Landtagswahl Hessen, Wahlergebnisse und Umfragen

Grüne Variationen – In Hessen scheint alles möglich zu sein

Das historische Rekordergebnis, das die Grünen bei der bayerischen Landtagswahl erzielt haben, hat die Erwartungen an die Wahl zum Landtag in Hessen noch einmal kräftig nach oben geschraubt. Von einem grünen Ministerpräsidenten und gar der neuen Volkspartei ist die Rede, doch den Grünen selbst wird bei so viel Siegeserwartung mulmig.

Ihr hessischer Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir ringt um Bodenhaftung. Ein Höhenflug allein in Umfragen ist noch kein Wahlerfolg an den Urnen und kann zweierlei Effekt haben: er beeinflusst die Unentschieden, die ihr Wahlkreuz gern bei den erwarteten Gewinnern machen, oder aber er wiegt die eigene Anhängerschaft in Sicherheit, so dass es am Ende an Mobilisierung fehlt.

Meinungsumfragen, man kann es nicht oft genug sagen, sind Momentaufnahmen und nicht Vorhersagen von Wahlergebnissen. Kluge Propheten warten die Ereignisse ab, bleibt daher ein zutreffender Satz, und Politiker sind allemal gut beraten, ihr Handeln und Entscheiden nicht nach Umfragen auszurichten. Haltung bewahren, Überzeugungen leben und eben nicht das Fähnchen in den Wind hängen: das sind – vereinfacht gesagt – die Zutaten des Erfolgs.

Ganz so mustergültig, wie es im Augenblick den Anschein hat, sind auch die Grünen nicht in Sachen Klarheit und Wahrheit. Sie haben ihre Flügel gestutzt, aber die innerparteilichen Auseinandersetzungen sind nicht beigelegt. Sie haben in der Bundespartei mit Robert Habeck und Annalena Baerbock eine Realo-Doppelspitze installiert, offensiv und transparent die personelle Erneuerung gestaltet, aber der konservative Kurs ist beileibe nicht allen Grünen geheuer.

Allein der Erfolg deckelt die Konflikte, und er gibt den Pragmatikern recht. Wenn Habeck sagt: Wir wollen im Zentrum der Demokratie gestalten, heißt das im Klartext: Wir wollen an die Macht, und in der Realpolitik heißt das: egal mit wem. Rot-Grün, Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, sogar Jamaika mit der FDP hätten sie auf Bundesebene nicht gescheut.

In Hessen hat die schwarz-grüne Koalition ohne große Verwerfungen gehalten und den Beweis dafür erbracht, dass in einem Regierungsbündnis nicht notwendigerweise der kleine Koalitionspartner verliert. Der grüne Spitzenkandidat, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, hat seine Popularität in der Bevölkerung über die von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hinaus gesteigert. Er wird – nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg – als möglicher weiterer Regierungschef mit grünem Parteibuch gehandelt.

Anders als in Bayern, haben die Grünen in Hessen traditionell einen guten Stand. Mit Joschka Fischer bekamen sie dort erstmals Ministerposten, als sie als Juniorpartner der SPD in eine Landesregierung eintraten. Von Hessen aus entwickelte sich das „rot-grüne Projekt“, das es schließlich bis zur Bundesebene schaffte, verbunden mit höchsten Erwartungen und großen Enttäuschungen. Eine Mitte-Links-Mehrheit unter Einschluss der Linkspartei ließen SPD und Grüne liegen, die SPD suchte ihr Glück in Großen Koalitionen, die Grünen öffneten sich neuen Bündniskonstellationen.

Wie es in Hessen ausgehen würde, wenn sich tatsächlich eine Mehrheit jenseits der CDU ergäbe, lässt sich nicht vorhersehen. Im Moment dient diese Option nur den Konservativen dazu, das Schreckgespenst von einer linken Mehrheit an die Wand zu malen, um ihre eigenen Anhänger aufzurütteln. In der Angst vor dem eigenen Absturz wird die alte „Rote-Socken-Kampagne“ wieder hervorgekramt, während rechtsaußen die übelsten Demokratiefeinde unbehelligt polemisieren.

In allen Wahlspekulationen ist der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel beinahe schon zu einer Randfigur geworden. Bis vor wenigen Wochen noch galt er als Kopf eines Neuanfangs, falls denn der Wähler in Hessen einen Machtwechsel ermöglichen würde. Nach der Bayernwahl machen die Grünen der SPD die Rolle der zweitstärksten Kraft streitig.

Das hat offensichtlich viel mit dem ramponierten Ansehen der Großen Koalition in Berlin zu tun, und es gehört nicht viel zu der Prognose, dass der Ausgang der Landtagswahl in Hessen erheblichen Einfluss auf die Bundesregierung haben wird. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bis hin zur SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles sind es vor allem Personen, die wackeln und bei einem nochmaligen Wahldebakel weiter unter Druck geraten. Aber auch die Große Koalition selbst steht zur Disposition. Selten hat eine Landtagswahl derart weitreichende Bedeutung gehabt.

Bildquelle: Wikipedia, ElTresCC-by-sa 3.0/de

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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