Mit etwas gutem Willen, mit Freiwilligkeit und Marktwirtschaft können wir unseren Planeten nicht mehr retten. Die Lage ist zu ernst, aber das Gros unserer Politiker will es nicht kapieren. Zumindest in SPD, Union und FDP – bei der AfD sowieso – feiern Ignoranz und Populismus fröhliche Urständ. Die Devise lautet: Hauptsache, wir werden morgen noch mal gewählt, und wenn wir übermorgen untergehen.
Jetzt hat der Weltbiodiversitätsrat (IPBES), ein Gremium von Uno-Experten, einen neuen Bericht vorgelegt, dessen alarmierendes Fazit in wenigen Sätzen zusammengefasst ist: Macht die Menschheit so weiter wie bisher, ist sie Verursacher des weltgeschichtlich sechsten Massensterbens. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Wir entziehen uns selbst unsere Lebensgrundlagen. Es müsse, so fordern die Experten, zu grundlegenden Änderungen bei Landnutzung, Umweltschutz und in der Klimapolitik kommen.
Das passt zu den übereinstimmenden Prognosen führender Klimaforscher: die Industrieländer haben nicht einmal mehr 20 Jahre, um durch radikale Abkehr von Kohle und Erdöl eine Klimakatastrophe zu verhindern; eine Klimakatastrophe, die weite Teile unseres Planeten unbewohnbar machen würde.
Wir wissen seit Jahrzehnten, wie ernst die Lage ist. Wir wissen längst, dass wir umsteuern müssen. Aber wir haben’s nicht getan und tun’s noch immer nicht: Wachstum, Profitmaximierung, Konsumsteigerung blieben und bleiben die Kernelemente und Konstanten unserer viel gelobten Marktwirtschaft. Allradgetriebene Mammut-Karossen, hunderte PS stark, feiern gegen jede Öko-Vernunft immer neue Absatzrekorde, Fernflüge gibt’s zu Dumping-Preisen; – und die Politik versucht gar nicht erst, gegenzusteuern. Dem Wähler und Kunden bloß nicht die Laune verderben, kein schlechtes Gewissen machen. Die Wirtschaft möge boomen, denn – spätestens jetzt kommt das Zauberwort gegen alle Einwände – es geht um die Sicherung der Arbeitsplätze.
Der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, bilanzierte dieser Tage: „die soziale Marktwirtschaft funktioniert nicht so, wie sie funktionieren sollte.“ Und damit sprang er dem Juso-Chef Kevin Kühnert bei, der derzeit die Hassfigur für das politische und wirtschaftliche Establishment ist. Eben weil alle Ergebnisse zeigen, wie schlimm uns Politik und Wirtschaft in eine existentielle Krise geführt haben, wagte Kühnert das, was viel mehr wagen sollten: radikales Denken. So stellte er die Idee zur Diskussion, große Unternehmen zu vergesellschaften oder zu kollektivieren. Dazu muss es am Ende eines breiten Diskussionsprozesses ja nicht unbedingt kommen; aber es ist doch ein Gewinn an sich, wenn jemand aus alten und nachweislich schädlichen Denk- und Handlungsschemata ausbricht.
Beschämend, wie kleinkariert maßgebliche Politiker reagieren. Beängstigend, dass sie sich nicht fragen, ob die dramatischen Probleme unseres Globus genauso wie unserer Gesellschaft nicht tatsächlich ganz neue Denkanstöße brauchen. Stattdessen reflexartige Zurückweisung und dümmliche Polemik etwa eines Sigmar Gabriel, eines Michael Kretschmer, Noch-Ministerpräsident von Sachsen, oder des BMW-Betriebsratschefs Manfred Schoch.
Ausgerechnet Sigmar Gabriel, Großmeister des Populismus, bekannt für Unberechenbarkeit und Rücksichtslosigkeit, warf seinem Genossen Kühnert vor, der mobilisiere populistische Sehnsüchte und beschädige die eigene Partei. „Das ist übrigens die Methode Donald Trump“.
BMW-Betriebsratschef Schoch wetterte, wegen Kühnerts Vorschlag zur Verstaatlichung sei die SPD „für Arbeiter deutscher Unternehmen nicht mehr wählbar“. Schoch weiß offenkundig nicht einmal, was in der aktuellen Satzung seiner IG Metall gefordert wird: „Die Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum.“
Und Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer redete am vergangenen Sonntag bei „Anne Will“ wie auch schon früher dermaßen dummes Zeug, dass sich eigentlich jede Wiederholung verbietet. Zu Kühnerts Thesen fiel ihm nur die DDR ein, die er nicht mehr wolle, und schon das Wort „radikal“ fand er ganz schlimm.
SPD-Mann Gabriel, Michael Kretschmer von der CDU und Betriebsrat Schoch – drei, die für viele stehen und die Erbärmlichkeit unserer Eliten repräsentieren. Und das ausgerechnet jetzt, wo ganz neu gedacht und gehandelt werden müsste, wenn – siehe oben – wir die Welt noch retten wollen.
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