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Kinderarmut – neue Ansätze für die Politik

Peter Ruhenstroth-Bauer Von Peter Ruhenstroth-Bauer
30. Juli 2014
Heinrich Zille - hungerndes Kind

Heinrich Zille - hungerndes Kind

Die Pressenotiz der Deutschen Bundesbank klingt spröde und titelt ohne jeden Schnörkel „Geldvermögensbildung und Finanzierung in Deutschland im ersten Quartal 2014 – Sektorale Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung“.  Hinter der nüchternen Botschaft verbirgt sich jedoch jede Menge sozialpolitischer Sprengstoff.

Die Bundesbanker stellen nämlich fest, dass  das Vermögen der privaten Haushalte in Deutschland zum Vorquartal um 54 Milliarden Euro auf den neuen Rekord von 5,207 Billionen Euro gestiegen ist. Immobilien oder Kunstwerke sind in der Bundesbank-Statistik nicht einmal mitgerechnet. In Kurzform titelte deshalb der Berliner „ Tagesspiegel“: Die Deutschen werden immer reicher!

Alle Deutschen?  Wohl kaum.

Die schlechten Nachrichten über die steigende Armut in unserer Gesellschaft  zeigen den Widerspruch, der sich aus der, wie jüngst wieder die OECD feststellte, immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich in unserer Gesellschaft ergibt. Für die Politik ist diese Entwicklung nicht nur ein Alarmsignal, sondern auch eine ständige Herausforderung dagegen zu steuern.

Das aber fällt ihr offensichtlich – parteiübergreifend – schwer. Wie soll man auch ein Problem anpacken, dessen Lösung länger dauert als eine Legislaturperiode, ohne sich gleichzeitig mittendrin um die Legitimation bei den nächsten Wahlen zu bemühen. Dass Wahlen dabei Lösungen auch verhindern können, zeigt die letzte Bundestagswahl. Den traurigen Höhepunkt erreichte die schwarz- gelbe Bundesregierung im März 2013, in dem im Armutsbericht die Aussagen über die Armutsentwicklung systematisch getilgt und sogar ins Gegenteil verkehrt wurden. Aus „sinkenden Reallöhnen“ wurden in den damaligen Beratungen  „ der Ausdruck struktureller Verbesserungen am Arbeitsmarkt“.

Aber auch der SPD/CDU-Senat in Berlin kommt über ein Bekenntnis im Koalitionsvertrag 2011 nicht weiter. Dort hatte man sich noch vollmundig versprochen, dass die Koalition „eine ressortübergreifende Strategie gegen Kinderarmut“ entwickelt.  Ein ambitioniertes Ziel – aus dem leider in der Praxis bis heute nichts geworden ist.

Dabei sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: jeder siebte Berliner gilt als armutsgefährdet, heißt es im Regionalen Sozialbericht 2013 von Berlin und Brandenburg. Mehr als jedes fünfte Kind bzw. fast jeder fünfte Jugendliche (17,8%) in Berlin wächst in Haushalten auf, deren Einkommen unterhalb der „Armutsrisikogrenze“ liegt. Jedes dritte Berliner Kind, so der Berliner Kinderschutzbund  gilt als arm. 200.000 Kinder leben in der Hauptstadt unterhalb der Armutsgrenze.

Wertvolle Zeit ging der Politik allerdings erst einmal  verloren, weil man sich im Berliner Senat nicht einig war, wer den „Hut“ bei der Strategieentwicklung auf hat. Die SPD- Kinder- und Jugendsenatorin Sandra Scheeres oder der CDU-Sozialsenator Mario Czaja. Nachdem endlich klar war, dass  beide Verwaltungen eng kooperieren und Senator Czaja koordiniert, sollte es tatsächlich losgehen.

Dass man in Berlin ressortübergreifend das Problem anpacken will, ist sicher der richtige Ansatz. Denn klar ist, dass  Armut nur dann erfolgreich bekämpft wird, wenn alle Politikfelder an einem Strang ziehen: Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie, Bildung, Finanzen, Innen, Wirtschaft, Stadtentwicklung und auch Justiz. Jede Verwaltung kann mit ihrer Fachkenntnis einen Beitrag zu einer gemeinsamen Strategie einbringen.

Nach mehreren vergeblichen Anläufen ist man, zweieinhalb Jahre nach der Koalitionsvereinbarung, in Berlin so weit, dass sich eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Thema beschäftigt. Die gute Nachricht: nicht allein die Berliner Senatsverwaltung, auch die Bezirke und vor allem die Akteure der Zivilgesellschaft, wie die Wohlfahrtsverbände, die Landesarmutskonferenz, der Kinderschutzbund oder der Berliner Familienbeirat, sind eingeladen, an der Strategie mitzuarbeiten. Das ist gut, weil es in Berlin längst qualifizierte Erfahrungen– jenseits von staatlichen Initiativen – im Kampf gegen die Armut gibt. In einem internen Brief beklagen sich jetzt aber die Akteure der Zivilgesellschaft über mangelnde Teilnahme und ungenügende Vorbereitung einiger Senatsverwaltungen. Noch immer hat man dort nicht verstanden, dass man nur Erfolg hat, wenn sich alle Politikfelder einbringen.

Wie das funktioniert, kann man in einigen Bezirken sehen: Neukölln und Marzahn-Hellersdorf orientieren sich nicht an den starren Verwaltungsabgrenzungen, sondern packen das Problem gemeinsam an, in dem sie sich mit den Lebensphasen auseinandersetzen. Welche Strukturen braucht man, wenn ein Kind zur Welt kommen wird? Welche Beratungsangebote, welche Hilfestellungen für die Eltern? Wie sieht später die Kita-Phase aus? Haben wir alles getan, um auch hier die Weichen richtig zu stellen? Und im Übergang zur Schule? Die Lebensphasen werden Stück für Stück nach den Strukturen und gemeinsamen Angeboten analysiert. Das leuchtet ein, denn nur ein gemeinsames und abgestimmtes Handeln ist erfolgversprechend.

Auch andernorts hat man Erfahrungen gesammelt, die Mut machen. Die Stadt Dormagen ist NRW -Modellkommune im Kampf gegen die Kinderarmut. Dort wird gemeinsam ein Netz für Kinder, Jugendliche und Eltern aufgespannt, an dem sich alle Politikfelder beteiligen. Diese sogenannten Präventionsketten wirken. Statt eines Nebeneinander werden alle Strukturen und Leistungen aufeinander abgestimmt zu einem Miteinander.

Das heißt nicht, dass nicht auch Einzelbemühungen wichtig sind, so wie in Niedersachsen, wo jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Dort wird man jetzt mit  ganz konkreten Projekten für 1,2 Millionen Euro unmittelbar bei den betroffenen Kinder- und Jugendlichen ansetzen.

Armut, und speziell auch Kinderarmut lässt sich nur bekämpfen, wenn die Politik sich vom kurzfristigen Schielen auf den nächsten Wahltermin verabschiedet. Wenn alle Politikfelder zusammen handeln, sich abstimmen und so neue Strukturen aufbauen, die frühzeitig dafür Sorgen, dass Kinder die Unterstützung erfahren, die sie oft genug in ihrem Elternhaus nicht mehr bekommen.

Bildquelle: Heinrich Zille – http://www.bassenge.com/

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Tags: ArmutsgefährdungKinderarmutSozialpolitikVermögenVerteilung
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Comments 1

  1. Stefanie says:
    11 Jahren ago

    Armut hat sehr viele Gesichter, manchmal liegt die Hilflosigkeit im Auge des Betrachters http://www.yggdrasil-solutions.de/sozialarbeit/kinderarmut/

    Antworten

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