Wie schön, denken sich dieser Tage manche: Mal keine Schlagzeile über die AfD, keine Talkshow mit Alice Weidel oder Tino Chrupalla. Es könnte doch ein entspannter Sommer werden, während sich die Rechtsextremisten mit den 1.100 Seiten des Verfassungsschutzberichts beschäftigen und ihre Anwälte ausknobeln, mit welcher Strategie man die AfD vor dem Status „rechtsextrem“ bewahren kann.
Ansonsten benötigt die AfD in wahlfreien Zeiten Verhältnisse oder Ereignisse, in denen sie sich als Opfer inszenieren oder Empörung schüren kann. Wenn psychisch kranke Deutsche Messertaten begehen, hat die AfD keine Rolle.
Zuletzt war die Einstufung als gesichert rechtsextrem noch ein gefundenes Fressen. Die letzten Amtstage von Nancy Faeser taten ihr Übriges. „Weisungsabhängige Behörde“, „Kartellparteien gegen die AfD“ lauteten die üblichen Tiraden. Seltsamerweise wurden sie von manchen Medien positiv begleitet. Cicero, NIUS, BILD transportierten eifrig die Empörung der braun-blauen Funktionäre – und wurden „investigativ“ tätig: Was steht in dem Bericht? Warum wird er nicht veröffentlicht? Dass es sich um ein normales Behördenhandeln handelte, spielte keine Rolle.
NIUS und Cicero veröffentlichten dann sogar Teile des BfV-Berichts. Und die rechte Blase nutzte die Chance: „Haltlose Vorhaltungen“, „zusammenkopierte Vorwürfe, die längst bekannt seien“ – die Relativierungsmaschinerie lief auf Hochtouren.
Das Ganze soll vom Wesentlichen ablenken: dass der Verfassungsschutz bisher alle gerichtlichen Überprüfungen für sich entscheiden konnte. Nicht zuletzt das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Arbeit der Behörde umfänglich bestätigt. Nun wurde das Verwaltungsgericht Köln von der AfD angerufen, um den Verfassungsschutz in die Schranken zu weisen. Und weil der Verfassungsschutz eine Behörde ist, setzt er seine Arbeit auf dieser neuen Erkenntnisstufe aus, bis das Gericht entschieden hat.
Dass die AfD jubelt und ihren Anhängern in den einschlägigen sozialen Medien den normalen Vorgang als „Sieg gegen den Verfassungsschutz“ verkauft, ist die übliche Masche.
Interessanterweise ist seit der Einschätzung durch das BfV nur ein Bundestagsabgeordneter – Sieghard Knodel – aus der Partei ausgetreten. Das zeigt, wie homogen die Funktionärsebene inzwischen zusammengesetzt ist. Die innerparteilichen Häutungen der letzten Jahre haben wohl alle Konservativen und Wirtschaftsliberalen aus der Partei vertrieben. Die AfD hat inzwischen ein geschlossenes Weltbild – maßgeblich geprägt von Björn Höcke, der mit der im Grundgesetz garantierten Würde aller Menschen so seine Probleme hat.
Für manchen Konservativen in der CDU scheint die gegenwärtige Situation der AfD wie gemalt. Sie gehen davon aus, dass die Partei sich spätestens dann „läutern“ müsse, wenn die Gerichte den Verfassungsschutz bestätigen und die Einschätzung gesichert rechtsextrem Bestand hat.
Alle, die es leid sind, nur SPD oder Grüne – oder gar beide zusammen – als Koalitionspartner zur Verfügung zu haben, träumen von einer neuen konservativen Mehrheit. Meloni, Le Pen, Wilders – es gibt einige rechtspopulistische Parteiführer in Europa, mit denen manche in der Union kein Problem hätten, auch wenn sie es nicht offen sagen. Dass Daniel Günther und Hendrik Wüst mit ihrer klaren Haltung gegen die AfD wenig Zustimmung aus der CDU/CSU bekommen, ist allerdings auffällig.
Doch die AfD denkt gar nicht daran einen gemäßigteren Kurs zu fahren. . Im Gegenteil: Sie lässt Leute wie die Brandenburger Landtagsabgeordnete Lena Kotré agieren, die sich in Norditalien mit dem Rechtsextremen Martin Sellner zum großen Remigrationstreffen trifft. 200 Gesinnungsgenossen diskutierten dort ihre Fantasien eines ausländerfreien Europas. Sellner – in Deutschland mit Einreiseverbot belegt – ist derjenige, der so viele Menschen anderer Herkunft wie möglich, auch wenn sie eingebürgert sind, abschieben will. Das war schon sein Thema beim berüchtigten Potsdamer Geheimtreffen.
Auf TikTok ist derzeit ein Gespräch der beiden zu sehen, in dem sie sich gegenseitig loben und sich über den „Erfolg“ ihrer gemeinsamen Sache freuen. Dass hier Verfassungsbruch propagiert wird, interessiert offenbar niemanden.
Neben dem Dauerthema „Ausländer“ wurde für das rechtsradikale Vorfeld der Partei eigens der sogenannte Stolzmonat propagiert. Er soll den Aktivitäten im Pride Month der LGBTQ+-Community entgegengesetzt werden. Gesinnungsgenossen posieren im Netz mit der Deutschlandflagge. Die verhasste Regenbogenfahne soll dagegen aus dem öffentlichen Leben verschwinden – in manchen Kommunen wurde sie bereits von öffentlichen Gebäuden verbannt. Dass hier bewusst ein Thema getriggert wird, das sich auch der äußerste rechte Rand zu eigen macht, ist bezeichnend.
Leute wie Vanessa Berend, MdL aus Brandenburg, hören zum Beispiel nicht auf, LGBTQ+ mit Pädophilie in Verbindung zu bringen – ein Muster, das auch in Russland und Ungarn gern verwendet wird.
Vor allem in Ostdeutschland werden die anstehenden CSD-Demos ins Visier genommen. Die Szenen aus Bautzen, als im vergangenen Jahr 1.500 Schwarzvermummte die Teilnehmer beleidigten und bedrohten, sind das Muster, das in diesem Jahr verbreitet werden soll. Die verhasste Community soll in Angst und Schrecken versetzt werden.
Passend dazu registrieren die Kriminalstatistiker eine wachsende Zahl an Übergriffen auf Menschen, die erkennbar nicht heterosexuell zu sein scheinen. Von den schwulen AfD-Mitgliedern Alice Weidel oder Kay Gottschalk gibt es dazu keinen Kommentar. Bekanntlich distanziert sich Weidel ja sogar vom Begriff queer.
All diese Aktivitäten bestätigen die Einschätzungen des Verfassungsschutzes. Wer sich Artikel 3 des Grundgesetzes vor Augen führt:
Artikel 3, Absatz 3:
Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
…der kann selbst nachvollziehen, dass diese Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht.