Wahlen

Kommunalwahlen in NRW 2020: Ham Se nich ‘ne Frau für mich?

Facebook fragt mich immer wieder, was ich gerade mache. Gerade mache ich mir Gedanken darüber, was ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin für ein Mensch ist bzw. was er oder sie alles kann oder können muss. Oder welches Anforderungsprofil er oder sie erfüllen sollte, um gewählt zu werden. In Nordrhein-Westfalen finden nämlich in ziemlich genau zwei Jahren wieder Kommunalwahlen statt. Die Kandidatensuche für die Spitzenposition in der Stadt oder Gemeinde, die jetzt allerorts beginnt oder schon voll im Gange ist, verengt sich mancherorts auf die Suche nach einer Frau, weshalb die Frage von Udo Lindenberg in einem seiner Lieder – anspielend auf einen Schlagertitel aus dem Jahr 1950 – durchaus relevant sein kann. Ob Mann oder Frau ist allerdings viel weniger wichtig, als viele denken, aber dazu später.

Es geht neben den Rats- und Kreistagswahlen um die Direktwahl des jeweils ersten Bürgers oder der ersten Bürgerin in den 396 Städten und Gemeinden des Landes für die Wahlperiode 2020 bis 2025. Die Wahlen für den Landrat, die gleichzeitig stattfinden, stehen dabei auf einem anderen Blatt, denn diese Ebene der Kommunalpolitik ist für die meisten Einwohner einer kreisangehörigen Gemeinde politisch weniger relevant bzw. seltener im Fokus des Interesses. Aber in den 271 Städten und den 125 kreisangehörigen Gemeinden (unter 25.000 Einwohner) in NRW steht die Frage, wer die Kommune nach innen und nach außen vertritt, in zwei Jahren wieder zur Entscheidung an. Bis zu den Wahlen im Herbst 2020 ist zwar noch einige Zeit, aber überall sind die Parteien gegenwärtig dabei, sich Gedanken über ihre möglichen Bürgermeisterkandidaten und -kandidatinnen zu machen, seien es die Amtsinhaber, deren Bilanzen auf dem Prüfstand stehen, oder deren mögliche Herausforderer, die Zeit zum Warmlaufen brauchen.

Die Findungsprozeduren für die kommunale Spitzenposition sind viel schwieriger und problematischer, als sich dies auf den ersten Blick erkennen lässt. Immerhin geht es darum, eine Person zu finden, die hauptamtlich eine Verwaltung leiten kann, die schon in mittelgroßen Städten hunderte Mitarbeiter in zahlreichen Ämtern und Einrichtungen nebst Tochtergesellschaften und Beteiligungen hat. Die wiederholten Modellwechsel und Nachjustierungen in der nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung belegen, dass auch der Gesetzgeber nicht immer eindeutige Vorstellungen von der Rolle eines Bürgermeisters hatte. Der wichtigste Umbruch passierte 1994, als der Landtag von Nordrhein-Westfalen die von der britischen Besatzungsmacht 1945 eingeführte kommunale Doppelspitze mit einem Bürgermeister als Ratsvorsitzendem und ehrenamtlichem Repräsentanten der Gemeinde und einem hauptamtlichen Stadtdirektor als Verwaltungschef wieder abgeschafft hat. Die Gründe dafür waren vielschichtig, aber im Prinzip wollte man damals mit der Einführung der Urwahl des hauptamtlichen Bürgermeisters mehr direkte Demokratie wagen und orientierte sich am Idealbild süddeutscher oder auch rheinischer Bürgermeisterpersönlichkeiten wie Konrad Adenauer, die nach dem Modell der Süddeutschen bzw. Rheinischen Bürgermeisterverfassung gewählt worden waren. Den Befürwortern einer Beibehaltung der Doppelspitze und damit der Norddeutschen Ratsverfassung wurden 1994 vor allem die angeblich zu häufigen Rivalitäten zwischen beiden Spitzen entgegengehalten.

Damit muss der Bürgermeister heute beides in einem sein, Repräsentant der Stadt bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten – Beispiele wird jeder zu Genüge kennen -, und Manager eines nicht gerade kleinen Betriebs oder Unternehmens. Die Rivalität von früher ist jetzt zu einer Doppelfunktion in ein und derselben Person geworden, und hier beginnt das Dilemma. Der populäre Repräsentant der Stadt und der sachorientierte Verwaltungschef wären im Idealfall identisch, aber die Wirklichkeit lehrt, dass dies zu oft nicht so ist. Die politisch gewollte und notwendige Nähe zu den Bürgern und die Leitung einer Stadtverwaltung lassen sich nur schwer unter einen Hut bringen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber es bleiben Ausnahmen. Der volksnahe und omnipräsente Politiker vernachlässigt die Verwaltung der Stadt, was nach außen nicht immer sichtbar wird, und der kompetente und effiziente Manager seiner Kommune gilt oft als zu wenig bürgernah und hat deshalb mangelhafte Beliebtheitswerte, was seine Wiederwahl gefährdet. Dieses Dilemma muss jeder Amtsinhaber mit sich herumschleppen, aber für die Sache und das Wohl der Stadt ist es nicht unbedingt förderlich.

Und für die Kandidatenfindung hat die Doppelfunktion gravierende Konsequenzen. Spitzenpositionen in größeren Unternehmen und Institutionen werden heute in sehr aufwendigen Verfahren und oft mit Hilfe von Headhuntern besetzt, wobei die Vorerfahrungen und bisherigen Leistungen der jeweiligen Person im Vordergrund stehen. Am Ende der Suche steht eine Entscheidung, die nach intensiver Abwägung der fachlichen und persönlichen Eignung getroffen wird. Bei der Wahl von Beigeordneten in den Stadträten wird ein solches Verfahren zwar ebenfalls angewandt, wenn auch mit Einschränkungen, aber eben nicht bei der Auswahl der Person an der Spitze der Kommune. Diese Auswahl trifft formal der Wähler. Die Kandidaten für diese Position sind in aller Regel parteigebunden oder zumindest einer Partei nahe stehend und sie müssen ein parteiinternes Auswahlverfahren durchlaufen. Die Kriterien dafür reichen von Attraktivität bis Kompetenz, aber beides ist nicht immer deckungsgleich, und jeder, der schon einmal an einer Parteiversammlung teilgenommen hat, bei der es um Personalentscheidungen ging, weiß, wo das Problem liegt. Sympathie und Erscheinungsbild spielen, das belegen wissenschaftliche Untersuchungen, bei derartigen Auswahlen eine nicht zu unterschätzende, wenn nicht ausschlaggebende Rolle bei der Entscheidung, für wen Parteimitglieder und natürlich auch Wähler ihre Stimme abgeben. Eigenschaften wie Kompetenz, Erfahrung oder Verlässlichkeit, die schwerer zu beurteilen sind, rangieren in der Gewichtung oft dahinter. Dabei mag es überraschen, dass die Frage des Geschlechts gar keine so große Rolle spielt. Zumindest gibt es Studien zu vergangenen Kommunalwahlen, die belegen, dass es bei derartigen Duellen, um die es ja in der Regel geht, keine klare Präferenz für das eine oder das andere Geschlecht gibt. Aber dies kommt natürlich immer auf den Einzelfall an.

Die Beschreibung der Auswahlkriterien und ihrer Gewichtung gilt vergleichbar für alle politischen Ebenen, aber bei den Kommunalwahlen hat das Ganze wegen der Besonderheiten der kommunalen Verfassung besondere Relevanz. Das alles führt für mich zu der Erkenntnis, dass die Abschaffung der kommunalen Doppelspitze ein Fehler war. Ein ehrenamtlicher politischer Repräsentant und ein hauptamtlicher Verwaltungschef könnten ihre unterschiedlichen Rollen allen Rivalitäten zum Trotz viel besser und produktiver für das Wohl ihrer Stadt nutzen, als dies nur eine Person kann. Dieses Modell wird so schnell nicht wiederkommen, weshalb das aufgezeigte Dilemma bleibt. Die Kandidatenfindung, die für die nächsten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen überall ansteht, ist und bleibt somit eine Gratwanderung zwischen eher gefühlsmäßigen Entscheidungskriterien einerseits und einer Sachorientierung andererseits. Dies muss nichts Schlechtes sein, aber das Risiko einer falschen Entscheidung ist mit einer Strafe von nicht unter fünf Jahren verbunden, für die es so gut wie keine Korrekturmöglichkeit gibt. Für manche Stadt können dies verlorene Jahre sein. Die Parteien und vor allem die Wähler sollten sich des Risikos bewusst sein – und vielleicht auch, dass man von einem Kandidaten oder einer Kandidatin nicht alles gleichzeitig erwarten darf.

Bildquelle: pixabay, user blickpixel, CC0 Creative Commons

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Der Historiker war bis 2016 Direktor der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt und von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft aller deutschen Landesmedienanstalten. Heute lehrt er als Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Geschichte sowie Kommunikations-und Medienwissenschaft. Seit 2022 Mitglied der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF).


'Kommunalwahlen in NRW 2020: Ham Se nich ‘ne Frau für mich?' hat einen Kommentar

  1. 19. November 2018 @ 16:52 Headhunter Freund

    Ich denke in manchen Stellen der Politik wäre es durchaus sinnvoll, wenn man da mal einen Headhunter besetzen lässt. Gerade für Digitalisierung sehe ich es kritisch, wenn da Leute sitzen, die nicht wissen wie man einen PC anmacht… Nur so als Beispiel… 😉

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