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CO2: Historische Schuld oder arglose Ursache? Moralische Verpflichtung und Solidarität

Gerd Eisenbeiß Von Gerd Eisenbeiß
1. Dezember 2024
Braunkohlenkraftwerk hinter grüner Wiese und Dorf

Wo die Weltgesellschaft zusammenrückt, zumeist unter dem Dach der Vereinten Nationen, werden heute zunehmend Ansprüche und Forderungen erheblichen Ausmaßes präsentiert – in der Regel von armen an wohlhabende Nationen, vom Süden an den Norden.

Beim Klimaschutz werden diese Ansprüche damit begründet, dass die früh industrialisierten Länder Schuld auf sich geladen hätten, weil sie ihre Entwicklung so extensiv mittels Kohle, Öl und Erdgas angetrieben haben, deren „Asche“ die Atmosphäre zu einem sich aufheizenden Treibhaus gemacht hat. Da der Großteil heutiger Technologien (man denke auch an die Verbreitung von neuen Chemikalien bis hin zur Plastikvermüllung der Meere) auch globale, schädliche Nebenwirkungen und Folgen hat, werden sich die Forderungen nach „Wiedergutmachung“ nicht auf das Klimaproblem beschränken lassen, auf das sich die folgenden Überlegungen konzentrieren.

Es ist wissenschaftlich nicht zu bezweifeln, dass dieser Entwicklungspfad des Nordens Ursache der Erderwärmung ist, die allen, aber insbesondere den ärmeren südlichen Staaten große Schäden bescheren, auch Landverluste an flachen Küsten durch den Anstieg der Meere. Dass dabei ganze Inseln untergehen dürften, kann sogar ganze Staaten von der „Land“-Karte nehmen wie z.B. Tuvalu mit gut 10.000 Einwohnern, die früheren Ellice Islands.

Nun ist Ursache nicht gleich Schuld. Ursache wird erst zu Schuld, wenn der Verursacher gesichertes Wissen um die Schädlichkeit bewusst ignoriert hat oder zumutbare Prüfungen vor seinem Handeln unterlassen hat.

Diese Relativierung von Schuld wird mir keinen Applaus einbringen, wo Menschen Moral verabsolutieren (oder zumindest so tun als ob), ist aber fair gegenüber unseren Vorfahren in den Industrieländer, die – auch das ist wissenschaftlich klar – keine Ahnung hatten, was die Verbrennung von Kohle und Kohlenstoffverbindungen weltweit anrichten würde. Abgesehen von erpresserischen Gewaltherrschern und Blutrache-Kulturen dürfte es auch einen allgemeinen Konsens geben, Sippenhaftung abzulehnen.

Schuld beginnt dementsprechend dann, wenn eine Schädlichkeit erkannt ist und als allgemein bekannt unterstellt werden darf. Es ist schwer festzulegen, wann dieser Zeitpunkt war: nach meiner Einschätzung lag dieser Zeitpunkt vor etwa 25 Jahre, also Ende des letzten Jahrhunderts etwa zur Zeit des Kyoto-Protokolls, das Ende 1997 angenommen und 2005 in Kraft trat. Damit ist das wenigstens eingegrenzt.

Seit 25 Jahren liegt ein eindeutiges Schuldverhalten bei allen Völkern vor, die nicht schnell genug aus der Verbrennung in Autos, Kraftwerken, Heizungen usw. ausgestiegen sind, also bei allen. Legt man allein die CO2-Emissionen seit 2000 zugrunde, so sind die folgenden Daten nur als Größenordnungen brauchbar:

Seit dem Jahr 2000 sind ungefähr 850 GT CO2 (=850 Mrd. Tonnen) emittiert worden, davon 140 GT von den USA und etwa 70 von der EU (Deutschland etwa 19 GT). Frankreich, Italien und Polen tragen je etwa 9 GT bei.

Interessant ist die Zahl für das sich rasch industrialisierende China, das seine Emissionen von 3,4 GT in 2000 auf 12 GT gesteigert hat und dabei knapp 200 GT CO2 emittiert hat, also praktisch eben so viel wie USA und EU zusammen. Indien, der andere Milliarden-Staat hat seit 2000 mit etwa 50 GT auch schon fast die EU erreicht.

Wenn also von „Schuld“ von Nationen geredet wird, muss man den Anteil Chinas und Indiens bereits auf 30% schätzen, den der USA auf unter20 % und den der EU auf 8%; die übrigen 40% müssen sich die übrigen Staaten anrechnen lassen, die ebenfalls noch nach 2000 eifrig Kohlenstoff verbrannt haben und es noch immer zunehmend tun.

Absenkung der Grafik CO2-Emissionen in den USA

Zu einer wahrhaftigen Darstellung gehört aber auch die wenig beachtete Absenkung der CO2-Emissionen in den Industrieländern. Als typische Kurve (aus www.worldindata.org) wird hier der Emissionsverlauf der USA gezeigt mit dem Emissionsmaximum 2004  und seitdem einer Verminderung um 20%.

Ähnlich sehen die Kurven für das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland aus, die ihr Emissionsmaximum 1973 (UK und F) sowie 1979 (D) hatten; UK verminderte dann seine Emissionen um 54%, F um 49% und Deutschland um 46%. Vergleicht man Deutschland und Frankreich, so täuschen die ähnlichen Minderungsraten über sehr unterschiedliche Gründe: Deutschland profitierte vom Zusammenbruch der energieverschwenderischen DDR nach 1990, fiel aber gegenüber Frankreich zurück wegen der Aufgabe der CO2-freien Kernenergie. Italien und Japan hatten ihr Maximum erst 2004 bzw. 2013 und verminderten die Emissionen danach um 37 bzw. 25%! Selbst Russland hat seit dem Maximaljahr 1990 28% weniger CO2-Emissionen.

Bei diesen Emissionsminderungen spielt der Ausstieg aus der Kohle (oft Substitution durch Erdgas) eine wesentliche Rolle neben Effekten der rationelleren Energieverwendung sowie der Nutzung erneuerbarer Energien.

Anders sehen die Kurven für dynamische Länder im Süden aus; so sind die Emissionen Indiens und Chinas  seit 2000 um 200 bzw. 220% gestiegen, während Brasilien seit seiner Maximalemission 2014 immerhin 18% niedriger liegt.

Man sollte bei der Beurteilung des „fossilen Zeitalters“ und moralischer Empörung „Wie konnte man nur…!“ nicht übersehen, was es ohne die Verwendung von Kohle, Öl und Erdgas fast nichts geben würde, was seitdem weltweit das Leben besser gemacht hat, soviel besser, dass überall die Kinder- und Müttersterblichkeit gesunken und die Lebenserwartung gestiegen sind. Es gäbe keine allgemeine Elektrizitätsversorgung, keine bequeme, schnelle und weitreichende Mobilität, keine Computer, mit denen man erst vor 30 Jahren beginnen konnte, so komplexe Systeme wie das Klima zu analysieren und zu modellieren. Genauso ist die wissenschaftliche Medizin und Agrartechnik Produkt der Nutzung der fossilen Energien. Natürlich kann man als bescheidener Philosoph stöhnen, ob denn all das die Menschen glücklicher gemacht habe, aber missen wollen wohl nur sehr wenige, was unser Leben heute prägt. Ich jedenfalls bin sicher, dass es ohne die Nutzung der fossilen Energien auch keine paradiesische Welt ohne Probleme geworden wäre.

Um es vielleicht überraschend direkt zu formulieren: ohne die Fossilen hätte es nie Photovoltaik oder jene Windanlagen gegeben, die uns heute einen Ausweg aus der CO2-Verseuchung von Atmosphäre und Ozeanen ermöglichen.

Diese Bemerkungen sollen nun nicht dazu dienen, den heftig betroffenen Klimaopfern Hilfe zu verweigern, denn jenseits von Schuld gibt es eine mitmenschliche Verantwortung zu Solidarität der Wohlhabenden gegenüber den Ärmeren. Es soll aber zwei Dingen entgegenwirken: einer übermoralisierenden Sack-und-Asche-Mentalität in den Industrieländern und einer längst nicht mehr akzeptablen Drückebergerei der Großemittenten in Asien, die eine finanzielle Leistungsfähigkeit erreicht haben und machtpolitisch ausspielen, die jedenfalls die der Europäer längst erreicht hat. Man darf unseren europäischen Vorfahren ohne Scham dankbar sein für das, was sie zu ihrer Zeit durch arglose, aber kreative Nutzung der fossilen Energien an Wissen, Technik und Zivilisation geschaffen haben. Da dies durchweg in den nördlichen Industriegesellschaften geschah, hatten diese auch den größten Wohlstandsgewinn.

Wir haben zur Zeit wohl eher Mühe, uns als würdige Erben dieser Leistungen zu zeigen – selbstbewusst und solidarisch mit der Welt. Und würdig werden wir ihrer Leistung, wenn wir weltweit tatkräftig helfen, die Probleme zu beherrschen, die sich als negative Folgen einer nicht nur uns so nützlichen Entwicklung gezeigt haben.

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