Flüchtlingslager Türkei

Flüchtlingspakt – Türkei und die EU. Die Türkei will das nicht mehr alleine schaffen.

Millionen syrischer Flüchtlinge haben in der Türkei Schutz gefunden. Viele Türken wollen, dass sie gehen. Auch deshalb droht Präsident Erdoğan mit dem Ende des EU-Deals

In deutschen Nachrichtensendungen entstand zuletzt manchmal der Eindruck, als wäre die Zeit um vier Jahre zurückgesetzt. Bilder von Flüchtlingsbooten in der Ägäis sind wieder aufgetaucht, und in der Tat hat der Zustrom an Menschen, die von der Türkei aus nach Westeuropa gelangen wollen, einen neuen Höhepunkt erreicht: Alleine am Donnerstag (19.09.2019) haben 600 Personen die griechischen Inseln erreicht. Seit April sind die Zahlen der Asylsuchenden von 14.000 auf 28.000 hinauf geschnellt. Die griechischen Auffanglager sind überfüllt, und an der türkischen Küste wird nicht mehr so strikt kontrolliert. Das hängt mit dem sogenannten Türkei-Deal zusammen, den die EU im März 2016 geschlossen hat. Dieses komplizierte Abkommen besagt im Kern auch, dass die Türkei für fast 4 Mio. Flüchtlinge, die dieses geopolitisch extrem wichtige Land im Laufe einer Dekade bereits aufgenommen hat, im Gegenzug 6 Milliarden Euro zurückerhält. Davon ist bislang offenbar zu wenig Geld angekommen oder die Lage hat sich dergestalt verändert, dass der Krieg in Syrien eben immer noch andauert und weitehin auch Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder Pakistan kommen.

Diese Entwicklung sorgt in der türkischen Bevölkerung inzwischen für Unmut. Waren die geflüchteten Syrer vor etlichen Jahren durchaus akzeptiert und auf einem guten integrativen Weg, was sich u.a. bis heute daran ablesen lässt, dass fast alle in der Türkei lebenden syrischen Kinder in die Schule gehen (96 Prozent) und viele Erwachsene auch eine Arbeit gefunden hatten, so schlägt diesen Menschen inzwischen deutlich mehr Ablehnung entgegen. Die aktuelle Wirtschaftskrise in der Türkei hat die Toleranzschwelle erniedrigt, was dazu führt, dass immer mehr Flüchtlinge ihr Dasein unter unwürdigen Bedingungen fristen: Viele Familien leben in Bauruinen oder maroden Wohnungen, für die sie nicht selten überhöhte Preise bezahlen. Sie verlieren ihre Arbeit oder müssen für einen Hungerlohn Schwarzarbeit z.B. in Textilfabriken annehmen. Nicht vergessen werden darf auch, dass es eine große Zahl an illegalen Flüchtlingen gibt, deren Situation als besonders prekär einzustufen ist.

Inzwischen besteht von türkischer Seite her zunehmend der Wunsch, dass die Geflüchteten das Land bald verlassen mögen, wobei die türkische Regierung immer wieder betont, dass es keine Abschiebungen geben werde. Stattdessen soll im Grenzgebiet zu Syrien, wo sich seit Jahren bereits zahlreiche Flüchtlingslager befinden, eine militärisch überwachte Sicherheitszone entstehen, in der bis zu 3 Mio. Flüchtlinge angesiedelt werden könnten. Dieses Vorhaben, das gemeinsam mit den USA geplant wird, erfüllt die betroffenen Menschen mit Angst. Doch sind wir nicht alle betroffen? Für die Türkei, für Griechenland und ganz Europa hängt die weitere Entwicklung nun auch sehr stark davon ab, wie die EU reagiert. Denn während sich die Lage im Krisengebiet immer weiter zuspitzt, steht in Brüssel und Straßburg immer noch der Brexit im Mittelpunkt. Das nächste Problem droht aber ebenfalls zu eskalieren, wenn nicht ganz schnell Hilfe kommt. Und sei es in Form von Geld.

 

Bildquelle: Wikipedia, Voice of America News: Henry Ridgwell on Turkish border

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Gül Keskinler lebt seit einigen Jahrzehnten in Deutschland. Die „Deutsch-Türkin“ ist Chefin der Agentur für Interkulturelle Kompetenz EKIP in Köln, die Konzepte für Bildung, Qualifizierung und Kompetenzerweiterung entwickelt und umsetzt. 2006 - 2016 ehrenamtliche DFB-Integrationsbeauftragte.


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