Was für eine Frau! Beate Klarsfeld! Berühmt geworden durch eine Ohrfeige, die sie dem CDU-Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger verpasste und diesen öffentlich einen Nazi schimpfte. 2015 wurde sie zusammen mit ihrem Ehemann Serge von Bundespräsident Joachim Gauck-gegen ihn hatte sie als Kandidatin der Linken die Wahl zum Präsidenten verloren- wegen ihrer unerschütterlichen Jagd auf alte Nazis, die nahezu unbehelligt in der Bundesrepublik oder irgendwo in Südamerika, Argentinien und Bolivien lebten, wegen ihres Kampfes gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Mit Kampagnen sorgten die Klarsfelds dafür, dass einer wie Klaus Barbie, der sich einst im besetzten Frankreich als Gestapo-Chef den wenig schmeichelhaften Beinamen „Der Schlächter von Lyon“ erworben hatte, 1983 endlich von Bolivien ausgeliefert und in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Den Einzug der AfD in die deutschen Parlamente sieht sie mit großer Sorge. Heute wird die alte Dame-darf man wohl sagen- 80 Jahre alt.
Die Aufregung von Beate Klarsfeld über das, was 1966 in der noch jungen Bundesrepublik geschah, kann man verstehen. Da wurde mit Kurt-Georg Kiesinger ein ehemaliges NSDAP-Mitglied zum Bundeskanzler der Republik gewählt. Das ließ die in Paris lebende Deutsche nicht ruhen, es musste etwas geschehen, wie sie später betonte. Ihr Mann Serge Klarsfeld war als Kind 1943 nur knapp der Deportation in eines der Vernichtungslager entkommen. Er, seine Mutter und die Schwester überlebten, weil der Vater-ein exilierter Jude aus Rumänien-die Gestapo vom Versteck der Familie ablenken konnte. Arno Klarsfeld wurde in Auschwitz ermordet, dem schlimmsten aller Konzentrationslager. Diese Familiengeschichte war eines der Motive für die junge Frau, Aktionen gegen diesen Kanzler mit seiner NS-Vergangenheit zu starten und öffentlich gegen diesen Mann zu protestieren.
Als die 68er protestierten
Und so kam es zur wohl bekanntesten Ohrfeige der Zeit, wenn man so will wurde Beate Klarsfeld mit einem Schlag berühmt. Am 7.November 1968 fand der CDU-Parteitag in der Berliner Kongresshalle statt. Es waren unruhige innenpolitische Zeiten in Deutschland, die 68er gingen auf die Straße und protestieren gegen die Notstandsgesetze, gegen Vietnam, gegen Nazis. Beate Klarsfeld hatte sich als Journalistin für den CDU-Parteitag akkreditieren lassen.Damals waren die Sicherheitsvorkehrungen noch nicht so scharf wie heute. Einer der Augenzeugen des Vorfalls war Dr. Rudolf Strauch, damals Bonner Korrespondent der „Welt“, später für den Berliner „Tagesspiegel“ und die „Hannoversche Allgemeine“ tätig. „Man konnte ziemlich locker durch die Reihen der Delegierten gehen und mit jedem reden, man konnte sogar aufs Podium gehen, ohne dass ein Ordner eingeschritten wäre,“ beschreibt der langjährige Vorsitzende der Bundespressekonferenz Strauch die Atmosphäre früherer Parteikonvents.
Uns so ist es dann passiert. Strauch wörtlich: „Beate Klarsfeld ging aufs Podium und knallte dem Bundeskanzler eine ins Gesicht und traf dabei sein Auge. “ Ihre tatkräftige Aktion unterstrich sie mit Rufen wie: „Nazi, Nazi, Nazi!“ Sofort sei der CDU-Sprecher, Dr. med. Arthur Rathke auf Kiesiinger zugeeilt, habe diesen in der Vorhalle untersucht, aber Kiesinger habe den Vorfall unverletzt überstanden. Für kurze Zeit habe es Tumulte im Saal gegeben, Unruhe, aber dann sei man zur Tagesordnung übergegangen und habe den Parteitag fortgesetzt.
Kiesingers Reaktion auf die Ohrfeige war beispiellos und typisch für die Zeit. “ Was sie hier getrieben hat, das steht in Verbindung mit jenen Radaugruppen, die wir …in unseren Universitätsstädten und sonstwo erlebt haben.“ Beate Klarsfeld beschrieb ihre Motive später so: „Das Anliegen war, als Deutsche selbst zu sagen: Das kann man nicht zulassen, dass ein Mann, der Nazipropagandist war und der seine Intelligenz in den Dienst des Nazismus gestellt hat, die deutsche Regierung vertritt. Und mein Mann sagt immer: Das Wichtigste in deinem Leben, was Du getan hast, war die Ohrfeige.“
Heinrich Böll schickte Rosen
Heute würde Beate Klarsfeld weder eine Akkreditierung für einen CDU-Parteitag erhalten, noch würde sie es aufs Podium schaffen. Schließlich war sie eigentlich als Kiesinger-Gegnerin bekannt, hatte sie doch ihre Aktion geplant, sie hatte auf einer Veranstaltung in der Technischen Universität in Berlin im Mai desselben Jahres, an der auch Günther Grass teilgenommen hatte, angekündigt, dass sie Kurt Georg Kiesinger wegen seiner Nazi-Vergangenheit ohrfeigen würde. Die Ankündigung wurde von Studenten mit Lachen quittiert, Grass soll die Aktion sogar abgelehnt haben. Heinrich Böll hat sie später gewürdigt, indem er ihr rote Rosen nach Paris schickte.
Kiesinger war in der Tat Mitglied der NSDAP und zwar seit Februar 1933. Mitte 1940 war er zum stellvertretenden Leiter der rundfunkpolitischen Abteilung aufgestiegen, die für den ausländischen Rundfunk zuständig war. Kiesinger war hier für die Verbindung zum Reichspropagandaministerium unter Leitung von Goebbels zuständig. Klarsfeld warf ihm vor, mit SS-Leuten zusammengearbeitet zu haben, die für die Massenmorde in Osteuropa verantwortlich waren.
Klarsfeld hatte ihre Aktion nicht nur in der Uni angekündigt, sie war schon mal am 2. April 1968 aufgefallen, als sie von der Besuchertribüne des Bonner Bundestages Kiesinger zugerufen hatte: „Nazi, tritt zurück“. Sie wurde abgeführt, aber sofort wieder freigelassen. Für ihre spätere Ohrfeige erhielt sie ein Jahr Gefängnis, musste die Strafe aber wohl wegen ihrer französischen Staatsangehörigkeit nie antreten.
Sie war immer umstritten
Sie war umstritten, die Beate Klarsfeld, auch wegen ihrer wie auch immer gearteten Kontakte nach Ostberlin. Doch sind solche Gerüchte und ist solches Gerede in den Zeiten des Kalten Krieges immer wieder gestreut worden, um kritische Zeitgenossen mundtot zu machen.
In einem Interview mit dem Spiegel hat sie wenige Tage nach dem Backpfeifen-Ereignis ihre Attacke auf Kiesinger damit begründet, sie habe damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Teil der deutschen Jugend sich dagegen auflehnt, dass ein Nazi an der Spitze der deutschen Bundesregierung steht. Man stelle sich das vor: NSDAP-Mitglied Kiesinger Kanzler der großen Koalition, neben ihm im Kabinettssaal Willy Brandt, von den Nazis verfolgt und später von CDU-Leuten als uneheliches Kind Herbert Frahm alias Willy Brandt und als Emigrant verleumdet. Und mittendrin Herbert Wehner, der als Kommunist vor den Nazis nach Moskau geflohen war und im Hotel Lux ein umstrittenes Leben geführt hatte und jetzt als gewählter Demokrat und Mitglied der SPD mit Kiesinger zusammen Politik machte.
Klarsfeld hat ihre Aktionen gegen Kiesinger fortgesetzt, hat in Brüssel gegen ihn protestiert und ihn bei einem Auftritt in München als Schreibtischtäter attackiert. 1969 trat sie im Bundestagswahlkampf sogar im Wahlkreis Waldshut gegen Kiesinger an und verlor haushoch. Beate Klarsfeld demonstrierte jedoch nicht nur im Westen, sie protestierte auch in Prag gegen „Restalinisierung, Verfolgung und Antisemitismus“, was ihr ein vorübergehendes Einreiseverbot in die DDR eintrug. Dann wiederum wollte sie den einstigen Nazi-Polizeichef von Paris, Kurt Lischka, der in Köln unter seinem richtigen Namen wohnte, nach Frankreich entführen, damit dem einstigen Nazi- Verantwortlichen der Prozess gemacht werde. Der Plan scheiterte, Klarsfeld wurde verhaftet. Erst 1980 wurde Lischka zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Wegen Kritik am Kanzler den Job verloren
Ein paar Daten mögen den weiteren Hintergrund belegen: Beate Klarsfeld, 1939 in Berlin geboren, ihr Vater, der zwar Hitler gewählt hatte, aber kein Nazi war, hatte in Frankreich gekämpft und später an der Ostfront. Ihr Mann Serge hat seinen Vater im KZ Auschwitz verloren. Sie beide haben ein Gedenkbuch herausgebracht, in dem die Namen von über 80 000 Opfern der Judenverfolgung in Frankreich während der NS-Zeit aufgelistet sind. Ferner ist es ihrem Engagement zu verdanken, dass die Fotos von über 11 400 jüdischen Kindern, die deportiert worden waren, beschafft werden konnten. Die französische Bahn SNCF hat die daraus resultierende Wanderausstellung, die auf Bahnhöfen gezeigt wurden, sehr begrüßt, die Deutsche Bahn hat sie zunächst abgelehnt, erst Verkehrsminister Tiefensee hat daraus eine Ausstellung der DB entwickeln lassen über die Rolle der Reichsbahn im Zweiten Weltkrieg.
Beate Klarsfeld wurde in Frankreich mehrfach ausgezeichnet, der damalige Präsident Hollande hat sie in den Rang einer „Kommandeurin der Ehrenlegion“ versetzt. Israel hat ihr Engagement mit der Tapferkeitsmedaille geehrt und ihr die israelische Staatsbürgerschaft verliehen. In Deutschland hat sie auf entsprechende Würdigungen lange warten müssen. Man denke daran, dass sie wegen ihrer Kritik an Kiesinger, ausgesprochen in der französischen Zeitung „Combat“, einst ihren Job als Sekretärin beim deutsch-französischen Jugendwerk verlor. Klarsfeld hatte Anfang 1967 für Willy Brandt und gegen die Kanzlerschaft Kiesingers plädiert. Kurz darauf hatte sie in einem Zeitungsartikel Kiesinger vorgehalten, sich bei den Braunhemden einen „ebenso guten Ruf“ verschafft zu haben „wie in denen der CDU“. 2015 erhielt sie dann das Bundesverdienstkreuz aus den Händen des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Beate Klarsfeld zum 80. Geburtstag gratuliert und ihren aufrechten und mutigen Kampf zur Aufarbeitung der NS-Geschichte gewürdigt. Sie sei ein Vorbild dafür, „dass wir dem Unrecht beharrlich und konsequent entgegentreten müssen und dass wir nie vergessen, wohin Diktatur, Rassismus und Überlegenheitswahn führen“.
Bildquelle: Wikipedia, http://www.klarsfeldfoundation.org/ CC BY 3.0