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Freie Fahrt für freie Bürger? Nach der Flut ist vor der Dürre

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
4. Juni 2024
Hochwasser Passau

Wir waren schockiert, als wir im Urlaub an der Ostsee vor drei Jahren die Bilder über die Hochwasser-Katastrophe an der Ahr im Frühstücksfernsehen sahen. Lieferwagen wurden zu Spielbällen der Wassermassen, nichts schien die Kraft des Wassers aufhalten zu können. Meterhoch wurde das idyllische Tal, in dem man sonst bei Sonnenschein gern ein Viertel Rotwein trinkt und dazu etwas Schinken und Käse verzehrt, quasi geflutet, 135 Menschen starben, Häuser wurden zerstört. Bilder des Entsetzens. Auch an der Erft in NRW kam das Wasser in solchen Massen, dass Straßen und Häuser unter Wasser standen, Menschen ums Leben kamen. Vor Wochen meldeten Teile des Saarlands Land unter. Seit Tagen werden wir in Deutschland durch die Hochwasser-Bilder in Bayern und Baden-Württemberg schockiert. Wasser, überall Wasser, aus Flüsschen wie die Schmutter nördlich von Augsburg, die keiner von auswärts kennt, werden reißende Ströme und die Tagesschau berichtet. Tag für Tag.

Eine Katastrophe. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Zehntausende Helfer der Feuerwehr, die einen Toten zu beklagen hat, weil sein Boot kentert, als er helfen will, Leute vom Roten Kreuz sind zur Stelle, Bürgerinnen und Bürger im Einsatz beim Füllen von Sandsäcken. Land unter, nicht irgendwo in Bangladesh oder in Afrika, sondern hier bei uns. Mitten in Deutschland. Der Klimawandel macht keine Pause, weil eine Partei wie die FDP oder die CSU sich gegen neue Bürokratien wehrt, gemeint andere Energien statt der alten fossilen Energieträger. Ich muss das polemisieren, es ist ein wenig anders, aber es ist auch so, wie geschildert. Zum Beispiel verhindert die FDP seit Jahren ein Tempolimit, eine Mini-Maßnahme, die vieles bringen würde, für die Umwelt, weniger Tote und Verletzte. Aber für die Liberalen gilt: Freie Fahrt für freie Bürger. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und wenn ich an all die CSU-Bundesverkehrsminister denke, von Ramsauer über Dobrindt bis zu Scheuer, fällt mir dazu ein, dass diese Herren eigentlich Verkehrtminister(SZ) genannt werden müssten.

Nach der Flut ist vor der Dürre, titelt die SZ im Feuilleton. Die Klima-Katastrophen seien gekommen, um zu bleiben. Und natürlich wird bei uns diskutiert, was sich alles ändern müsste und im Grunde passiert nichts. Höhere Dämme, Überflutungsräume, weniger Beton, mehr Wiesen statt Asphalt, und und und. Es ist ja nicht neu, was in Bayern und Baden-Württemberg passiert. Und weil es in ziemlicher Regelmäßigkeit passiert und zwar seit Jahrhunderten, zucken nicht wenige mit den Schultern: Is halt so! War immer schon so. Die Sintflut als Stichwort.

Dreiflüssestadt Passau

Früher war das schöne Passau fast immer im Blickfeld gestanden, wenn die Donau über die Ufer schwappte. Dazu der Inn und die Ilz. Passau, die Dreiflüssestadt. Jetzt hören wir von Pfaffenhofen, davon, dass die A9 bei Ingolstadt gesperrt werden musste, dass Manching betroffen ist. Dann ist die Isar in München Thema der Fernseh-Berichte. Die Isar, wo die Nackten und die Schönen sich im Sommer aalen, wo wir vor Jahren eine herrliche Radtour gemacht haben, dann in den Biergarten gingen. Und jetzt nur noch Wasser, überall Wasser. Wir in Bonn kennen uns aus mit Hochwasser, die in Köln auch. Jahr für Jahr kommt der Rhein aus seinem Bett, sind die Radwege entlang des Flusses überschwemmt, bauen sie in der Domstadt ihre Wassersperren mit Alu-Bohlen auf, um die Altstadt zu sichern. Und wenn möglich dahinter stehend ein Kölsch zu trinken und
zu singen. Einmal im Jahr kütt der Rhing aus dem Bett…

Dabei ist das alles nicht spaßig. Hochwasser in Augsburg, Reichertshofen, Günzburg ist betroffen. Dann wieder Meldungen über Regensburg, Kelheim. Erinnerungen werden wach an das Hochwasser vor Jahren, das Deggendorf unter Wasser setzte. Existenzen sind bedroht, wer ist schon gegen solche Katastrophen versichert. Es fehlt eine allgemeine Elementar-Pflichtversicherung. Die SZ weist daraufhin, dass sich die FDP dagegen sträube. Weil sie so frei ist wie sie ist? Liberal halt, nicht schon wieder mehr Bürokratie? Jedenfalls ist nichts geschehen, das Menschen in diesen Notlagen helfen könnte.

Hochwasser. Wir kennen das aus Hamburg. 1962. Eine Springflut, die die Hansestadt mit voller Wucht traf. Damals machte sich ein gewisser Innensenator Helmut Schmidt einen Namen, als er nicht lange fackelte, sondern einfach die Bundeswehr um Hilfe anrief, Gesetze hin oder her. Hochwasser überfluten regelmäßig die Ufer von Mosel und gerade eben der Saar, riesige Schäden sind die Folgen. Wenn man im Internet nachschaut, stehen auch andere Flüsse oft dafür, der Rhein wie schon erwähnt, die Donau, die Ems, die Ahr, der Lech, die Isar. die Elbe, die auch Dresden unter Wasser setzte und sogar ein feines Hotel nicht schonte. Auch die Weser trat und tritt über die Ufer, wie die Oker in Niedersachsen. Wer in Wolfenbüttel wohnt, weiß um die Gefahren. Vor Jahren soffen Ortschaften im Osten Deutschlands ab. Kaum eine Region in der Republik bleibt verschont. Der übliche Regen oder doch Folgen des Klimawandels?

Wir lernen aus der Geschichte? Kann ich mir nicht vorstellen, wenn ich an die wachsende Zustimmung von Rechtsextremisten denke und an die Umfrageergebnisse der AfD. Wir lernen aus Erfahrungen? Schön wärs. Aber warum ist dann nach Hochwasser-Katastrophen so wenig passiert? Trotz Tod und Zerstörung, trotz Zusammenbruchs von Firmen, die vom Wasser in den Abgrund gerissen wurden. Warum bauen wir weiter so nah am Fluss, wissend, dass er, wenn über die Ufer tritt, unsere Keller mit Wasser füllt, Dreck hinterlässt, Möbel zerstört, wenn er in die Wohnstuben fließt, ja das ganze Haus in Tausend Stücke reißen kann. Tränen über Tränen der Eigentümer, weil sie nicht wissen, wie sie das alles bezahlen sollen. Es geht, argumentiert Gerhard Matzig in der SZ zu Recht, um Physik, um physikalische Regeln, es geht nicht um Mystik, es ist keine Frage der Religion und des Glaubens, es ist eine Frage des Wissens und der Ignoranz, dass wir das Wissen nicht einsetzen. Die Menschen folgen nicht den Erkenntnissen. Nicht nur in Deutschland. Wenn das Wasser wieder abgeflossen ist, die Schäden beseitigt sind, wir uns wieder eingerichtet haben, ist alles gut.

Häuser wieder aufgebaut

Häuser werden wieder aufgebaut, auch an der selben Stelle, wo das Hochwasser war. Grundstücke sind teuer. Wo an der Ahr sollen die Menschen denn bauen? Die Enge des Tals macht ja die Idylle aus, von dort blickt man auf die nahen Weinberge, durch die sich der Rotweinwanderweg schlängelt. Dort droben droht kein Hochwasser. Aber unten in den Wirtsstuben, Weingärten, dort wo es gemütlich ist, kann es gefährlich werden.

Wir kennen die Bilder, die 2002 den Bundeskanzler Gerhard Schröder im Wahlkampf im Osten Deutschland zeigten, wie er entschlossen mit Gummistiefeln an die Kante des Hochwassers ging, das Fernsehen drehte, die Fotografen drückten auf den Auslöser. Schröder, der Mann der Tat. Dagegen zögerte sein CSU-Herausforderer Edmund Stoiber, Unions-Kanzler-Kandidat und wartete zu lange, ehe er sich auf den Weg zum Donau-Hochwasser und später nach Sachsen begab. Stoiber verlor die Wahl, ob deswegen? Jedenfalls erinnere ich mich sehr gut an die Stimmung in Dörfern im Osten. Stoiber droht im Hochwasser unterzugehen, hieß es.

Und doch fragt man sich, warum denn zumindest die Dinge nicht gemacht werden, die die Architektur hergibt, der Städtebau. Die SZ nennt: aufgeständerte Bauten, schwimmfähige Bauten, kellerlose Häuser, abgedichtete Keller und zwar ohne Ölheizungen darin, grüne Dächer, Bauweisen, die in Zeiten von zu viel Wasser das Element speichern, damit wir es nutzen können in Zeiten, da es an Wasser mangelt. Denn nach der Flut ist vor der Dürre. Schwammstädte, also mehr grüne statt betonierte Städte, Abkehr von immer mehr Siedlungsraum, dem zu dichten Bebauen des Raumes, mehr Wiesen statt Versiegelung. Man kennt das alles. Auch die Bilder von zunehmenden Schottergärten gehören hierhin, wir sollten sie ersetzen, schön sehen sie eh nicht aus. Und, so die SZ: „Wasser staut sich dort, wo Versickerungsflächen fehlen“. Stimmt.

Wärmer werdende Luft

Zu wenig und zu viel Wasser haben miteinander zu tun. Eine immer wärmer werdende Luft nimmt immer mehr Feuchtigkeit auf und gibt sie wieder ab, aber nicht so kontrolliert, dass alles schön verteilt wird. Sondern es kommt schon mal in Massen und prallt auf die zu harten Böden, weil versiegelt oder knochentrocken, es kann nicht eindringen in die Böden, es kommt zu Überschwemmungen. Und eben auch zu Dürren. Wir haben das erlebt, man denke an die Bilder aus Brandenburg.

Aber Änderungen kosten Geld, bedeuten Verzicht. Es braucht Politiker, die den Mut haben, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Wer soll das bezahlen, neue Heizungen? Die Leute lieben das nicht. Erinnern Sie sich an den Aufschrei, als der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck die Heizwende ankündigte? Von Bild und anderen Medien angefeuert, erlebte der Minister sein Waterloo. Medien heizten das gesellschaftliche Klima so an, als stünde der Untergang des Abendlandes bevor. Klar, es wird teuer werden, die Bauwende, die Heizwende, aber sie werden nötig sein. Und es wird kaum billiger werden, wenn wir warten. Es könnte eine andere Regierung ans Ruder kommen, mag sein, dass das gewünscht wird. Aber ob diese Regierung mit Merz/Söder/Wüst es anders machen würde, könnte? Ob eine andere Regierung den Klimawandel einfach ignoriert? Zu teuer? Weil nach der Wahl vor der Wahl ist? Jeder will wieder gewählt werden. Wählerinnen und Wähler können schnell vergessen, wer was aus welchen Gründen nicht gemacht hat, um die Kundschaft zu schonen.

Die Lebensbedingungen ändern sich, rapide. Es wird wärmer, und weil das so ist, wird es mehr Stürme, kann sein Hurrikans geben, gerade wurde in Hagen ein Kirchturm von einem solchen Sturm quasi abgerissen. Wumms. Es wird mehr Dürren geben, immer wieder auch Hochwasser-Katastrophen, auf die wir uns einstellen müssen, gleich, wer regiert, ob Schwarze, Rote oder Grüne. Der Klimawandel macht nicht Halt vor Deutschland, weil wir Wahlen haben. Wir sollten das zur Kenntnis nehmen und handeln. Mit Gummistiefeln ist es nicht getan. Das wissen die Herren Scholz und Söder, die gerade an die vom Hochwasser betroffenen Orte in Bayern eilten, um den Menschen ihr Mitgefühl zu zeigen, Solidarität, und um ihnen zu versichern, dass man helfen werde, der Bund und das Land, auch finanziell. Man kann, wie es ein Landrat getan hat, seinen Porsche vor den Fluten retten, aber sich nicht vor der politischen Verantwortung drücken.

Bildquelle: flickr, Stefan Penninger, CC BY-SA 2.0

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