Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein schlechter Verlierer, ein machtversessener Autokrat sowieso. Mit dem rigorosen Vorgehen gegen seine Kritiker nach dem Putschversuch vor drei Jahren und mit den Verfassungsänderungen, die ihn mit einer unanständigen Machtfülle ausgestattet haben, hat er sich schon ins Abseits gestellt. Da überrascht es nicht, dass er die Istanbuler Bürgermeisterwahl nun für null und nichtig erklären lässt und eine Wiederholung erwirkt.
Überraschend war vielmehr der Wahlerfolg der Opposition am 31. März, nachdem doch der Präsident und seine AK-Partei die vollständige Kontrolle über das Land zu haben meinten. Der Wahlsieg von Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP erschien geradezu sensationell und als ein mutiges Signal der Wähler, dem religiösen Kurs von Erdogan eine säkulare Perspektive entgegenzustellen.
Wer Istanbul hat, so hatte es Erdogan selbst dereinst gesagt, als seine Karriere in der türkischen Politik begann, wer Istanbul hat, hat bald auch die Türkei. Aus dem Amt des Bürgermeisters der größten türkischen Metropole begann sein beispielloser Aufstieg, und aus dem gleichen Amt heraus drohte ihm nun Widerstand zu erwachsen. Ekrem Imamoglu schickte sich an, eine demokratische, tolerante und rechtsstaatliche Alternative zu verkörpern.
Doch soweit will es die AKP nicht kommen lassen. Nachdem die von ihr angestrengten Neuauszählungen in einzelnen Stimmbezirken die Wahl von Imamoglu bestätigt hatten, legte Erdogans Partei Beschwerde bei der Hohen Wahlkommission ein, einem elfköpfigen Richtergremium, das mit sieben zu vier Stimmen der Beschwerde stattgab und Neuwahlen am 23. Juni ansetzte.
Die Opposition reagiert empört auf die Entscheidung, die doch sehr nach einer Gefälligkeit für den Präsidenten riecht. Die pauschale Begründung mit „Regelwidrigkeiten“ jedenfalls genügt nicht, um die Bevölkerung von der Rechtmäßigkeit der Annulierung zu überzeugen. Erste Berichte aus Istanbul erinnern bereits an ein Wiederaufflammen der Gezi-Proteste von 2013. Istanbul ist die Stadt, in der die Weichen für die politische Zukunft des Landes gestellt werden.
Noch ist nicht abzusehen, wie die CHP reagiert, ob sie etwa an einen Boykott denkt, oder aber, wie es Imamoglu andeutet, entschlossen zur Wiederholungswahl antritt. Und was, wenn sich die Wähler nicht einschüchtern lassen und am 23. Juni entscheiden: Jetzt erst recht!? Das Vertrauen in freie und faire Wahlen ist tief erschüttert.
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'Dem Präsidenten zum Gefallen: Wahlwiederholung in Istanbul' hat einen Kommentar
7. Mai 2019 @ 13:43 Wolfgang Lange
Der Türkei fehlt ein wichtiger Punkt einer Demokratie, die Gewaltenteilung, regierungshörige Richter verschlimmern die Situation noch mehr.