Dieser Tage konnte man einen interessanten Disput über die Frage verfolgen, ob sozialistische Programmatik, unterlegt mit nationalen Zwischentönen, als national-sozialistisch bezeichnet werden darf oder nicht. Die Akteure Michael Wolffsohn, Professor für neuere Geschichte, und der SPIEGEL-Kolumnist Jakob Augstein. Gegenstand der leicht erregten Debatte war die selbst ernannte linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ von Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine.
Deren politische Vorstellungen beziehen sich ausweichlich ihrer öffentlichen Aussagen vor allem auf die nationale, deutsche Arbeiterschaft (soweit es sie noch gibt), deutsche Arbeitslose und sonstige zu kurz Gekommene in unserer Gesellschaft. Der Historiker Wolffsohn etikettierte das mit dem Doppeladjektiv national-sozialistisch. Das rief Augstein auf den Plan und er wähnte die neue Bewegung in die Nähe Nazis gerückt. Es sei eine „beliebte Denkfigur der Rechten, Nationalsozialisten zu Sozialisten“ zu erklären, wie es der „Historiker fürs Grobe“ in der BILD getan hätte.
Wolffsohn wiederum fühlte sich gründlich missverstanden. Denn niemand, auch er nicht, wolle Wagenknecht und Lafontaine als Nazis diffamieren. Den Unterschied mache der Bindestrich. National-sozialistisch und nationalsozialistisch seien zwei Paar Stiefel.
Die Reaktion von Augstein und anderen links verorteten Diskutanten offenbart einen typischen Reflex in der binnendeutschen Betrachtung und Auslegung des Links-Rechts-Schemas. Wir tun uns schwer mit dem Wort „national“. Es wird automatisch rechts verortet und mit der Erinnerung an braune Horden, Nazi-Diktatur, Rassenwahn und Holocaust verbunden. Verbietet es sich aber deshalb auch, ideologische Überschneidungen zu benennen, weil Kommunisten und Sozialisten die ersten Opfer der Nazi-Schreckensherrschaft wurden?
Aus der Geschichte meiner Familie weiß ich um den Blutzoll, den Linke, bekennende Kirche, bürgerliche Kritiker und Widerständler zahlten. Aber darf der Blick auf die Wurzeln der NSDAP deshalb verstellt bleiben? Unter den „alten Kämpfern“ von Hitlers NSDAP finden sich nicht nur hemmungslose Nationalisten, sondern auch starke sozialrevolutionäre Kräfte, die in ihrer antikapitalistischen Rhetorik der Linken in nichts nachstanden. Klassenbewusste Arbeiter bildeten in den frühen Jahren unter Führung von Gregor Strasser einen starken Parteiflügel. Hitler fürchtete sogar um seinen Führungsanspruch. In der so genannten „Strasser-Krise“ 1932 siegte er schließlich über seinen parteiinternen Widersacher nicht zuletzt, weil es ihm gelang, Joseph Goebbels aus der Führungsmannschaft Strassers herauszubrechen. Strasser räumte seinen Posten als Reichorganisationsleiter der NSDAP und zog sich 1933 zurück. Im Zuge des so genannten „Röhm-Putsches“ 1934 wurde auch er ermordet. Die NSDAP wurde endgültig zu einer Führer-Partei, die nur noch dem Nationalismus und dem Rassenwahn mit dem „arischen Herrenmenschen“ als Leitfigur für ihren absoluten Machtanspruch huldigte.
Und heute? Das AfD-Rentenpapier aus der Feder von Björn Höcke bietet wegen seines antikapitalistischen Duktus, der auch gut in Papiere der LINKEN passen würde, genügend Anlass, über ideologischen Überschneidungen von Rechts und Links zu sprechen. Offenbar stimmt es, das sich linkes und rechtes Gedankengut berührt , wenn deren Protagonisten immer weiter nach links oder rechts wandern. Denn auch die Welt der Ideologien ist keine Scheibe. Sie ist eben auch nur ein Globus, auf dem man nur weit genug herumwandern muss, um von linken Standpunkten zu Positionen zu kommen, wie sie auch von Rechten propagiert werden.
Originalveröffentlichung von Peter Hausmans Blog „Hausmannskost“.
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