Was war das für ein Jubel damals, als die Mauer fiel und das Ende der SED-Herrschaft in der DDR angezeigt war. Damit hatte nie jemand gerechnet, weil man nicht davon ausgehen konnte, dass die Weltmacht Sowjetunion die DDR nicht mehr halten wollte. Ob das Unternehmen zu teuer war für Moskau, ob die DDR wirtschaftlich dem Zusammenbruch nahe war, ob die zunächst winzige Opposition im Osten mit ihren Kerzen wirklich eine Macht war, dem das verhasste Regime in Ostberlin weichen musste? Es fiel kein Schuß, die Panzer blieben in den Kasernen, die Übergabe fand an einem Abend im Herbst 1989 statt. Fahnen, Jubel, die Deutschen im Rausch. 30 Jahre später ist mehr als Ernüchterung eingekehrt, ist in der einstigen DDR eine Opposition erstarkt auf der ultrarechten Seite, die Sorgen bereitet. War denn die Einheit falsch, hat der Westen wirklich den Osten überrannt, wurden die Befindlichkeiten der Menschen im Osten zu wenig berücksichtigt, wurden die Menschen drüben verletzt, gekränkt, weil in die Arbeitslosigkeit entlassen? Eine sehenswerte Dokumentation auf Arte lieferte viele Einblicke, Erinnerungen, Nachdenkliches.
Es ist ja wahr, dass ein Sturm übers Land fegte damals, als die Mauer gefallen war, dem bald das Ende der verhassten SED-Diktatur folgte. Die Deutschen gerieten in einen Rausch, plötzlich konnten sie die zuvor fast unüberwindbar gewordene Grenze passieren, sie traten den Stacheldraht einfach mit Füßen zu Boden, die Grenzer machten Platz für ein Wiedersehen von Tausenden von Freunden und Familien. Kerzen und friedliche Demonstrationen hatten sich wirksamer erwiesen als eine ganze Armee.
Dem Rausch folgte die Ernüchterung, weil man eine staatlich gelenkte Wirtschaft überführen wollte in eine privat organisierte Wirtschaft. Aber der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft war nicht so einfach, es hatte so etwas noch nie gegeben auf der Welt, es gab keine Vorlage, man fing bei Null an und zwar alle. Für Millionen Ostdeutsche bedeutete dieser Wechsel aber auch den Weg in die Arbeitslosigkeit, die sie bisher nur vom Fernseher kannten, wenn sie denn Westfernsehen gesehen und dort gehört hatten, dass viele Menschen im hochgelobten Westen ohne Job waren. Privatisierung hatte massenhafte Stilllegungen von Unternehmen zur Folge, die angeblich nicht mehr saniert werden konnten und für die sich keine Investoren fanden. An der Spitze der Treuhand, die diesen Prozess leitete, stand zunächst der westdeutsche Manager Detlev Rohwedder, dem nach der Ermordung durch die RAF Birgit Breuel folgte.
Schmerzhafte Prozesse
Wer die Dokumentation sah, konnte den dramatischen Umbau der DDR mitverfolgen, schmerzhafte Entwicklungen für Millionen Bürger in Ostberlin, Rostock, Gera, Görlitz oder wo auch immer im Osten Deutschlands. Viele Menschen in der DDR empfanden das als Kränkung, weil sie sich überfahren fühlten, denn es waren vielfach die sogenannten Experten aus dem Westen, die in den Osten kamen und dort ihre Geschäfte machten. West gegen Ost. Frau Breuel wurde zur Hassfigur in der einstigen DDR, gerade so, als wäre sie persönlich für den Niedergang der DDR verantwortlich.
Die Doku wirft den Zuschauer noch einmal zurück in die Jahre um 1990. Man wird erinnert an Helmut Kohls Auftritt vor der Ruine der Frauenkirche, die erst Jahre später wieder aufgebaut wurde und längst wieder ein Symbol auch des Neuaufbaus in einer Stadt wie Dresden geworden ist. Kohl versprach damals: „Wir wollen und werden niemanden bevorzugen.“ Der Kanzler der Einheit, wie man ihn später nannte, rief im Grunde für den Osten ein zweites Wirtschaftswunder aus, die Leute hingen an seinen Lippen, glaubten ihm, wenn er von blühenden Landschaften sprach, die er in Thüringen und Sachsen, in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern entstehen sah. Das heißt, Kohl glaubte oder besser träumte von solchen Bildern. Damals sah niemand die Massen-Arbeitslosigkeit auf den Osten zukommen, die Abwanderung war noch kein Problem, Pegida machte erst Jahre später in übler Weise von sich reden.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Wirtschaft der DDR 1990 nicht auf der Überholspur war. Wer rübergefahren war in den Jahren zuvor, konnte das bescheidene Bild sehen, das das kommunistische Deutschland abgab. Die Straßen und Häuser waren vielfach marode. Man musste nur ein paar Straßen weiter gehen in Weimar, zum Beispiel außerhalb der Reichweite des Hotels Elephant, dorthin, wo das Fernsehen nicht mehr drehte. Dort kam der Putz von den Wänden, wurden die Balkone abgestützt mit Holzbalken, hingen Fenster schräg in der Fassung. Wir haben das noch erlebt, wie der Prenzlauer Berg in Berlin saniert wurde, Straße für Straße, Haus für Haus. Erbarmungswürdig schauten die Blöcke aus, die Toiletten waren noch im Flur, die Häuser hatten keinen Aufzug. Sechs Stockwerke mussten erstmal erklommen werden. Ich rede von der Zeit Anfang 2000, da wurde total renoviert.
Die DDR nicht schönreden
Man sollte die Jahre in der DDR und die Lage nicht schönreden. Es stmmt ja, die DDR-Bewohner mussten die Häuser verlassen, sie hatten das Kleingeld für die luxussanierten Wohnungen nicht, diese wurden oft genug von vermögenden Menschen aus Baden-Württemberg gekauft, die dann die Räume für teuer Geld vermieteten. Marktwirtschaft ist eine raue Geschichte, sie lässt wenig Platz für die, die sie sich nicht leisten können, Gefühle sind überflüssig. Die Ossis haben das erlebt und erlitten, wie Wessis die schnelle Markt verdienten und sie leer ausgingen. Schön war das nicht. Anerkennung hätten sie gern erfahren, weil sie genauso gearbeitet hatten wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen, die aber nach dem Zweiten Weltkrieg zufällig auf der richtigen Seite zur Welt gekommen waren. Auch das gehört zur Wirklichkeit. Wie die harte D-Mark, die die Waren im Osten so verteuerten, dass sich die Einheimischen diese nicht mehr leisten konnten.
Der Film bei Arte sagt nichts zur AfD, aber der Zuschauer fühlt sich hineinversetzt in die Gemüter mancher Deutscher aus Dresden, Leipzig und Erfurt, die keine Chance gehabt haben in diesem Prozess, sie blieben zurück, was ihre Wut und Verbitterung vielleicht verständlich macht. Aus dem Einheits-Traum hat sich für manche ein Traumata gebildet, weil sie es als unanständig ansahen, wie man mit ihnen umgesprungen war. Warum so viele AfD wählen wollen, bleibt mir gleichwohl unverständlich. Man muss Angela Merkel nicht mögen und sie auch nicht wählen, aber wenn einer wie AfD-Chef Gauland davon gesprochen hat, Merkel jagen zun wollen, so empfinde ich das als in hohem Maße als unmenschlich. Die Kanzlerin ist kein Tier. Und wenn es Stimmen gibt in der AfD, die den Widerstand gegen Merkel mit dem Widerstand der Verschwörer des 20. Juli um Stauffenberg gegen den Massenmörder Hitler vergleichen, so verschlägt es mir die Sprache. Und ich bin auch mehr als empört, wenn der Kreisverband der AfD Nürnberg-Süd folgendes Wahlplakat veröffentlich: Sophie Scholl hätte AfD gewählt. Es hilft wenig, wenn dieser Satz wieder aus dem Verkehr gezogen wurde, weil ein Gericht es so anordnete. Sophie Scholl büßte für ihren Kampf gegen die Nazis mit ihrem Leben. Was sind das für Menschen, die so umspringen mit unserer Geschichte? Auch das gehört zum Thema Einheit dazu.
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1219-006 / Franke, Klaus / CC-BY-SA 3.0
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