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Er war ein Großer der Bonner Republik – Zum Tode von Norbert Blüm

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
24. April 2020
Norbert Blüm

Wenn wir uns irgendwo trafen in Bonn, ob im Bundestag, in seinem Arbeitszimmer im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, oder später in einer Kneipe, begrüßten wir uns mit der linken Hand, (weil es vom Herzen kommt)wie das die Sankt-Georgs-Pfadfinder tun und wünschten uns „Gut Pfad“, das ist der Gruß der Pfadfinder. Norbert Blüm ist bei den Pfadfindern gewesen, wie ich, er war als Knabe Messdiener wie ich auch, und er war ein gläubiger Christ. Dazu, und das passte zu einem wie ihm, war er Mitglied der IG Metall und wurde nicht nur deswegen, sondern wegen seiner sozialen Grundhaltung, früher von Franz-Josef Strauß „Herz-Jesu-Marxist“ genannt oder als solcher beschimpft, Blüm fühlte sich durch solche Attacken eher geadelt. 16 Jahre diente er im Kabinett von Helmut Kohl als Bundesminister für Arbeit und Soziales. Jetzt ist dieser körperlich kleine, aber stets leidenschaftlich für die Sache der Demokratie und Freiheit kämpfende Norbert Blüm in Bonn gestorben. Er wurde 84 Jahre alt.

Das Arbeiterkind stammte aus Rüsselsheim und behielt den Dialekt bei. Er war Opel-Werker, gelernter Werkzeugmacher, und fragte einen schon mal, was für einen Wagen man denn fahre. Gut, wenn die Antwort „Opel“ hieß“. Vom Opel-Arbeiter übers Abendgymnasium zur Promotion, die Laufbahn von Norbert Blüm. Eine Karriere, die Respekt erzeugt, aber kein Karrierist der Mann, der sie zurückgelegt hat, dazu zuverlässig, verlässlich, keiner aus der Champagner-Fraktion, schon eher einer, der mit einem mit einem Bier anstieß und dazu eine Bratwurst aß. Bescheiden, fröhlich, gebildet, nie eingebildet. Ich lernte ihn in den 70er Jahren kennen, da war er Mitglied der CDU-Sozialausschüsse(später wurde er CDA-Chef und Nachfolger von Hans Katzer), er wohnte mit seiner Familie in Remagen, unweit des Rheins. Einmal im Jahr lud er ein paar Journalisten ein, von denen er annahm, dass sie seine Leidenschaft für den Streit für das Soziale und Gerechte teilten. Seine Frau Marita kochte Pellkartoffeln, dazu gab es Heringe oder auch mal Matjes, ein Bier oder auch deren zwei. Und dann wurde diskutiert, die Republik ausgerichtet, Norbert Blüm war ein Linker, als solcher sah er sich auch in den Reihen seiner Partei. Er ging um der Sache willen keinem Streit aus dem Weg. Wenn es vorbei war, war es vorbei, nachtragend war er nicht. Aber wenn ihm etwas gegen den Strich ging, griff er, der für einen guten Witz immer zu haben war und gern lachte, schon mal zu Tricks. Als Zahnärzte in den 80er Jahren mal vor seinem Ministerium in Bonn-Duisdorf protestierten, ließ er einige Mitarbeiter seines Hauses Papiere an die „darbenden Ärzte“ verteilen, auf denen sie Arbeitslosenunterstützung hätten beantragen können. Wir Journalisten hatten Spaß an der Aktion, die Mediziner waren sauer.

Polit-Rentner, der keine Ruhe gab

Das soziale Herz seiner Partei vermisste er in den Jahren als Polit-Rentner, der aber keine Ruhe gab, sich zu Wort meldete, wenn er irgendwo etwas entdeckt hatte, was ihm aufgestoßen war. Ihm war es zu still in der Politik, es müsse mehr gestritten werden, sagte er mir am Telefon, Streit um die Sache, den richtigen Weg. Bequem war er nicht. Wer sich mit ihm anlegte, brauchte gute Informationen, denn Norbert Blüm wusste gut Bescheid und er mischte sich ein, wenn Bedarf war. Das konnte auch in der Außenpolitik sein, in der Flüchtlingspolitik, wo er sich mit einem wie Günter Wallraf zusammentat und protestierte gegen die Zustände in einem Flüchtlingslager, das er natürlich besucht hatte. Der Mann scheute keine Umwege, keine Mühe, Geld spielte ohnehin für ihn keine so wichtige Rolle. Menschsein schon eher, die Würde des Menschen, wie es im Grundgesetz steht, das war sein Thema. Die Gehälter der Manager und die Tatsache, dass sie Millionen Boni kassierten, auch wenn die Firma, der sie vorstanden, Minus-Geschäfte machte. Da konnte er auf die Palme gehen. Als er sich mit dem Diktator von Chile, diesem Schlächter Pinochet anlegte, sich vor ihn hinstellte und ihn und seine Handlanger Folterknechte hieß, geriet er zu Hause mit einem wie Franz-Josef Strauß aneinander, der finanzielle Einbussen befürchtete, weil Lastwagen nach Santiago verkauft werden sollten. Als wenn das einem wie Blüm imponiert hätte. Blüm lehnte sich auf, protestierte gegen den Unmenschen Pinochet vor aller Welt.Er war da ziemlich allein, was ihm egal war.

Als CDU-Abgeordneter hatte er seinen Wahlkreis in Dortmund, also ging er zu Spielen des BVB. Als wir uns im Stadion trafen, begrüßte er mich wie immer mit der linken Hand, wünschte gut Pfad und er setzte noch einen drauf: „Na, mir Dortmunde“. So ähnlich hat es geklungen, so sagen es die Rüsselsheimer. Damit das nicht falsch verstanden wird: Blüm war kein Opportunist, kein Karrierist, er kümmerte sich wirklich wie kaum ein anderer um die Sorgen der Menschen in dieser einstigen Kohle-, Bier- und Stahlstadt.

Er war ein Kämpfer für die vielen Probleme der kleinen Leute. Er stellte sich den protestierenden Bergleuten in den 80er Jahren zur Diskussion, als die in Bonn gegen die Politik von Helmut Kohl im Regierungsviertel demonstrierten. Einfach war das nicht, denn die Kumpel befürchteten das Schließen weiterer Zechen. Sie waren ziemlich laut, wütend, auf Krawall gebürstet, Blüm ging zu ihnen, musste sich einiges anhören und gewann ihren Respekt. Als Mitglied der CDU hatte er es nicht leicht, denn er war nicht immer auf Linie, vor allem war ihm der Neoliberalismus zuwider, deren Parole vom schlanken Staat war nicht seine Politik. Er wusste zu gut, dass der Staat immer dann, wenn es eng wurde, zu Hilfe kommen musste, die Gewinne wurden eingestrichen, aber die Verluste sollten sozialisiert, also der Gemeinschaft aufgehalst werden. Er hat den Wandel der Politik erlebt von der christlich-liberalen Mehrheit im Bundestag hin zu Rot-Grün und dann die Merkel-Zeit. Gegen mächtige Widerstände wehrte er sich gegen den Ausstieg aus dem Solidaritätsprinzip, vergeblich, wie man heute weiß. Unvergessen sein Satz, „die Rente ist sicher“, er klebte ihn an Litfaßsäulen und wurde oft wegen dieses Satzes kritisiert. Dabei gilt er noch immer: die Rente ist sicher, nur weiß man nicht, auf welchem Niveau sie in Jahren sein wird. Er kämpfte für die Säulen des Sozialstaates, für die Formel: die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Reichen für die Armen. Solidarität, das war sein Credo, nicht der Eigennutz, der Egoismus.

Kohl verdankte ihm sehr vieles

Die CDU brauchte ihn, Helmut Kohl verdankte ihm die Unterstützung seiner Politik durch Arbeitnehmer. Blüm nahm hin, dass die CDU mit der FDP koalierte, dass einer wie Graf Lambsdorff quasi neben ihm, dem Arbeiterführer, saß. Aber auch der „Graf“, wie wir ihn respektvoll nannten, war nicht ohne, sondern pflaumte Blüm an: er werde eher aus dem Fenster springen, als mit einem wie Blüm in ein und derselben Regierung zu sitzen. Blüm konterte lachend: jawohl, Herr Graf, sie werden sicher springen, aber aus dem Parterre-Fenster. In sozialen Fragen standen die beiden quer gegeneinander, in Fragen der Menschenrechte war Lambsdorff genauso links und kämpferisch wie Blüm, der aber beklagte, dass Sozialpolitik nicht selten den falschen Entwicklungen der Wirtschaftspolitik hinterherhechelte und korrigierend eingreifen musste, quasi als „Lazarettwagen der Wirtschaftspolitik“. Alle rufen in ihren Sonntagsreden, die Wirtschaftskapitäne und die Politiker, der Gürtel müsse enger geschnallt werden, und dann „fummelt jeder am Gürtel des anderen herum.“ Ein typischer Blüm, der unter dem Egoismus gelitten hat, weil er sah, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft, das Gefühl der Solidargemeinschaft, was ja einen Staat stark macht, abnahm, weil das Rennen um das goldene Kalb, die Habgier, nichts abzugeben, das Klima bestimmte und vergiftete.

Gelegentlich hat man sich gefragt, was denn einer wie Norbert Blüm in der CDU eigentlich wollte. Er war ein Linker, ein Metaller. „Eigentlich war ich immer Dissident, ich habe nie richtig dazugehört“, hatte er vor Jahr und Tag in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ geklagt. Aber natürlich blieb er in der CDU, trotz der Spendenaffäre seines alten Freundes Helmut Kohl. Aber Blüm wäre nicht Blüm, wenn er diesen Gesetzesverstoß seines Kanzlers, dem er Jahre über Jahre gedient hatte, einfach hingenommen hätte. Er ging an die Öffentlichkeit und machte klar, dass Kohl das Gesetz gebrochen habe, weil er, anders als im Text vorgesehen, die Namen der Spender nicht genannt hatte, weil er angeblich diesen Spendern sein Ehrenwort gegeben hatte. Das ließ Blüm nicht gelten. Daran zerbrach die Freundschaft. Später lästerte derselbe Kohl, der eigentlich Blüm vieles verdankte, über Blüm in einem Buch von Heribert Schwan mit dem Titel „Das Vermächtnis“. Ich habe Blüm damals angerufen und ihn darauf angesprochen. Er winkte nur ab, das sei nicht sein Niveau, also sagte er nichts dazu. Aber der gute Christ, wie er war, ging Jahre später zur Beerdigung von Helmut Konl, weil er anders als der Mann aus Oggersheim verzeihen konnte und nicht nachtragend war, im Tod schon gar nicht.

Er schrieb mit der Hand und faxte die Texte

Norbert Blüm hat in den letzten Jahren immer mal wieder zur Feder gegriffen und für den „Blog-der-Republik“ geschrieben. Er rief mich dann an, sagte, was ihm gerade zu schaffen machte, setzte sich hin, schrieb den Text mit der Hand und faxte ihn mir zu. Als er krank wurde, schwer erkrankte nach einer Hüftoperation, zog er sich zurück, war in der Klinik, kam nach Monaten nach Hause und schilderte der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, dass er von der Schulter bis zum Fuß gelähmt sei, nichts mehr halten könne, aber im Kopf sei er klar. Der Blog-der-Republik hat diesen Text der Zeit in Kurzfassung übernommen, noch einmal meldete er sich, um etwas loszuwerden über Missstände in der Sozialpolitik. Dann hörte ich nichts mehr von ihm. Heute früh rief mich Friedhelm Ost an, ein Freund der Familie Blüm, um mir mitzuteilen, dass Norbert Blüm gestorben sei.

Schade. Er war ein toller Kerl, ein Demokrat, ein Familienvater, ein Vertreter der alten Bundesrepublik. Verwurzelt in der katholischen Soziallehre, ein Gegner des übersteigerten Nationalismus, ein überzeugter Europäer. Er war ein Kind der Bonner Republik. Ihn wird man vermissen, seinen Humor, seine Leidenschaft, seine Stimme.

Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F078539-0037 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0

Erstveröffentlichung in der Neuen Westfälischen

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Tags: Ära KohlBonner RepublikDeutschlandNorbert BlümNorbert Blüm zum Gedächtnis
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Comments 1

  1. Siegfried Gendries says:
    6 Jahren ago

    Viele verdiente Nachrufe auf einen großen Politiker, aber keiner so bewegend wie dieser! Danke!

    Antworten

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