Die Deutschlandfahne wurde im Laufe ihres Daseins schon von vielen benutzt – jetzt auch von Julia Klöckner. Die zweithöchste Repräsentantin des Staates hat sie kurzerhand zur Fahne der LGBTQ+-Szene erklärt: Als Fahne des Grundgesetzes sei sie auch die Fahne der geschützten Minderheiten, so ihre Begründung, die Regenbogenfahne nicht mehr am Reichstag hissen zu lassen.
Der Akt sendet gleich mehrere Botschaften. Solidarität mit weltweit wieder stärker bedrohten queeren Menschen will die Bundestagspräsidentin offenbar nicht mehr zeigen. In Zeiten, in denen CSD-Veranstaltungen von Rechtsextremen bedroht und angegriffen werden – wie vergangene Woche in Bad Freienwalde oder in Emden –, sendet die ehemalige Weinkönigin ein positives Signal an die AfD, die derzeit den „Stolzmonat“ ausgerufen hat – mit reichlich Deutschlandfahnen und vielen Rechtsextremen in den Postings. Am 03.06.2025 hat die AfD exakt diese Nichtbeflaggung im Bundestag beantragt.
Die Regenbogenflagge ist zum Hassobjekt der Rechtsradikalen geworden. Und genau in diesen Zeiten setzt die Bundestagspräsidentin ein fatales Zeichen. Der Bundestag bleibt ohne Regenbogen auf dem Dach des Parlaments am CSD-Tag. Schlimmer noch: Die Entscheidung Klöckners, das Regenbogen-Netzwerk des Bundestages an der Teilnahme am CSD zu hindern. Merkwürdig, die gleiche Bundestagsverwaltung ist 2022 unter Bärbel Bas zu anderen Schlüssen gekommen. Die Rechtslage hat sich seitdem nicht geändert. Wir dürfen also davon ausgehen , dass dies bewusste Entscheidungen der neuen Verwaltung sind. Und das wirft Fragen auf. „Sich für Gleichberechtigung und Menschenrechte einzusetzen, gilt in einer Demokratie plötzlich als problematisch? Als tendenziös?“ fragt Nadine Lange, Redakteurin des Tagesspiegels. Sie erhält ebenso wenig Antwort wie andere Medienhäuser, die verstört auf die Anordnung Klöckners reagieren.
Die Botschaft Klöckners ist jedenfalls eindeutig: Ihr scheint die Botschaft nach Ungarn und in die USA wichtiger zu sein als ein bewusstes Festhalten an der Solidarität mit dieser bedeutenden Gruppe in der Gesellschaft. Ihr muss bewusst sein, dass sie auf AfD-Linie eingeschwenkt. Offenbar soll dies ein Signal der Union an die konservative Wählerschaft sein.
Für die queere Community ist dieses Signal eindeutig: Die CDU geht auf Abstand zur gelebten Gleichberechtigung nicht-heterosexueller Menschen. Sie ist angekommen im Kampf gegen die angeblich so umfängliche „linksgrüne Wokeness“, gegen die die konservativen und rechtsextremen Medien seit Monaten anschreiben. Dazu passt die Kritik Klöckners an den Kirchen genauso wie das Posting gegen Dunja Hayali. Die neue Distanz zur Liberalität spiegeln sich am Ende dann auch in Verlautbarungen wie die des CDU-Bürgermeisters von Bad Freienwalde, der einen Überfall von 14 Rechtsextremen auf eine Vielfaltsveranstaltung mit „Das war wohl eine Störung“ und „Man hätte die nicht festhalten dürfen“ verharmloste. Zwei Verletzte, eine entsetzte Versammlung , weil mitten in Deutschland Rechtsextremen eine Vielfaltsveranstaltung nicht gefällt und sie deshalb überfällt. Verharmlosung ist bei rechtsextremen Taten ein gern gesehener Begleiter.
Der Trend setzt sich fort. Es ist wohl inzwischen akzeptiert, dass in vielen Kommunalparlamenten die AfD gemeinsam mit der CDU Entscheidungen trifft – und oft genug betrifft es genau die Flaggenfrage. Mal wird das Hissen der Regenbogenflagge gemeinsam verboten, wie in Neubrandenburg, mal wird die Dauerbeflaggung mit Schwarz-Rot-Gold vor Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden einmütig beschlossen. Und nie wird dabei betont, dass Schwarz-Rot-Gold ein Symbol der Menschenrechte, der Liberalität und der Minderheitenrechte ist. Im Gegenteil. In den Beflaggungsanträgen der AfD liest sich das anders. Im Landkreis Bautzen begründet die AfD im Kreistag ihren Antrag auf Dauerbeflaggung damit, dass der „kleinste gemeinsame Nenner immer die Zugehörigkeit zur eigenen Nation, einer Schicksals- und Bekenntnisgemeinschaft, ruhend auf einem allgemein anerkannten Wertekanon“ sei. Völkischer geht es kaum.
Bezeichnenderweise kommt aus der CDU keine Kritik an Klöckners Entscheidungen. Es scheint, als solle das letzte Fünkchen Liberalität der Merkel-Ära ausgekehrt werden. So bleibt es nun an der SPD, ein Zeichen zu setzen, dass die Regierenden nicht völlig den Pfad der Toleranz und Vielfalt verloren haben.
Ich wünsche mir Regenbogenflaggen auf jedem Ministerium – und natürlich auf dem Sitz des Bundespräsidenten.