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Hitler und die Auslandspresse. Vom Sinn und Unsinn journalistischer Interviews mit Diktatoren

Jürgen Brautmeier Von Jürgen Brautmeier
17. November 2024
Titelfoto des Buches "Hitlers Interviews: Der Diktator und die Journalisten "

Die Geschichte der Auslandskorrespondenten der internationalen und hier vor allem der amerikanischen Presse in den zwanziger und dreißiger Jahren in Berlin ist relativ gut erforscht. Es gibt dazu zahlreiche Memoiren, aber auch wissenschaftliche Abhandlungen. Dennoch ist die Lektüre des neuen Buchs von Lutz Hachmeister lohnenswert und ein intellektuelles Vergnügen. Sein noch kurz vor seinem Tod fertiggestelltes Werk „Hitlers Interviews: Der Diktator und die Journalisten“ beleuchtet Hitler in seiner Rolle als Kommunikator. Der Untertitel des Buches signalisiert, wo das Hauptinteresse des Autors liegt, nämlich weniger auf den Interviews selbst – es ist keine Dokumenten- bzw.  Quellensammlung-, sondern auf dem Umgang Hitlers mit der Auslandspresse.

Bereits im einleitenden Kapitel fasst Hachmeister seine Beobachtungen dahingehend zusammen, dass der „völkische Faselant“ Adolf Hitler „mangels jeglicher philosophischer Grundbildung unfähig zu Selbstironie und dialektischem Denken“ war. Er habe deshalb auch keinen Sinn gehabt für dialogische Formen, die von der Spannung des Gesprächs mit einem Journalisten leben. Hierzu passt die Charakterisierung Hitlers Anfang 1923 und dessen Wirkung auf die Massen durch einen portugiesischen Journalisten: „Hitler ist ungebildet und hat nie eine wissenschaftliche Bildung genossen, er kann Ideen nicht mit Hilfe abstrakter Begriffe beschreiben; deswegen nutzt er vereinfachende Beispiele, sucht Ähnlichkeiten, Vergleiche mit konkreten Dingen. Vielleicht liegt darin seine Kraft, die Massen zu beeindrucken. Er ist ohne den geringsten Zweifel davon überzeugt, dass er im Besitz der absoluten Wahrheit ist.“

Die Interviews mit Hitler, oft in Reportagen oder Stories eingebettet, waren Deklarationen und Ansprachen, bei denen er sich ungern unterbrechen ließ. Dies galt sowohl für die relativ seltenen Interviews mit inländischen wie auch für die über einhundert Interviews mit ausländischen Journalisten. Davon fanden über sechzig mit amerikanischen und britischen Pressevertretern statt, aber es gab auch solche, weit seltener, mit italienischen (17) und französischen (8) Befragern.  Interviews etwa mit Japanern, Spaniern oder Portugiesen fielen dagegen so gut wie garnicht ins Gewicht.

Hachmeister teilt die Interviews, die Hitler den Auslandskorrespondenten gab, zeitlich in drei Phasen ein, nämlich die Frühphase seiner politischen Aktivitäten vor der Landsberger Haft, in der er „Mein Kampf“ schrieb und an seiner Ideologie arbeitete (1922 bis 1923), dann die besonders aufschlussreiche Phase zwischen 1930 und 1933, als die NS-Bewegung eine erkennbare Machtoption gewann und deshalb international interessant wurde, und schließlich die nach 1933, als Hitler diktatorisch herrschte. Nach dem Eintritt der USA in den Krieg brachen die Beziehungen mit den ausländischen Pressevertretern so gut wie vollständig ab. Das letzte nachweisbare Interview führte ein schwedischer Journalist im März 1944 – telefonisch. In allen drei Phasen ging es Hitler und seinen Propagandaleuten in den Interviews gerade mit den ausländischen Medien immer um eine Imageverbesserung, galt er doch außerhalb Deutschlands anfangs, so Hachmeister, eher als „clowneske Figur mit Chaplin-Bart“, dann nach den Wahlerfolgen von 1930 als der „schrille Exponent der völkischen Rechten“, und nach der Machtergreifung zumindest anfangs als „Staatsmann im preußisch-militärischen Hindenburg-Gewand“.

Hachmeister geht es nicht um Hitler aus einer Perspektive von außen oder um dessen Rhetorik, die vielfach beschrieben und analysiert worden ist, sondern um seine Medienstrategie, ja seine „Medienbiografie“. Wohl zutreffend ist seine Feststellung, Hitler sei bis heute „ohne Zweifel der am besten erforschte und am umfangreichsten interpretierte Staatenlenker der Welt, mit gehörigem Abstand zu anderen Diktatoren, kriegslüsternen Monarchen und Autokraten wie Napoleon Bonaparte, Mao Tse-tung, Stalin, Franco oder Mussolini“. So treffend diese Feststellung ist, so richtig ist auch, dass Hitler die Interviews immer wieder nutzte „für taktisch-strategische Themensetzungen und glatte Lügen, die ihm gerade wichtig waren“. In derartigen Bewertungen zeigt sich Hachmeisters gründliches politisch-historisches Wissen und Urteilsvermögen ebenso wie seine stilistische Gewandtheit, die er als Medienforscher, Publizist und Filmemacher in zahlreichen Sachbüchern und Dokumentationen unter Beweis gestellt hat.

Die Kombination seiner Fähigkeiten hat Hachmeister für ein Buch über Hitlers Pressekontakte prädestiniert. Das intellektuelle Vergnügen stellt sich bei der Lektüre insbesondere dann ein, wenn er – zwar ohne direkten Bezug zu aktuellen Verhältnissen, aber unmittelbar übertragbar – Sätze zitiert wie die des französischen Psychologen und Soziologen Gustave Le Bon zur Psychologie der Massen aus dem Jahr 1895(!): „Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.“

Hachmeister ist selbstverständlich bewusst, welche Analogien sich zur Jetztzeit mit ihren Populisten und Autokraten geradezu aufdrängen, aber er warnt mit Blick auf die AFD oder Donald Trump auch explizit vor einfachen Vergleichen und undifferenzierten, ja falschen Analogien. Sein Interesse liegt neben den wesentlichen Inhalten einiger zentraler Interviews und den jeweiligen Interviewern und deren Haltung – zwischen Befremden, Ablehnung und Bewunderung -, insbesondere auf den Umständen des Zustandekommens der Treffen und ihrem historischen Kontext. Dabei erfährt der Leser viel über die zeitlichen Hintergründe und die Geschichte der Presselandschaft in den Herkunftsländern und insbesondere die Biografie der Korrespondenten. Nicht überraschend mag vielleicht sein, dass die Interviews von Hitlers Propagandaleuten, denen das Buch ein eigenes Kapitel widmet, inhaltlich gründlich vorbereitet wurden. So waren vorab die Fragen einzureichen und der Text musste anschließend autorisiert werden. Hachmeister gelingt es, den wichtigsten Personen, die im Umfeld des Diktators für die ausländische Berichterstattung zuständig waren, Profil zu verleihen. Inwieweit sich Hitler vor derartigen Pressekontakten selbst intensivere Gedanken machte, ist nur schwer abzuschätzen.

Das Buch behandelt einzelne dieser Pressegespräche ausführlicher. Die historische Einordnung der Interviews und ihrer Inhalte, die nicht wirklich überraschen, liest man mit Gewinn, weil sich Hitlers Ansichten ja durchaus weiterentwickelten und ausdifferenzierten. Wieviel davon bewusst kalkulierte, „glatte Lügen“ waren, sei dahingestellt. Aber Hitlers Versuche etwa in einem Interview im November 1933 mit einem französischen Journalisten und Bewunderer, die Frankreich-feindlichen Passagen in „Mein Kampf“ durch Friedensbeteuerungen zu entkräften, lassen Hachmeisters Urteil nachvollziehbar werden: O-Ton Hitler: „Man beleidigt mich, wenn man immer wieder sagt, dass ich Krieg will. Bin ich verrückt? Der Krieg regelt nichts. Er würde nichts lösen. Er würde den Zustand der Welt nur weiter verschlimmern.“ Oder seine 1935 einem polnischen (!) Interviewer gegebene Beteuerung: „Ich freue mich, dass die deutsch-polnischen Beziehungen auf einem guten Wege sind. Wir Deutsche werden die Fehler aus den vergangenen Jahrhunderten nicht mehr wiederholen. Ich bin glücklich über die Fortschritte, die wir in dieser Hinsicht in nur wenigen Monaten erreicht haben.“

Hachmeister nimmt bereits in der Einleitung seines Buches die Antwort auf die Frage vorweg, welchen Sinn derartige „Gespräche“ mit Diktatoren und Autokraten haben: „Sie ergeben sehr wenig Sinn.“ Dieser Einschätzung widerspricht nicht, dass die analysierten Interviews und ihre Einordung in einen Kontext äußerst lesenswert sind. Hachmeister liefert ein Bild Hitlers, das bisher unter diesem Aspekt, nämlich zu seinem Umgang mit der internationalen Presse und seinen eigenen Propagandaaktivitäten, nicht gründlich aufgearbeitet war. Gerade die Kombination aus Geschichts- und Medienwissenschaft, die der Autor mitbringt, zeichnet das Buch aus. Etwas enttäuscht wird allerdings die in der Einleitung aufgebaute Spannung, am Ende etwas mehr darüber zu erfahren, warum derartige Interviews keinen Sinn machen. Hachmeister beschreibt zwar Gespräche mit Alleinherrschern wie Putin, Assad, Hussein, Gaddafi, Mao Tse-tung und anderen. Und er beschreibt, wie wenig es selbst bekannte und versierte Journalisten wie Larry King oder Jörg Schönenborn schaffen, die Machthaber zu entlarven und thematisch mit ihren Fragen in die Enge zu treiben. Diesem Kapitel fehlt aber die Tiefe der vorherigen und es wirkt wie ein Nachklapp, auf den man auch hätte verzichten können. Und was vielleicht auch fehlt, sind Analysen der Medienstrategien des einen oder anderen Möchtegern-Diktators, deren Namen man nicht nennen muss.  Hier kann jedoch jeder Leser selbst seine Vergleiche anstellen, was nicht schwerfallen dürfte. Dazu regt das Buch auf jeden Fall an.

Der Danksagung am Ende des Buches ist zu entnehmen, dass einige namhafte Fachleute aus Geschichtswissenschaft und Publizistik bei der Recherche und Abfassung der Kapitel über die Begegnungen Hitlers mit ausländischen Journalisten mitgearbeitet haben, was die Qualität des Werks unterstreicht. Stilistisch ist es flüssig und verständlich geschrieben und ertrinkt nicht in Fußnoten. Es ist fachlich fundiert und auf dem aktuellen Stand der Forschung. Trotzdem Hitler „der am besten erforschte und am umfangreichsten interpretierte Staatenlenker der Welt“ ist, ergänzt und bereichert Hachmeisters Buch das Wissen über die Medienbiografie einer Figur der Weltgeschichte, mit der bis heute und immer wieder andere Politiker und Führungsfiguren verglichen werden.

Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 384 Seiten. ISBN 978-3-462-00240-9

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