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Der Grünen-Weg nach oben

Die Grünen sind auf dem Weg nach oben. Kaum ein deutsches Medium, das diese Partei nicht als Quasi-Regierungspartei sieht und einen ihrer Vorsitzenden, Robert Habeck, als Quasi-Kanzlerkandidaten einstuft mit der Chance, bei nächster Wahl-Gelegenheit ins Kanzleramt einzuziehen. Nichts ist mehr zu spüren von den heftigen Auseinandersetzungen der verschiedenen Flügel der Grünen, die sich einst alles andere als grün waren. Früher waren sie für Streit bekannt, eine Verbotspartei, die den Deutschen am liebsten vorschreiben wollte, wie sie zu leben hätten. Heute kuscheln sich die Grünen der Macht in Berlin entgegen. Die Partei wirkt geeinigt wie nie zuvor. Die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck wurden mit Traumergebnissen in ihren Spitzenämtern bestätigt, Baerbock mit etwas über 97 und Habeck mit gut 90 Prozent der Delegierten in Bielefeld. Man reibt sich die Augen, wenn man die Geschichte der Grünen seit ihrer Gründung betrachtet.

Ein kurzer Blick zurück: Als die Grünen sich im Januar 1980 auf einem chaotisch abgelaufenen Parteitag in Karlsruhe als Partei gründeten, waren sie alles andere als eine Partei. Sie selber sahen sich als Bewegung gegen die etablierten Parteien, regieren wollten sie zunächst nicht. Im Mittelpunkt des Streits in Karlsruhe stand auch die Mitarbeit von Mitgliedern kommunistischer Organisationen, woran fast die Gründung gescheitert wäre.Sie wollten die Atommeiler sofort stilllegen, traten für die Auflösung der militärischen Blöcke wie Nato und Warschauer Pakt ein, akzeptierten die DDR als eigenständigen deutschen Staat, forderten die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Und junge Leute mit Irokesen-Haarschnitt stürmten kurzzeitig das Podium. Als ich meinen Bericht über den Parteitag meinem Vorgesetzten ankündigte, sagte er nur: „Das stellen wir auf die Reportage-Seite, das ist ja keine Politik.“

Die ersten Sprecher der Grünen waren Petra Kelly, August Haußleiter, eher dem deutschnationalen Flügel zugetan, und Norbert Mann. Zu den Gründungsvätern zählten auch Leute wie der frühere CDU-Politiker Herbert Gruhl, der mit seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“ für Aufsehen gesorgt hatte. Das Buch erschien 1975, da saß Gruhl noch für die Union im Bonner Bundestag. Er verließ die CDU und gehörte zu den Mitbegründern der neuen grünen Bewegung, die er aber auch wieder verließ, weil er die Mitglieder des Kommunistischen Bundes ausschließen wollte. Es ist interessant, einen Blick in die Vorstände der Grünen in den Anfangsjahren zu werfen oder überhaupt in die Mitgliedslisten: Wilhelm Knabe zählte dazu, ein Mann aus dem Ruhrgebiet, dessen Sohn viele Jahre später bekannt wurde als Leiter des Ex-Stasi-Gefängnisses Höhenschönhausen, Rainer Trampart war dabei, Lukas Beckmann, Jutta Ditfurth, Werner Bastian, Ralf Fücks, später Hans-Christian Ströbele. Am Anfang gehörte auch Otto Schily dazu, er leitete viele Fraktionssitzungen der Grünen, die anfänglich noch- zumindest bei gutem Wetter- im Freien, im Bonner Tulpenfeld, direkt vor den Fenstern der Bundespressekonferenz stattfanden. Nicht zu vergessen Antje Vollmer, Jürgen Trittin, Joschka Fischer, erster Grünen-Minister in Hessen im Kabinett des SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner. Fischer ließ sich in Turnschuhen und Jeans vereidigen. Renate Künast, Fritz Kuhn, heute OB in Stuttgart, Claudia Roth, Reinhard Bütikofer, Cem Özdemir. Auch der Name von Winfried Kretschmann taucht auf, als Mitglied der baden-württembergischen Grünen zusammen mit Wolf-Dieter Hasenclever, beide plädierten schon in den 80er Jahren für schwarz-grüne Bündnisse.

Mit Heinrich Böll und Willy Brandt

Dem älteren Bundesbürger werden die Riesen-Demonstrationen auf der Bonner Hofgartenwiese Anfang der 80er Jahre noch in Erinnerung sein, als über 500000 Menschen gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland protestierten. Prominenteste Redner waren Heinrich Böll und Willy Brandt, letzterer sehr zum Ärger von Helmut Schmidt. Auch der Kampf um die Startbahn West wie die Demos gegen das Kernkraftwerk in Brokdorf, die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf wie auch der nie fertig gestellte Schnelle Brüter in Kalkar beherrschten Monate lang das Geschehen in den Nachrichten des Fernsehens, des Rundfunks und der Zeitungen. Und immer waren die Grünen mittendrin und vorneweg.

1998 kam es dann zur ersten rot-grünen Bundesregierung, mit dem Kanzler Gerhard Schröder von der SPD und Joschka Fischer von den Grünen. Fischer als Außenminister musste sich dann auf einem Grünen-Parteitag in Bielefeld 1999 heftige Kritik gefallen lassen, weil seine Regierung einen Nato-Einsatz mit der Bundeswehr im Kosovo gebilligt hatte- ohne ein UN-Mandat. Ein umstrittenes Unternehmen. Fischer wurde von einem Grünen-Parteimitglied mit einem Farbbeutel beworfen, am Ohr getroffen. Es war der erste militärische Einsatz der Bundeswehr nach dem Krieg.Fischer hatte den Einsatz u.a. damit begründet: „Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen.“Auch in den Medien wurde der Einsatz zum Streitthema, Pazifisten kritisierten Kriegsbefürworter.

Seit 2005, nach der verlorenen vorgezogenen Bundestagswahl sitzen die Grünen im Bundestag in der Opposition. Was nicht bedeutet, dass sie nicht mitregieren, sie stellen ja mit Winfried Kretschmann einen der wichtigsten Ministerpräsidenten der Republik, nämlich den von Baden-Württemberg, das fast 60 Jahre von der CDU regiert wurde, bis diese von Kretschmann und den Grünen abgelöst wurde. Der Aufstieg der Grünen im Südwesten hält im übrigen an. Das Land ist auch unter grüner Flagge nicht dem Untergang geweiht. Selbst die Autos fahren noch. Nach Umfragen liegen die Grünen mit rund 38 Prozent vorn. In anderen Bundesländern regieren sie ebenfalls mit, wie in Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Von Medien verwöhnt

November 2019. „Kuscheln und kämpfen“, so der Titel des Leitartikels im Berliner „Tagesspiegel“ am Sonntag, der auch die zumeist kuschelige Atmosphäre des Parteitags in Bielefeld beschreibt. Kaum Streit, dafür grüne Wohlfühlprogramme. Die Partei, die verwöhnt werde von den meisten Medien, die sie schonen und loben und weniger kritisch beurteilen als ihre Konkurrenz. Man nehme nur mal die heftigen und teils hämischen Töne, die der SPD entgegenschlagen. Aber es ist halt Grünen Zeit, man bedient ein Großstadtgefühl, wie der „Tagesspiegel“ treffend bemerkt, was überall zu spüren ist. Einstige SPD-Wählerinnen und -Wähler haben sich abgewandt von der ältesten deutschen Partei, auch weil die Grünen locker und hip daherkommen, nicht so zerstritten wirken wie die Sozis, die zudem ein Problem mit ihrem nicht überzeugenden Personal haben. Dagegen die Grünen mit Baerbock und Habeck, um nur die zu nennen.

Die Grünen heute sind keine Verbotspartei mehr, die den Leuten das Leben schwer macht. Aber so leicht, wie sie zur Zeit die Stimmung im Land beherrschen, wird das nicht bleiben. Der Ernst der Lage kommt, wenn die Grünen nicht nur mitregieren, sondern regieren wollen, den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. Dann kommt es zum Schwur, auch mit der Klimapolitik. Dann müssen sie zeigen, wie sie ihre Ankündigungen in konkrete Politik umsetzen wollen. Dazu gehört Umkehr, Veränderung, Verzicht. Weniger ist mehr- das sagt sich leicht, aber wenn es von jedem Bürger in Deutschland verlangt wird, dass er weniger Fleisch essen soll, mehr Fahrrad und Tram-Bahn und Zug fahren soll statt mit dem Auto die Lust zu verpesten, wenn man von ihm verlangt, dass er auf den Wochenendflug nach Mallorca verzichtet und lieber an den Starnberger- und Baldeneysee radeln soll, wenn die Automobilindustrie umrüsten soll auf E-Autos, was viele Arbeitsplätze kosten wird- all diese Umstellungen gleichen einer Revolution, die das Leben im Land verändern wird. „So kuschelig wie in Bielefeld“, endet der Kommentar im „Tagesspiegel“, „wird es für die Grünen nicht bleiben.“

Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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