Schon die ersten Wochen haben die Akzente der Kanzlerschaft Merz deutlich gemacht. Reisen nach Paris und Warschau, nach Brüssel, Kiew, Rom und in die litauische Republik. Der Sauerländer aus Brilon will von Beginn an den Weltpolitiker spielen. Dafür hat er eine seit den Anfängen der Republik selbstverständliche Praxis außer Kraft gesetzt. Die Fraktion, die den Außenminister stellt, übernimmt nicht gleichzeitig den Vorsitz im wichtigen Auswärtigen Ausschuss des Parlaments.
Merz möchte eine Außenpolitik aus einem Guss, die er aus dem Kanzleramt leiten kann und für deren Ausführung ihm genehme Akteure sorgen sollen. Von Außenminister Johann Wadephul bis zum in dieser Woche gewählten Ausschussvorsitzenden Armin Laschet.
Der wird in diesem Amt das tun, was er am besten kann: Lächeln – oder gelegentlich unpassend prustend lachen – für Deutschland.
Für den Ausschussvorsitz hatte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil den engagierten Außenpolitiker und langjährigen, beliebten und angesehenen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich ins Spiel gebracht. Er bat ihn, diese Aufgabe zu übernehmen. Der Spiegel meldete diese Personalie vor zwei Wochen als ziemlich gesichert.
Warum es anders kam, darüber gibt es in der SPD-Fraktion und bei vielen Mitgliedern der Partei verschiedene Versionen.
Version eins: Der SPD-Vorsitzende habe Mützenich genannt, ohne sich vorher bei der CDU/CSU rückversichert zu haben. Das wäre naiv. Und ein Mann, der das Land als Vizekanzler mitregieren will, sollte nicht schon in einem solchen Detail von Naivität gezeichnet sein.
Version zwei: Klingbeil wusste, dass die Union andere Pläne hatte, brachte den Namen von Mützenich nur deswegen ins Spiel, um später sagen zu können, er habe ja alles getan, um ihn zum Ausschussvorsitzenden zu machen. Das Pilatus-Modell: Ich wasche meine Hände in Unschuld.
Version drei: Der SPD-Vorsitzende sei nie darin interessiert gewesen, den immer auf Abrüstung drängenden und auf diplomatische Versuche im Ukrainekrieg pochenden Mützenich zu unterstützen. Dadurch, dass er dessen Namen vorzeitig genannt habe, sei der bei der Union verbrannt worden.
Keine dieser Versionen ist für Klingbeil, der als SPD-Vorsitzender für das desaströse Wahlergebnis vom Februar mitverantwortlich ist, ehrenhaft. Statt dafür Verantwortung zu übernehmen, hat er zunächst im Handstreich die Fraktionsführung übernommen, um diese dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen und gegen das Vizekanzleramt zu tauschen. Viele haben ihm diesen Umgang mit der Fraktion und deren Selbstverständnis übel genommen. Insbesondere muss dieser flegelhafte Umgang mit dem „wichtigen Machtzentrum der Partei“ – so einst der Fraktionsvorsitzende Peter Struck – Rolf Mützenich getroffen haben. Er, der wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, „sechs Jahre lang bis an die Grenzen der eigenen Gesundheit die Fraktion zusammengehalten hat“.
Ich selbst habe immer wieder erfahren, mit wie viel Anerkennung Mützenichs Mahnungen, im Ukrainekrieg diplomatische Bemühungen nicht zu vergessen, in der Bevölkerung getragen wurden. Dies spiegelte sich auch in vielen Umfragen wieder.
Wie groß die Verbitterung in der Partei über dieses Spielchen mit dem honorigen, beliebten und von Klingbeil gedemütigten Rolf Mützenich ist, lässt sich an vielen Reaktionen in der Partei ausmachen.
Ich kenne die SMS, die ein Sozialdemokrat, langjährig beschäftigt in der Bundestagsfraktion und der Regierung, an den SPD-Vorsitzenden geschrieben hat. Zwei Sätze, die es in sich haben: „Dein und Euer Benehmen gegenüber Rolf Mützenich ist beschämend. Meiner tiefen Verachtung darfst Du Dir sicher sein.“
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EHRE, MÜTZENICH
Ich hätte mir gewünscht, dass im deutschen Parlament viel mehr „Mützenichs“ vorhanden gewesen wären. Sie hätten tatsächlich mit Kompetenz, Sachlichkeit und Diplomatie mehr erreicht, als die gegenwärtigen Möchtegernmachthabern. Sie ruinieren unser Deutschland mit total falscher Politik. Ihnen fehlt die Kantsche Vernunft, um mit Kurz- und Weitblick zum Volkswohl zu regieren.
Es gibt eine vierte Version, die sachlich nachvollziehbar ist:
Es wäre nicht zu erwarten gewesen, dass Mützenich als Ausschussvorsitzender seine Überzeugungen „an der Garderobe abgibt“ und die außenpolitischen Vorstellungen des Kanzlers vollumfänglich teilt und unkommentiert lässt. Damit wäre ein Dauerkonflikt ala Ampel vorprogrammiert gewesen. Mit dem offensichtlich zwischen dem Machttechniker Klingbeil und Merz abgesprochenen Vorgehen in der Causa Mützenich sollte der Schein gewahrt bleiben. Anstand geht anders.
Warum sollte die SPD die außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen eines Friedrich Merz „vollumfänglich“ teilen? Dann könnte sie sich gleich selbst auflösen.
Notwendig wäre dagegen ein eigenes, sichtbares Profil und keine Anbiederei!