Stadthalle Bad Godesberg

Der Godesberger Parteitag der SPD war stets mehr als Geschichte!

Am sonnigen 26.Februar hat die traditionsgesättigte Bad Godesberger Stadthalle eine Erinnerungstafel erhalten. Die Halle: Ein nüchterner Zweckbau, in viele Räume zergliedert, stets gut belegt durch Gruppen und Kränzchen, mit angeschlossenem Restaurant, das ein preiswertes Essen für die weniger Betuchten Godesbergs im Angebot hat. An Sonntagnachmittagen im Sommer wartet die Halle mit volkstümlicher Musik auf.  Das alles ist auch Sinnbild eines oberflächlich etwas antiquiert scheinenden, aber dennoch attraktiven Bürgersinns.  Im Bonner Stadtrat gab´s Stimmen auf der konservativen Seite, die die Stadthalle abreißen und an deren Stelle eine Oper hinsetzen wollten. Ein bisschen „Elbphilharmonie“ in der Nähe des Godesberger Bachs.

Die neue Stahltafel erinnert an  den historischen Parteitag der SPD vom 13. bis zum 15. November 1959, der in der Stadthalle tagte. Auf diesem Parteitag legte die SPD ihren proletarischen „Blaumann“ ab, um in ein bürgerliches Sakko mit dazu passender Hose zu schlüpfen. Initiiert wurde die Tafel von einer lokalpolitisch regen Bürgervereinigung, bezahlt wurde sie von der Friedrich-Ebert-Stiftung, gewürdigt vom Bonner SPD- Vorsitzenden Gabriel Kunze. Durch die Tafel wurde die Stadthalle nun auch Teil eines virtuellen, bildungsverbundenen „Lehrpfads“, des „Weges der Demokratie“ durch Bonn.

Geschichte besteht ja bekanntlich zu großen Teilen aus Geschichten.

Der Godesberger Parteitag war stets mehr als Geschichte. Einer meiner Lehrmeister war der Redakteur Rudi Dux. Er verantwortete einen wirtschaftspolitischen Artikel- und Informationsdienst der SPD. Bei ihm lernte ich, den Kopf noch voller krauser Theorie, dass Straßen und Schulen und Bürgerämter und Universitäten und öffentliche Büchereien das Kapital der Bürgerinnen und Bürger sind. Sie sind das Äquivalent dessen, was der Staat an Geld – Steuer – den Menschen nimmt, um es zu verwenden. Dux´ Gedanke spielt heute faktisch keine Rolle mehr. Er ist unter Tonnen krauser Ideologie begraben.

Rudi Dux wurde von den Nazis in ein KZ im Moor gesteckt. Er überlebte. Die Kommunisten vertrieben den Sozialdemokraten aus Magdeburg in den Westen.  1959 stimmte er als einer Delegierten gegen das Godesberger Programm.  Ein lebenskluger, sehr prinzipienfester Mann. Er sah die Wandlung der SPD hin zur Aufgabenteilung zwischen Markt und Lenkung sehr kritisch.

Godesberg war also mehr als der spöttisch geschriebene Unterschied zwischen Blaumann und Sakko. Es war Ausdruck eines über viele Jahre andauernder Kampfes einer zentristisch aufgestellten SPD mit einem beinharten Konservatismus auf der einen und der reinen Lehre des Marxismus auf der anderen Seite. Viele Geschichten bergen sich darin.

Als junger Kerl habe ich 1967 auf einer Veranstaltung dabei gesessen, auf der Herbert Wehner sprach. In den vorderen Reihen saßen weit überwiegend ältere Männer. Wiedersehen, Händeschütteln, familiäres miteinander umgehen. Jemand frage mich: Bisse neu hier? Wehner redete nicht über die CDU, nicht über Markt und Plan, sondern er erzählte von den Möglichkeiten, die in der Demokratie stecken. Es war eine fürsorgliche Unterweisung. Keine Beiläufigkeit im Programm. Nichts Schneidendes. Wehner zündete. Gibt es noch genügend Chancen auf solche „Zündungen“ und Geschichten in der SPD?

Dieser Tage stand in der Zeitung, dass der frühere Freiburger Oberbürgermeister Rolf Böhme verstorben sei. Böhme war Teil einer „Anomalie“ in der SPD. Anfang der siebziger Jahre tauchten in der Bonner Republik junge Abgeordnete aus Baden-Württemberg auf, Böhme, Gunter Huonker, Rainer Offergeld, Herta Däubler-Gmelin, Harald B. Schäfer, später Dieter Spöri. Einige habe ich sicherlich vergessen – ich entschuldige mich hierfür höflich. Allesamt hochbegabt für Legislative und Exekutive. Offergeld wurde später OB in Lörrach, Böhme wie erwähnt in Freiburg. Hat jemand in der SPD untersucht, wie es zu dieser Häufung kam? Zufall? Ein Generationen- Echo auf Stillstand in bürgerlichen Schichten? Mit Blick auf die stärkere SPD in Nordrhein-Westfalen hieß es in Baden-Württemberg (der Fama nach): Wir machen´s Programm, ihr bringt die Mehrheiten. Ist das kein Thema, das sich erzählen ließe? Ist der Klatsch völlige Nebensache geworden? Eventuell auf dem Altar der politischen Korrektheit geopfert?

Lebt politisches Leben nicht auch von Hörensagen und  Angeblichem, wie gesagt: vom Klatsch über andere, vom Zünden der Begeisterung. Helmut Schmidt soll vor einem europäischen Treffen in Kopenhagen, auf Vertreter des DGB wartend, die sich verspäteten ausgerufen haben: Na, da seid ihr ja endlich, ihr nachgemachten Arbeiter. Heute würde so etwas zu Shit-Stürmen führen. Na und?  Wie heißt ´s so schön dieser Tage: „Echte Fründe ston zesamme“ (die Höhner).

Möglich wäre ja, dass Erfolglosigkeit auch auf die nachlassende Fähigkeit zurückgeht, Geschichten aus dem Leben der Anderen erzählen zu können; aufschlüsseln zu können, was wirklich in den Leuten steckt, weil der elektronische Klimbim das nicht leisten kann.

Bildquelle: Wikipedia, Nicolas von Kospoth (Triggerhappy)CC BY-SA 2.0 DE

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Über  

Redakteur 1972 und bis 89 in wechselnden Redakteursaufgaben. 90 bis 99 wiss. Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion, Büroleiter Dreßler, 2000 Sprecher Bundesarbeitsministerium, dann des Bundesgesundheitsministeriums, stellv. Regierungssprecher; heute: Publizist, Krimiautor, Lese-Pate.


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