Lafontaine. Ohne Vorwarnung. Drei Sätze an Schröder und weg war er, ab ins Saarland, für niemanden zu sprechen. Auch nicht oder besser vor allem nicht für Schröder. Der stand nach einem halben Jahr ohne seinen mächtigen Bundesfinanzminister da, ohne, dass er das hätte erklären können.  Klar war nur der Bruch zwischen den sogenannten Parteifreunden, zwischen die früher kein Stück Papier passte, wie sie das mal der Öffentlichkeit gesagt hatten. Politiker sind immer auch gute Theaterleute. Aber jetzt half nichts mehr. Schröder rief Joschka Fischer, den Grünen Vize, herbei. Und nun? Alles vorbei? Ende der rot-grünen Träume? Nach einem halben Jahr alles vorbei?

Man muss sich das heute einmal vorstellen, sich die ganze Vorgeschichte vor Augen führen, bedenken, dass die SPD jahrelang in der Opposition saß, anscheinend machtlos gegen die Schwarzen. Angefangen hatte es ausgerechnet mit einem Helmut Kohl, dem Franz-Josef Strauß, der CSU-Chef ,Jahre zuvor bescheinigt hatte, er könne nichts und er werde nie Bundeskanzler. Und dem, den Kritiker gern als Birne verspotteten, war am 1. Oktober 1982 das Kunststück gelungen, den SPD-Kanzler Helmut Schmidt mithilfe der FDP und eines konstruktiven Misstrauensvotums abzulösen. Die SPD war geschockt und geriet in eine schwere Krise, wieder einmal, aus der sie sich erst Jahre später befreien konnte. Kohl wurde zum schwarzen Riesen, an dem die SPD-Herausforderer Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping scheiterten. Erst 1998 gelang es Gerhard Schröder, und man muss betonen zusammen mit Oskar Lafontaine, dem Parteichef, den ewigen Kohl bei der Bundestagswahl zu schlagen. Nach 16 Jahren.

Einmal an der Macht, wollten sie nicht alles anders, aber sie wollten es besser machen. Und gerieten doch schnell aneinander. Soziale Kürzungen nahmen sie vor, der Jugoslawien-Krieg sorgte für Unruhe in den rot-grünen Reihen, die Landtagswahl in Hessen ging verloren, weil die dortige CDU sie zu einer Abstimmung über den Doppel-Pass machte. (Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben? hieß es an den CDU-Ständen)Das mit den Freunden war so eine Sache, wer genauer hinschaute und hinhörte, merkte sehr schnell, dass Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine zwar einer Partei angehörten, der SPD, und dort der Enkel-Generation, wie die Journalisten die Nachfolger von Willy Brandt und Helmut Schmidt, nannten. Oskar Lafontaine hatte die Partei „kampffähig“ gemacht, wie Rolf-Dieter Krause das nach dem Rücktritt Schröders formuliert hatte, kampffähig, das war es. Einig gegen Kohl.  Der Saarländer hatte die Reihen in der SPD geschlossen und so traten sie der Kohl-Garde entgegen und die merkten bald, dass die jungen Genossen es ernst meinten. Sie wollten ins Kanzleramt, Kohl endlich aufs Altenteil schicken. 1998 war es so weit. Schröder triumphierte.

Sie waren Kontrahenten

Kontrahenten waren sie, Schröder und Lafontaine, der eine beäugte den anderen, der Niedersachse Schröder war der volkstümliche Typ, der gern die Ärmel hochkrempelte und der, legte man ihm einen Fußball auf den Punkt, diesen dann auch ins Tor hämmerte. Er hatte ja auch Fußball gespielt in seiner Jugend. Acker hatten sie gerufen, weil er so ackerte. Eitel waren beide, mit Machtanspruch, der Saarländer eher ein Stück weit arrogant, er lästerte schon mal über seinen Mitstreiter, weil er sich für den Intellektuellen hielt, den Kunstkenner, während Schröder mehr den Draufgänger gab. Basta-Kanzler wurde er. Lafontaine war einst der Lieblings-Enkel von Willy Brandt, aber mit der deutschen Einheit konnte der Oskar wenig anfangen, warf Brandt Deutschtümelei vor, weil dieser einräumte, dass sich mit der Einheit für ihn ein Traum erfüllt hatte.

Eigenwillig, überheblich, so erlebte ich den Saarländer, der von sich überzeugt war und der sich von den großen Medien wie „Spiegel“, „Stern“, „Zeit“ und Süddeutsche Zeitung“ feiern ließ. Schröder dagegen ließ verlauten: Er brauche für seine Politik nur Bild, Bams und Glotze.

Die Linke in der SPD hätte sich damals, am 11. März 1999, gewünscht, dass Gerhard Schröder zurücktreten würde, weil sie ihm nicht über den Weg traute, ihn für einen Populisten hielt, der gern mit den Bossen der Wirtschaft tafelte und die Meinung vertrat: Geht es den Unternehmen gut, geht es auch den Beschäftigten gut. Was sich nett anhörte, aber sich in der Realität doch eher als wirtschaftsfreundlicher Kurs des Kanzlers herausstellen sollte. Man denke nur an die Agenda 2010, die die SPD beinahe zerriss.

Zurück zum 11. März 1999. Lafontaines Rücktritt  löste an der Börse Frohlocken aus, der DAX schoss in die Höhe, der Euro legte zu, die Wirtschaft reagierte mit großer Freude, dass sie ihre Reizfigur verloren hatte. Aber wer weiß, was passiert wäre mit einem Bundesfinanzminister Lafontaine? Hätte er im Kabinett gegen den Kanzler Schröder bestehen können? Warf er nicht die Brocken hin, weil er ahnte, dass er diesen Kampf verlieren musste? Kampf konnte Schröder auch, er hatte die Partei hinter sich, die starken Seeheimer waren seine Freunde, hinter Oskar versammelte sich die Linke und ein Teil der Funktionärs-Elite der Partei. Der niedersächsische Landesverband war ungleich stärker als die paar Genossen an der Saar, die im Grunde dem SPD-Ortsverein in Köln unterlegen waren. Dazu kam der mitgliederstärkste Landesverband NRW, der Schröder schon im Wahlkampf unterstützt hatte. Und der aber auch einer der ersten war, der ihm Paroli bot, als man merkte, wohin die Reise des Kanzlers gehen sollte. Ich habe einen Parteitag der SPD-NRW in guter Erinnerung, als man dem Kanzler dort die Leviten las.

Viele verließen die SPD

Und heute? Gerhard Schröder, der damals die Nachfolge Lafontaines als SPD-Chef übernahm, weil er es musste, scheiterte in dieser Rolle, weil er die Einigung der SPD nicht hinbekam. Mehr noch, Tausende und Abertausende verließen die SPD. Sein Nachfolger Franz Müntefering(SPD-Vorsitz ist schönstes Amt neben Papst) war volkstümlich wie der junge Schröder, aber näher bei den Leuten. Unter seiner Führung beruhigte sich die Partei ein wenig, fand aber nie mehr zu alter Stärke zurück. Längst ist Schröder an den Rand der SPD geraten, nicht wenige hätten ihn am liebsten wegen seiner Nähe zu Russlands Präsidenten Putin aus der SPD geworfen. Im letzten Herbst ehrten ihn die Niedersachsen für 60jährige Parteimitgliedschaft. Anfang April wird er 80, die SPD wird ihm den großen Bahnhof verweigern, den er gern hätte. Keine Frage, auch einer wie er will geliebt werden.

Und Oskar Lafontaine? Er ist im Grunde bis heute eine schillernde Figur geblieben. Er verließ die SPD(„die Entscheidung in meinem politischen Leben, die mich am stärksten belastet hat“) mit der er fast alles erreicht hatte, Oberbürgermeister von Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlandes, SPD-Parteichef, Bundesfinanzminister. Er lief zur Linken über, war dabei, als die Links-Partei gegründet wurde. Er wurde noch einmal Vorsitzender der Links-Fraktion im saarländischen Landtag, einer Mini-Fraktion. Man bedenke, der Mann war dort mal Ministerpräsident, er hatte was zu sagen, er hatte Macht, damals strömten Journalisten aus der ganzen Republik an die Saar, um dem „Napoleon“ zuzuhören, wie wir ihn scherzhaft nannten. Dann trat er aus der Partei aus. Vor ein paar Monaten ist er 80 Jahre alt geworden, hat sich mit Schröder versöhnt. Zeit fürs Altenteil? Er hat zwar kein Amt mehr inne, aber Politiker ist er durch und durch. Er ist in vierter Ehe verheiratet mit Sahra Wagenknecht, der Politikerin, die die Links-Partei verlassen und mit dem Bündnis-Sahra- Wagenknecht, BSG, genannt, eine neue Partei gegründet hat. Die Medien, und da dürfte der alte Fuchs Oskar seine Finger im Spiel gehabt haben, haben Sahra und der BSG viel Aufmerksamkeit gewidmet, seitenweise wird in den Zeitungen über sie berichtet, kaum eine Talkshow lässt sich die Anwesenheit der Sahra Wagenknecht entgehen. Und sie liegt im Medien-Trend, sie attackiert die Ampel im Stile von Merz und Söder, von denen sie sich aber in einem großen Punkt unterscheidet: Sahra Wagenknechts BSG liebäugelt mit Russlands Putin. Da ist sie nahe bei Schröder und ihrem Gatten Oskar, der zwar Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine kritisiert, weil er diesen als völkerrechtswidrig bezeichnet, der aber im gleichen Atemzug die Politik der USA und der Nato mit Deutschland unter Feuer genommen und dem Westen eine Mitschuld wegen der Osterweiterung der Nato vorgehalten hat.

Der Mann hinter Sahra Wagenknecht wird im Wahlkampf eine Rolle spielen. Wieder mal. Er weiß ja, wie es geht. Populismus kann er. Immer noch. Auch 25 Jahre nach seinem Rücktritt, der vieles veränderte. Der Mann wird nicht aufhören, nicht jetzt.

Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-1990-1025-300 / Gahlbeck, Friedrich / CC-BY-SA 3.0

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