Jetzt, ausgerechnet jetzt, fabulieren oder faseln führende Politiker*innen der Klein-Partei SPD über „linke Mehrheiten“. Sie steigern sich in die Illusion einer Machtperspektive links von der Union und außerhalb der ungeliebten GroKo. Jetzt, wo es auf Bundesebene in jedem Fall zu spät ist und schon rein rechnerisch nicht mehr geht.
Die fast schon lächerliche Traumtänzerei der Sozialdemokraten ist Anlass für einen historischen Rückblick,– zurück in Zeiten, als es der SPD viel besser ging und sie politische Chancen verspielte, was sich vielleicht noch heute für sie rächt.
Mit der Wende zerfiel nicht nur die DDR, sondern auch deren diktatorische Staatspartei, die SED. Egal ob opportunistische „Wendehälse“ oder geläuterte Gesinnungstäter – jedenfalls machten damals innerhalb der SED sogenannte „Reformer“ um den populären Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer auf sich aufmerksam. Die SPD hätte sich demonstrativ solchen Kräften öffnen können. Aber in politischer Ehrpusseligkeit und aus Sorge um die ideologische Reinheit schotteten sich die Sozialdemokraten ab, zimmerten eilig Hürden gegen unerwünschte Gesinnungsfreunde aus SED und deren Nachfolgepartei PDS. In einer „Dresdner Erklärung“ führender Genossen hieß es wörtlich: „Die PDS ist ein politischer Gegner. Eine Zusammenarbeit kommt nicht in Frage.“
Ganz anders und regelrecht skrupellos die CDU. Sie schluckte bedenkenlos die Ost-CDU, die es zu DDR-Zeiten als sogenannte Blockpartei fast genauso schlimm und undemokratisch getrieben hatte wie die SED. Auf dem Vereinigungsparteitag am 1. und 2. Oktober 1990 in Hamburg wurden Spitzenleute der Block-CDU in Führungspositionen der gesamtdeutschen Union gewählt; DDR-Kader, die noch wenige Monate oder Wochen zuvor in übelster Weise gegen die Bundesrepublik und deren CDU-Kanzler gepöbelt und gehetzt hatten. Umso infamer, wie kurze Zeit später just diese vereinigte CDU die Sozialdemokraten mit einer „Rote-Socken-Kampagne“ überzog und sie dem Dauerverdacht aussetzte, sie könnten mit ehemaligen DDR-Sozialisten gemeinsame Sache machen.
„Hätte, hätte, Fahrradkette“ reimte auch Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat. Und es stimmt ja: Ein „hätte“ von damals macht heute nichts besser. Trotzdem sei eine melancholische Spekulation erlaubt: Die SPD hatte die Chance, durch eine Umarmungs- oder Öffnungsstrategie zumindest Teile der SED und ihrer Nachfolgeorganisationen aufzunehmen und damit sich selbst zu stärken. Wäre die SPD nur halb so skrupellos wie die CDU gewesen, hätte sich die Sozialdemokratie nach der Wende 1989/90 für die sogenannten Reformer in der SED geöffnet …. Die Frage muss schon erlaubt sein: Wären die SED-Nachfolgeparteien – erst PDS, dann „Die Linke“ – so stark geworden und hätten sie der SPD so viel Wucht und Stimmen nehmen können, wie es ihnen später gelang ? Wäre die SPD ohne die linke Konkurrenz heute so schwach sie sie es jetzt ist ?
Möglicherweise immer noch wegen des „Rote-Socken“-Traumas hat die SPD auf Bundesebene niemals offensiv eine „linke Mehrheit“ aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen angestrebt und propagiert. Jahrelang wäre es realistisch gewesen. Und als es auch noch nach der Bundestagswahl 2013 rechnerisch ganz knapp für Rot-Rot-Grün gereicht hätte, wählten die Genossen wieder den Weg in die Große Koalition und damit – wie sich jetzt herausstellt – den Weg in den Untergang.
Wie sie da wieder rauswollen …
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'Die SPD – mal wieder zu spät !!!' hat einen Kommentar
14. August 2019 @ 22:31 Lutz Hausstein
Hätte sich die SPD 1990 für ehemalige SED-Mitglieder geöffnet, hätte sich sicher etwas geändert. Damals. Bis Mitte/Ende der 90er, ja Anfang der 2000er Jahre.
Über all dem sollte man aber nicht vergessen, wann die SPD zu ihrem Sturzflug angesetzt hat und warum. Es war die Agenda 2010, derer wegen eine nicht unerhebliche Anzahl Mitglieder die SPD verlassen hat, manche trotz jahrzehntelanger Parteimitgliedschaft. Und die der SPD ebenso einen dramatischen Absturz bei Wahlen bescherte. Ob da ehemalige SED- und nun inzwischen SPD-Mitglieder diese arbeiterfeindliche Politik mitgetragen hätten, halte ich für unwahrscheinlich. Sie hätten vermutlich ebenfalls die SPD verlassen. Und so dürften wohl die Auswirkungen einer damaligen Öffnung der SPD-Mitgliedschaft auf heute zumindest als marginal zu vermuten sein.
Nicht die Nichtöffnung für ehemalige SED-Mitglieder war das Kardinalproblem der SPD, sondern deren Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Hatte nicht die pure Ankündigung einer sozialpolitischen Kehrtwende dem SPD-Kanzlerkandidaten #Chultz 🙂 eine erdrutschartige Verschiebung zugunsten der SPD in den Wahlumfragen beschert? Die SPD lag Februar 2017 sogar vor (!) der CDU. Als sich danach rausstellte, dass das alles ein weiteres Mal nur heiße Luft war, folgte postwendend wieder der Absturz. Und diesmal noch eine Etage tiefer. Zurecht.
Nein, die „Arbeiterpartei“ SPD steht und fällt damit, wie sie sich zu ihrer Kernklientel, den Arbeitern, den Arbeitslosen, den Armen und den Unterprivilegierten, verhält. Und zwar nicht in Reden, weder sonn- noch wochentags, sondern mit ihrer ganz konkreten Politik. Solange sie die Belange ihrer Wähler mit Füßen tritt, hat sie von denen auch nichts zu erwarten, warum auch?
Die (regelmäßig wechselnden) Parteispitzen interessiert das aber bis heute nicht, die Parteibasis lässt dies immer wieder geschehen und so bekommt die Partei dafür die Quittung. Und meine Erfahrungen lassen mich befürchten, dass auch dieses Mal die Parteigranden, die offiziellen ebenso wie die grauen Eminenzen im Hintergrund, die Sache so deichseln werden, dass die SPD auf keinen Fall zu progressiv werden könnte. Um das zu durchbrechen, müsste die gesamte Führungsspitze erneuert werden, nicht nur der Parteivorsitz. Denn die alten Seilschaften in der SPD-Führung sorgen dafür, dass sich nichts Entscheidendes ändert. Selbst wenn aus Versehen mal der „falsche“ Parteivorsitzende gewählt werden würde.