„Man sieht sich immer zweimal im Leben“ – das ist so eine Volksweisheit, die sich immer wieder bewahrheitet. Friedrich Merz, der Mann, der unbedingt Kanzler werden will, ist im ersten Wahlgang gescheitert. Trotz zwölf Stimmen Mehrheit in der Koalition fehlen ihm sechs Stimmen zur Kanzlermehrheit. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik reicht der erste Wahlgang nicht aus, um den zukünftigen Kanzler zu bestimmen. Das muss Gründe haben – und die liegen wohl hauptsächlich im Kandidaten selbst.
Es hat in der Vergangenheit genug Gelegenheiten gegeben zu erkennen, dass sein persönliches Ziel, die Demütigung durch Merkel zu kompensieren, von vielen – auch in der Union – mit Argwohn betrachtet wurde. Er hat allein drei Anläufe gebraucht, um Vorsitzender zu werden. Er hätte sich auch die Umfragen anschauen können und feststellen müssen, dass andere Unionspolitiker deutlich beliebter sind als er. Doch alles hat er ignoriert – und wurde Oppositionsführer. Und auch hier zeigte er erneut, dass er eigentlich nicht das Format eines Kanzlers besitzt.
Erinnern wir uns an den Zickzackkurs: Er selbst wollte die AfD halbieren – davon war dann keine Rede mehr. Stattdessen errichtete er eine Brandmauer gegen die AfD, von der er später nichts mehr wissen wollte. Er ging sogar so weit, mit der AfD zusammen abzustimmen. Er war es, der der Regierung ständig unterstellte, sie sei die schlechteste aller Zeiten. Und kaum ist die Wahl vorbei, geht er mit der bisher größten Regierungspartei eine vertrauensvolle Koalition ein. Er war strikt gegen eine Änderung der Schuldenbremse, solange Scholz und Habeck regierten – nach der Wahl war dann plötzlich alles möglich. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Auch bei der Bildung des Kabinetts hat er sich nicht viele Freunde gemacht. Es ist deutlich erkennbar, dass er die Merkelianer nicht berücksichtigt hat. Wenn ein MdB zeigen wollte, was er von Merz hält, war das jetzt die Gelegenheit, ihn zu demütigen. Natürlich hatten auch Sozialdemokraten Gründe, Merz die Zustimmung zu verweigern. Manche vergessen die Kritik an Scholz, Klingbeil oder Esken nicht so schnell.
Ginge es bei dem ganzen Vorgang nur um die persönliche Befindlichkeit des Friedrich Merz, wäre der Kommentar hier zu Ende. Doch es geht um mehr. Das hat die AfD vorgeführt. Nur kurze Zeit nach der Verkündung des Ergebnisses standen Alice Weidel und Tino Chrupalla vor den Kameras und Mikrofonen und forderten Neuwahlen. Die Rechtsextremen nutzen jeden Zwist, jede Gelegenheit, um ihre Verächtlichmachung des Systems voranzutreiben.
Von daher sollten sich die Abweichler mit der historischen Niederlage des Friedrich Merz begnügen. Es geht bei allem, was in Berlin passiert, inzwischen um mehr als Taktiererei oder persönliche Befindlichkeiten. Die Feinde der Demokratie warten nur darauf, dass sich die Demokraten selbst demontieren. Bei aller verständlichen Kritik und Ablehnung von Merz sollte der zweite Wahlgang der letzte sein.