Es kann nicht nur an der Hitze liegen, dass die SPD den Überblick verloren hat. In Umfragen taumelt die ehemalige Volkspartei durch den Ring wie ein angeschlagener Boxer, der nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Gerade erst hat man sich in Straßburg blamiert bis auf die Knochen, als ein SPD-Argumentationspapier gegen Ursula von der Leyen die Runde machte. Jetzt hat man in der Person des Generalsekretärs Lars Klingbeil in der Verteidigungspolitik gegen die neue Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nachgelegt. Was auf den ersten Blick sich anhörte, als wollte die SPD nun die Erhöhung der Verteidigungsausgaben Richtung zwei Prozent des Bruttosozialprodukts ablehnen und zu ihrem Thema machen, wirkt bei genauerem Hinsehen schlicht wie politisches Theater. Denn was die CDU-Frau gefordert hat, entspricht exakt der Linie der Großen Koalition und die hat die SPD mit abgezeichnet.
Damit das niemand falsch versteht: Ich bin gegen diese Erhöhung des Wehretats und halte sie für ziemlich sinnlos. Aber eine SPD müsste vor ihrer Attacke gegen das Vorhaben von Kramp-Karrenbauer zunächst mal der entsprechenden Vereinbarung in der Groko öffentlich abschwören. Bis dahin klingen Worte wie die von Herrn Klingbeil hohl, das ist Geklingel, als wollte da jemand auf billige Art und Weise Wahlwerbung machen. Kann er so aber nicht, weil er seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt. Denn die SPD steht nun mal im Wort, das man schon 2014 gegeben hat. Es war auf dem Nato-Gipfel in Wales, der US-Präsident hieß Obama und nicht Trump. Letzterer ist gewiss ein furchtbarer Präsident der Vereinigten Staaten, aber er ist nicht für alles verantwortlich.
„Wir halten am Zwei-Prozent-Ziel fest“. So hat es Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt. Was nicht heißt, dass das schon morgen passieren wird. „Verbindlich“ werde Berlin „dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der Nato folgen“-das steht so im Groko-Vertrag. Also sollen die deutschen Militärausgaben erhöht werden in Richtung Zwei-Prozent. Bis 2024 sollen sie zunächst auf 1,5 Prozent angehoben werden. Das hat niemand anders gesagt als die Kanzlerin Angela Merkel, ebenfalls auf der besagten Konferenz in der bayerischen Metropole. Ein entschlossenes Nein aus dem Willy-Brandt-Haus dazu liegt nicht vor.
Gegenteil von Abrüstung
Es würde gut in ein SPD-Programm passen, wenn man den Rufen nach Abrüstung Taten folgen ließe. Die SPD gehört der Regierung Merkel seit 2013 an, als Schwarz-Rot Schwarz-Gelb ablöste. Man kannte sich ja schon aus der Koalition, die 2005 Gerhard Schröders Regierungszeit beendete, die Grünen auf die Oppositionsbank schickte und die SPD auf der Regierungsbank beließ, aber eben als Juniorpartner. Zurück zu 2013: Seit der Zeit wurde der Etat der Verteidigung von 33,3 Milliarden Euro auf aktuelle 43,9 Milliarden Euro erhöht, eine stolze Summe, mit den Stimmen der SPD, auch wenn Lars Klingbeil das nicht gern hört. Man kann solche Politik auch Aufrüstung nennen, zumindest ist sie das Gegenteil von Abrüstung. Glaubwürdigkeit erzielt die SPD durch solches Verhalten nicht.
Ein anderes Beispiel lieferten die Genossen vor ein paar Tagen auf europäischer Ebene. Da haben sie wieder mal gezeigt, dass sie kopflos sind. Sie hatten eigentlich keine so schlechten Karten, die Sozialdemokraten. War doch die Sache mit den Spitzenkandidaten von vornherein ein schlechtes Spiel. Der so genannte Spitzenkandidat der konservativen EVP, Manfred Weber, hatte nämlich nie eine echte Chance auf den Präsidenten-Stuhl. Der zwar persönlich nette Oberbayer gilt selbst in den eigenen CSU-Kreisen als ziemlich blass. Deshalb verhinderte man ihn als CSU-Parteichef, Ministerpräsident Markus Söder übernahm selbst. Sehr früh rechnete man in München damit, dass es Weber nicht schaffen würde.
Angela Merkel tat zwar so, als würde sie den CSU-Mann unterstützen, aber sie stand nie wirklich voll hinter ihm. Sie wusste darüber hinaus, dass Frankreichs Präsident Macron den Deutschen für ein Leichtgewicht hielt, den er nicht ins Rennen gegen die Großen dieser Welt schicken würde, um Europas Rolle zu stärken. Der holländische Sozialdemokrat und andere Spitzenkandidat Frans Timmermans hätte eigentlich diese Chance verdient gehabt. Aber plötzlich machten vor allem die Polen und die Ungarn Front gegen den Niederländer, weil der sich um die Rechtsstaatlichkeit in Warschau und Budapest kümmerte und den Polen und Ungarn auf die Finger haute. Zu Recht. Auch hier wurde ein falsches Spiel gespielt, denn Timmermans hatte nie eine echte Chance. Es ist geradezu lächerlich, dem kleinen Ungarn die Rolle des Bösewichts zuzuspielen, als hätten sie allein die Wahl des Holländers verhindert.
Peinliche Wochen
Und dann war plötzlich, wie aus dem Nichts, Ursula von der Leyen die Favoritin für das wichtigste Amt in Europa, ausgerechnet die glücklose Verteidigungsministerin, der man vorwirft, einen Trümmerhaufen hinterlassen zu haben. Ein Untersuchungsausschuss steckt noch mitten in der Arbeit, da kann noch manche Peinlichkeit ans Licht kommen. Ausgerechnet die Merkel-Vertraute von der Leyen, die gar nicht zur Wahl stand in Straßburg und die aus dem Rennen um die Nachfolge von Merkel um den CDU-Vorsitz gar nicht mehr genannt worden war, sondern Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn. Bei einer Neuwahl wäre es vorbei gewesen mit der erstaunlichen Polit-Karriere der Frau aus Niedersachsen. Wann eigentlich ist sie vorgeschlagen worden in den Hinterzimmer-Runden? Und von wem? Macron, Merkel? Fragen über Fragen, die sich an die Kanzlerin gerichtet hätten. Doch was machte die SPD? Sie entwarf ein Papier mit allen Vorwürfen und Fehlern der Ursula von der Leyen.
Es wurde gerätselt über die Nachfolge der Wehrministerin, wieder wurde Jens Spahn genannt, natürlich schien der große Friedrich Merz wieder im Spiel zu sein. Merkel wurde rübergerufen, sie solle über ihren Schatten springen und Merz ins Kabinett holen. Es kam alles anders, weil Frau Kramp-Karrenbauer alle anderen Versprechen vergass und doch als CDU-Chefin an die Spitze des Verteidigungsressorts rückte, ein Novum in der Geschichte der überparteilichen Bundeswehr mit ihrem Bürger in Uniform. Ein starkes Stück, wie Insider es kommentierten. Und wieder griff die SPD daneben. Sie hätte auch einfach schweigen sollen. Aber vermutlich wollte Lars Klingbeil wieder mal die Schlagzeilen für seine SPD haben.
Die Suche nach einer neuen Spitze der SPD nach Andrea Nahles dauert nun schon viele Wochen. Peinliche Wochen, in denen sich gezeigt hat, in welch schlechter Verfassung sich die älteste deutsche Partei befindet. Sie ist ohne Kopf und ohne Kurs. Übrigens ist nicht gesagt, dass die Fahrt der Genossinnen und Genossen in den Keller schon ihren Tiefpunkt erreicht hat. Arme SPD!