Als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Ergebnis der Kanzlerwahl im Bundestag bekannt gab, wehte ein Hauch von Weimar durch den Plenarsaal. Schon einmal in der deutschen Geschichte wurde ein Kanzler von den eigenen Leuten gemeuchelt. 1930 – als Reichskanzler Hermann Müller (SPD) von den Genossen bei einer geplanten Änderung in den Sozialgesetzen im Stich gelassen wurde. Am Ende standen Neuwahlen. Das Ergebnis und die Folgen sind bekannt. Die NSDAP wurde stärkste Partei und Hitler wurde Reichskanzler. Die kleine Ursache führte final 1939 in die Menschheitskatastrophe des Zweiten Weltkriegs.
Die Nichtwahl eines Bundeskanzlers Friedrich Merz im ersten Anlauf hat das Zeug dazu, sich zu einer veritablen Krise unserer Demokratie auszuwachsen. Auch wenn seine Wahl zum Bundeskanzler im zweiten Anlauf klappt, bleibt für ihn ein erheblicher Reputationsverlust. Die Frage, wie stark der neue Mann im Kanzleramt ist, dürfte sich damit von selbst beantworten. Auch ein potenzieller Nachfolger von Merz bei einem Verzicht auf einen zweiten Wahlgang des bisherigen Kanzlerkandidaten, würde es schwer haben. Er oder Sie hätte den Makel nicht durch das Votum der Wähler ins Amt gekommen zu sein.
Was am 6. Mai geschah, ist mehr als ein parlamentarischer Unfall. Diejenigen, die morgens bei den Probeabstimmungen in den Fraktionen von CDU/CSU und der SPD für Merz stimmten und ihm dann in der Plenarsitzung die Stimme verweigerten haben dem Ansehen unseres Landes großen Schaden zugefügt. In den Augen der europäischen Partner und den USA ist Deutschland seiner Rolle als starker Partner und Stabilisator in der EU nicht gerecht geworden. Sie haben ihre persönliche Befindlichkeit über alles andere gestellt.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Politik kein Ponyhof ist. Parteien sind ideale Biotope für Enttäuschungen und Kränkungen oder schmerzhafte Narben von Niederlagen bleiben. Abgeordnete haben aber eine Verantwortung gegenüber ihren Wählern und dem Land in dessen Parlament sie sitze. Sie sollten in der Lage sein, die eigene Befindlichkeit der politischen Ratio unterzuordnen. Das haben die Stimmenverweigerer aus den Koalitionsfraktionen nicht gemacht. Sie haben aus der Anonymität der geheimen Abstimmung ihre Pfeile auf den Kandidaten geschossen und damit nicht zuletzt für ein Klima des Misstrauens in der Koalition gesorgt.
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