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Home Politik

Der Kanzler in seiner eigenen Welt

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
26. Juli 2024
Olaf Scholz im Dschungel

Wer Olaf Scholz bei der Pressekonferenz kurz vor seinem Sommerurlaub beobachtet hat im Saal der Bundespressekonferenz oder an den Bildschirmen, konnte das Gefühl bekommen, der Mann hat alles im Griff, die Ampel, die Opposition, seine eigene Partei, die Themen, die es zu meistern gilt bis zur Neuwahl im September nächsten Jahres. Locker kam er daher, gelegentlich leicht grinsend, das Jackett geöffnet, ohne Krawatte. Ich gebe zu, das hatte was, aber nur für den, der sich davon blenden ließ. Denn die anderen, die ihren Kanzler kennen und die wirkliche Lage, haben danach nur abgewunken, weil die Lage, in der sich Scholz befindet, eine völlig andere ist. Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihn, den Kanzler, vermitteln die Daten nicht. Überhaupt nicht. Deshalb hat der Recht, der später kommentierte: „Der Kanzler lebt in seiner eigenen Welt.“

Nehmen wir die geplante Stationierung US-amerikanischer Marschflugkörper vom Typ „Tomahawk“ in Deutschland, über die man geteilter Meinung sein kann, wie wir im Blog-der-Republik ja auch berichtet haben. Scholz behauptete in Berlin, die Entscheidung darüber sei lange vorbereitet und sie sei „für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung.“ Ich würde hier gerne wissen, ob der SPD-Politiker und Bundeskanzler seinen Fraktionschef Rolf Mützenich eingeweiht hatte in seine Überlegungen. Denn der Kölner Sozialdemokrat zählt als Chef der SPD-Fraktion, die immerhin den Regierungschef stellt, und als langjähriger Außen- und Sicherheitspolitiker sicher zum Kreis derer, die Scholz mit dem oben genannten Zitat gemeint hat. Mützenich ist seit Jahren ein einflussreicher Politiker in Berlin, als Fraktionschef hält er den Laden zusammen. Dieser Laden ist nicht immer leicht zu führen, die SPD eine Debatten-Partei, die selbst dann weiter diskutiert, wenn Unsereiner der Meinung ist, nun sei alles gesagt. Dass diese Fraktion sich seit Monaten so ruhig verhält, ist Rolf Mützenich und seiner Besonnenheit und umsichtigen Führung zu verdanken. Nicht der Politik des Kanzlers.

Zu den Raketen. War Mützenich informiert? Ich weiß es nicht, vermute aber, dass Scholz seinen Parteifreund nicht vorab informiert hatte. (Warum ich das glaube? Weil der allwissende Scholz seinen Fraktionschef schon bei der Zeitendwende-Rede damals nicht vorab darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass er ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden für die Bundeswehr ankündigen und darüber hinaus verkünden werde, dass der Wehretat künftig um jährlich über zwei Prozent angehoben werde, was viele Milliarden Euro kosten wird- zu Lasten anderer Etats.) Anders ist die Wortmeldung des normalerweise loyalen Kölner Genossen nicht zu verstehen, hatte er doch nach Bekanntwerden der Nachricht über die Stationierung von Raketen in Deutschland u.a. gegenüber der Funke-Mediengruppe Bedenken gegen die Entscheidung von Biden/Scholz geäußert, Tomahawk-Raketen in Deutschland zu installieren, mit denen russisches Territorium zu erreichen wäre. Olaf Scholz sieht das offensichtlich im Gegensatz zu Mützenich als Teil dringend nötiger Abschreckung. Der Dissens ist da, darüber kann man nicht einfach hinwegsehen.

Militärische Eskalation

Zwar gelte es, angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die eigene Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Dabei dürfe man aber die Risiken nicht ausblenden. Rolf Mützenich sieht die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation, da die Raketen eine sehr kurze Vorwarnzeit hätten. Es erschließe sich zudem nicht, wenn allein Deutschland derartige Waffen stationieren wolle. Unter Lastenteilung innerhalb der NATO verstehe er was anderes. Zudem verfüge die westliche Allianz auch ohne neue Systeme über eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit. Er wünsche sich zudem, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung einbetten würde in ein Angebot zur Rüstungskontrolle.

Der Kanzler betonte dagegen: „Warum es uns immer geht, ist ja, einen Krieg zu verhindern.“ Das will aber Mützenich auch und das wollen auch andere, die einen Aufruf gestartet haben gegen die Stationierung neuer Waffen in Deutschland.  Mützenich erhielt Unterstützung vom SPD-Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner: „Zeitenwende heißt Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit, auch Wehrhaftigkeit, aber nicht, dass wir anfangen müssen, in der ganzen Welt aufzurüsten. Es heißt nicht, dass Abrüstung von gestern ist und wir der Rüstungsindustrie jeden Wunsch von den Augen ablesen. Es heißt auch nicht, dass wir Waffen in die ganze Welt exportieren und glauben, das wäre die neue Wirtschaftspolitik.“ Und man könnte hinzufügen, mehr Waffen bringen nicht automatisch mehr Sicherheit.

Die Debatte läuft seit Wochen. Wer Recht hat, weiß niemand. Aber es ist eine Diskussion, die die SPD in ihrem Innern trifft, ist doch die Partei immer auch eine Friedenspartei gewesen. Darauf hat kürzlich Klaus von Dohnanyi, der Hamburger SPD-Politiker, hingewiesen und der SPD und ihrem Kanzler Verrat an den eigenen Wurzeln vorgehalten. Brauchen wir wirklich mehr Waffen, andere, haben wir nicht im Sinne von Mützenich genug Abschreckungspotential, um die ganze Welt in die Luft zu sprengen? Dohnanyi zufolge kritisiere in der SPD so gut wie niemand den Kanzler, der nur für Kanonen werbe und nicht zugleich für Verhandlungen. Er bedauere das sehr, betonte der frühere Hamburger Bürgermeister. Die SPD habe ihre Kraft immer aus zwei Wurzeln gezogen, der Friedens- und der Sozialpolitik. „Seitdem die SPD die Wurzel Friedenspolitik abgehackt hat, verdient sie zu Recht keine besseren Wahlergebnisse, als sie heute bekommt.“

Ein harter Vorwurf, der so gar nicht zur Lässigkeit und Selbstgewissheit des SPD-Kanzlers passen will. Und zur vorgetragenen Zuversicht hinsichtlich seiner Wiederwahl schon gar nicht. Die SPD liegt verlässlich seit Monaten in allen Umfragen bei gerade mal 15 Prozent, noch hinter den Rechtspopulisten der AfD, die Union kriegt sie kaum noch zu sehen mit ihren stabilen Werten von über 30 Prozent. Aber Scholz ist überzeugt, er werde wieder für die SPD als Kanzlerkandidat kandidieren, obwohl andere Umfragen klar signalisieren, dass viele Sozialdemokraten sich von ihm abgewandt haben und ihn nicht mehr wollen. Das trifft auch für die Fraktion zu, in der -Stand heute- jeder Zweite befürchten muss, bei der nächsten Wahl nicht mehr wiedergewählt zu werden. Nur Scholz ist klar für  Scholz.

Ampel ist zerstritten 

Die Ampel ist wie immer zerstritten, Jeder kämpft gegen Jeden, von Gemeinsamkeiten sind SPD, die Grünen und die FDP weit entfernt, die FDP muss befürchten, aus dem Bundestag zu scheiden. Zu Recht, kann ich nur sagen, die Liberalen interessieren sich allein für eine Politik für die Reichen, damit kann man keinen Staat mehr machen. Gerade heute, da darüber diskutiert wird, die Reichen und die Superreichen, also die mehrfachen Millionäre und Milliardäre stärker zur Kasse zu bitten. Was nicht geschehen wird, weil die FDP das verhindert. Die Grünen stecken in einem Dilemma, weil einige ihrer Spitzenkräfte, darunter die Außenministerin Baerbock, die Friedenspolitik gegen die Waffenpolitik getauscht haben und wie die SPD dabei sind, eine ihrer Wurzeln zu zerstören. Die Folge: miserable Umfragewerte. Daran wird sich für alle Ampel-Parteien nichts ändern, weil sie nicht zueinander passen und jeder neue Streit Erfolge überdeckt.

In der Wirtschaftspolitik ist Stagnation angesagt, von einem Aufschwung ist weit und breit keine Rede. Die FDP lässt eine Lockerung der Schuldenbremse nicht zu, Investitionen in die marode Infrastruktur unterbleiben. Entsprechend ist die Stimmung mies- Ausnahme wie immer der Kanzler, der wieder mal verbreitet: Lasst mich nur machen, dann wird es schon werden. Wird es eben nicht, Herr Scholz. Es ist keine Lösung in der Migrationsfrage in Sicht, weil es die eine Lösung nicht gibt. Es reicht eben nicht, wenn der Kanzler betont, es werde nunmehr mehr abgeschoben. Und kaum etwas passiert. „Zu hohe Zuwanderung, gefühlte kriminelle Bedrohung und islamistisch begründete Gewalt“. Zitate des SPD-Bundestagsabgeordneten Joe Weingarten von der Nahe, also Rheinland-Pfalz, einer Region, wo die SPD seit über 30 Jahren den Ministerpräsidenten stellt und mit einer Ampel erfolgreich regiert. Joe Weingarten analysierte nach der für die SPD verheerenden Europa-Wahl: „Im Mittelpunkt unserer Politik müssen die realen Interessen der Mehrheit der Menschen stehen. Gender-Belehrungen oder Cannabis-Legalisierungen sollten wir uns sehr genau überlegen.“ Der Mann hat Recht, mir ist Gendern egal, sollen sie doch machen, aber nicht mich belehren wollen. Ich bin dann meinetwegen unmodern, alter weißer Mann.

Politik für die Mehrheit

Bleiben wir noch bei Weingarten, dessen Analyse ich nicht vergessen habe. Und ich frage mich immer mal wieder, ob den Kanzler eine solche Analyse nicht erreicht? Scholz weiß es besser? Wie immer. Weingarten spricht ein ganz wichtiges Thema an. „Wir sollten uns mehr um die Menschen kümmern, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen.“ So ähnlich hatte sich die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken geäußert: „Wir müssen wieder zu einer Geschichte kommen, dass die SPD an der Seite derer steht, die jeden Tag arbeiten.“ (Narrativ heißt das heue neudeutsch)Allein, dass sie das so betont hat, spricht dafür, dass die SPD es vergessen hat, für die da zu sein, die jeden Tag arbeiten. Nein, das ist kein Sozial-Neid, auch keine Polemik gegen Arbeitslose, sondern nur etwas Selbstverständliches. War die SPD doch mal die Partei der Arbeiter. Oder? Wenn der Eindruck entsteht, nicht nur durch die Bild-Zeitung, „dass jemand fürs Nichtstun so viel Geld bekommt, dass derjenige, der für ein bisschen mehr noch arbeiten geht, blöd ist,“ dann stimmt etwas nicht. Da hat der SPD-Mann von der Nahe Recht. Er scheint ein Mann mit Bodenhaftung zu sein wie die SPD aus Rheinland-Pfalz, nah bei den Menschen, sonst würde sie nicht dauernd wieder gewählt. Kleiner Hinweis: Rheinland-Pfalz war mal CDU-Land, regiert von einem gewissen Helmut Kohl, aus der Pfalz stammte einst auch Heiner Geißler, der legendäre CDU-Generalsekretär.

Den Kanzler scheint das alles nicht zu berühren, Fehler lässt er sich nicht ankreiden, obwohl seine SPD im Dauertief ist und nirgendwo ein Signal sichtbar, dass es aufwärts ginge. Sigmar Gabriel hat ihm vor nicht langer Zeit zugerufen, die Deutschen seien mit dieser Regierung fertig, damit ist auch Olaf Scholz gemeint und nicht nur wegen seiner mangelnden Kommunikationsfähigkeit. Alexander Schweitzer, der neue Ministerpräsident aus Mainz, Nachfolger von Malu Dreyer, rief seinem Parteifreund in Berlin kürzlich seinen Wunsch rüber: „Es muss deutlich werden, dass Scholz dieses Land führt.“ Das hatte Scholz zwar schon bei Regierungsantritt betont mit dem Satz: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Hat jemand was bemerkt in den bald drei Scholz-Jahren? Es ist doch eher so, dass wie so oft der Kanzler etwas nur gesagt, aber nicht getan hatte.

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