Enteignet wird längst…
…so überschrieb „SpiegelOnline“ den Bericht über eine Debatte, die seit dem letzten Wochenende ausgebrochen ist. NRW-Ministerpräsident Laschet warnt vor dieser Debatte, als ob schon durch sie noch weniger Wohnungen gebaut werden würden als ohnehin.
In mehreren Großstädten demonstrierten Zehntausende für das Recht auf Wohnen und gegen fast unbremsbare Mietpreissteigerungen. Logisch, dass in dem Zusammenhang die Rede auch bald auf Enteignungen der großen Vermietungsunternehmen und derer kam, die mit Wohnraum spekulieren. Logisch auch, dass das rechte Parteienspektrum – von der schwarzen Mitte über neidgelb bis braun – reflexartig Enteignungen ablehnte. Prinzipiell können sie diese Ablehnung nicht gemeint haben, denn – nur zum Beispiel – für die Braunkohle stimmten sie jahrzehntelang ständig Enteignungen zu.
Ob Enteignungen wohnungspolitisch – im Sinne möglichst schnell möglichst viele bezahlbare Wohnungen bereit stellen zu können – sinnvoll sind, darüber kann man trefflich streiten. Es wird wohl kein direkter Weg von Enteignungen zu mehr Wohnraum führen. Deshalb – und vielleicht auch wegen des Koalitionsfriedens – dürfte Andrea Nahles namens der SPD Enteignungen ebenfalls abgelehnt haben. Flux haben die Grünen diesen Platz besetzt und ein Bürgermeister aus dieser Partei schreibt gleich medienwirksam Briefe an des Bauens abholde Grundstückseigner.
Zur Verteidigung ihres Platzes an der Seite der Mieter*innen sollte Andrea Nahles sehr bald ins SPD-Archiv steigen und unter 1972 und dem Stichwort Bodenrecht nachsehen. Dazu später mehr.
Zunächst sei daran erinnert: Enteignungen sind kein Teufelszeug, sie stehen sogar im Grundgesetz, ausdrücklich!
Im Artikel 14 heisst es,“Eigentum“, das natürlich „gewährleistet“ wird, „verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Für Nicht-Juristen ist schwer zu sagen, inwieweit die sprachlich äußerst interessante Verwendung des Wortes ZUGLEICH in diesem Zusammenhang Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat.
Ebenso munter geht es in unserem Grundgesetz weiter: „Enteignung…ist zulässig.“
Sie ist zulässig nur aus einem einzigen Grund, „zum Wohl der Allgemeinheit“ Der Eigentümer müsse entschädigt werden, wobei „Die Entschädigung(..) unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen(ist).“ So lautet Art 14 Abs 3 GG und es klingt keineswegs so, als hätte die Entschädigung einem aktuellen und zufälligen Marktwert zu entsprechen.
Möglich, dass es im Vergleich zu einem Rechtsstreit über die Höhe der nach einer „gerechten Abwägung“ zu zahlenden Entschädigung sinnvoller und auch schneller zum Ziel führen würde, Zeit und Geld gleich in den Neubau bezahlbarer Wohnungen zu investieren.
Bleiben wir noch kurz beim Grundgesetz, das uns in Artikel 15 ein weiteres Instrument bereit hält:
„Grund und Boden“, heißt es da, „Naturschätze und Produktionsmittel“ können zum Zwecke der Vergesellschaftung(sic!)…. in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Das ist der Name des Artikels 15 GG:VERGESELLSCHAFTUNG
Das wird gerne in Vergessenheit gebracht und dort möglichst tief versenkt. Neulich tat ein Rechtsexperte der ZDF-heute-Redaktion in eben jener Sendung den Artikel als nicht ganz ernst zu nehmendes, den Zeitumständen von 1949 geschuldetes Überbleibsel ab. Als ob alle anderen Artikel
Das Land Berlin versucht gerade, seine ehemaligen Wohnungsunternehmen (verkauft unter Ex-Finanzsenator Sarrazin…) zurück zu kaufen. Das entspräche in etwa der im Artikel 15 GG genannten Überführung in Gemeineigentum. Vermutlich wird dieser Kraftakt anderen als Lehre dienen. Schätzungen, was der Rückkauf kosten werde, rangieren zwischen 7 und über 30 Milliarden Euro.
Die Wohnraumversorgung in den Ballungsgebieten stößt da an objektive Grenzen, wo es keine bebaubaren Grundstücke mehr gibt. Das ist nicht verwunderlich, denn Boden ist nicht vermehrbar. Das unterscheidet ihn von allen anderen Waren – als die Grund und Boden trotz dieser besonderen Eigenschaft wie selbstverständlich behandelt wird.
Wie dominant das Recht auf Eigentum ausgelegt wird und wie kapitalistisches Denken alle anderen Kategorien überlagert, merkt man auch daran, dass die Binsenweisheit von der Unvermehrbarkeit des Bodens (bei steigendem Meeresspiegel wird es global sogar weniger…) so gut wie keine Berücksichtigung im ökonomischen und stadtplanerischen Alltag findet. Stattdessen wird mit Boden spekuliert, wie mit allem anderen auch. Das ist nicht nur – wie etwa Spekulation auf steigende Nahrungsmittelpreise – moralisch verwerflich sondern angesichts dieser besonderen Eigenschaft des Bodens auch nicht sachgerecht. Sachgerecht wäre es, Grund und Boden den Marktgesetzen weitgehend zu entziehen. Ob durch Enteignung, Vergesellschaftung oder ein neues Bodenrecht sollte dabei keine prinzipielle sondern eine pragmatische Antwort finden.
Jeder weiß es: sobald eine Kommune darüber auch nur nachdenkt, ein Grundstück für eine Bebauung vorzusehen, steigt dessen Preis ins Unermessliche. Für die Gemeinde selbst in den Bereich des Unbezahlbaren, für manch einen Investor, der ja ohnehin die schnellstmögliche Amortisierung des Investments anstrebt, wird die Schaffung bezahlbaren Wohnraums angesichts solcher Anfangskosten vollends unattraktiv. Und gesellschaftspolitisch ist derart leistungsloser Profit nicht sehr zuträglich.
Tatsächlich stehen durchaus Instrumente bereit, sowohl Wohnbebauung zu fördern als auch den Mietpreis-Anstieg zu begrenzen. Die Fortführung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus wird derzeit gesichert. Statistiker und Stadtplaner haben errechnet, dass ab einem Anteil knapp über 14 % mietpreisgedeckelter Wohnungen am Gesamtbestand einer Stadt, einhegende Effekte auf das gesamte Mietpreisniveau bewirkt werden. Deswegen greifen immer mehr Städte (wieder) zur Festsetzung von Mindestquoten öffentlich geförderter an allen neu errichteten Wohnungen. Es gibt sogar ein gesetzliches Baugebot, dessen Nichtbeachtung die Enteignung nach sich ziehen kann. Im Vergleich dazu fehlt eine Handhabe gegen Wohnungleerstand. Es gilt als Eingriff in das Eigentumsrecht, Mietwohnungbesitzern die Vermietung ihrer Wohnungen abzuverlangen.
Die sogenannte Mietpreisbremse, die den Preisanstieg bei Neuvermietungen vorhandener Wohnungen begrenzen soll, gehört neben Mietpreisspiegeln und Höchstgrenzen für die Anhebung von Bestandsmieten zu den Maßnahmen gegen Mietpreissteigerungen. Die geplanten Nachbesserungen hieran versprechen durchaus dem Gesetz mehr Wirksamkeit als bisher zu verschaffen.
Gegner der Enteignung und Vergesellschaftung, wie Bundeswirtschaftsminister Altmeier, bieten als Alternative gerne an, „einfach mehr zu bauen“. Das Argument grenzt allerdings an Volksverdummung, denn es versucht alle Meldungen über Handwerkermangel, Knappheit an Baumaterial und steigende Baukosten vergessen zu machen. Noch etwas macht es sehr schwer, sehr schnell neue Wohnungen (aber auch anderes) zu bauen: die Genehmigungsverfahren.
Bis eine Bebauung – selbst wenn alle Beteiligte prinzipiell einverstanden sind, was natürlich selten vorkommt – tatsächlich in Angriff genommen werden kann, vergehen zwischen Voranfrage und wirklichem Baubeginn in aller Regel mehrere Jahre. Die Dauer verlängert sich natürlich erheblich, wenn Einwände etwa aus der Nachbarschaft des Bauvorhabens erhoben werden und auf dem Rechtsweg ausgefochten werden müssen. Das aber ist eher die Regel als die Ausnahme.
Rechtlich normierte Ansprüche an Bauwerke, für die im Einzelnen gute Gründe sprechen mögen, haben auch den Effekt, die Baukosten – und damit logischerweise die Miet- und Kaufpreise für spätere Nutzer – immer weiter in die Höhe zu treiben. Es ist offensichtlich, dass sich hohe Qualitätsanforderungen und die Notwendigkeit auch relativ preiswerten Bauens gegenseitig sehr behindern – wenn nicht sogar ausschließen.
Die Instrumente zur Förderung bezahlbaren Wohnens in den Ballungsgebieten sind also in ihrer Wirksamkeit durch materielle Knappheiten, Verfahrensprobleme aber auch durch entgegen stehende politische und rechtliche Zielsetzungen beschränkt
Mit Enteignungen und eher noch mit einem neuen, der Besonderheit der Unvermehrbarkeit Rechnung tragenden Bodenrecht kann ein Teil dieser Hindernisse angegangen werden – aber es ist der ärgerlichste weil willkürlichste Teil: die Spekulation und ihre Auswirkungen auf die Baukosten, Miet- und Kaufpreise.
Schon 1972 hatte sich eine SPD-Kommission auf einen Vorschlag für ein neues Bodenrecht geeinigt. Einer der prominentesten Kommunalpolitiker in jener Kommission war Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der später als Bundesminister die Ideen erneut aufgriff und sich heute von seinem Altersitz aus als kämpferischer Schirmherr einer „Initiative für ein soziales Bodenrecht“ betätigt. Einige Kernelemente der Vorschläge sind eine Trennung von Eigentums- und Verfügungsrecht, die steuerliche Abschöpfung von Gewinnen, die auf kommunale Planungen zurück zu führen sind und eine höhere Besteuerung von brachliegenden Grundstücken in Ballungsgebieten. Aktuell stehen auch ein Verbot von Luxussanierungen und Eigenbedarfskündigungen in Ballungsgebieten zur Debatte.
Andrea Nahles, die vergleichsweise schnell Enteignungen abgelehnt hatte, kann sich leicht informieren. Die Initiative für ein soziales Bodenrecht findet sie unter www.initiative-bodenrecht.de die Vorschläge der SPD aus den 70er und 80er Jahren liegen im SPD-Parteiarchiv und über die Telefonnummer von Hans-Jochen Vogel verfügt sie ganz sicherlich.
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