Angela Merkel(71)reist durch die Welt und wirbt für ihr Buch. Titel: Freiheit. Was man hört, ist, dass sich das Buch gut verkaufe. (Preis: 42 Euro)Ich habe das 736-Seiten umfassende Werk, ihre Autobiographie, nicht gelesen und werde das auch nicht tun. Selbst CDU-Mitgliedern, die ihrer einstigen Kanzlerin und Ex-Parteichefin in kritischer Sympathie verbunden sind, ist das Buch inhaltlich zu flach. Merkel erzählt über ihr Leben, über die Jahre in der Politik, ihrer 16jährigen Kanzlerschaft, als sei ihr alles gelungen. Kritik übt sie an den Nachfolgern. Merkel und Merz, das wird nichts mehr.
Freiheit, die lernte sie kennen und schätzen, als der Unrechtsstaat DDR endlich unterging, Mauer und Stacheldraht auf dem Müllhaufen der Geschichte landeten, die deutsche Einheit wieder hergestellt wurde. Was nicht heißen soll, das alles gelang, aber das vorliegende Ergebnis ist der beste deutsche Staat, den wir je hatten.
„Beseelt wie nach einem tollen Kinofilm“, überschreibt der Bonner Generalanzeiger seine Reportage über Merkels Auftritte vor wenigen Tagen in Bonn. Die Ex-Kanzlerin weilte im Bonner Stadtteil Tannenbusch, nicht die noble Adresse der kleinen Stadt am Rhein, und in der Oper im Rahmen der Veranstaltung „Quatsch keine Oper“. Letzteres fand ich ziemlich passend. Woher nur rührt diese Begeisterung? Dass Merkel mal wieder nach Bonn kam? Einfache Antwort: Dem Verkauf des Buches war das förderlich. Angeblich sollen Zuschauer Eintrittspreise für die Oper in Höhe von 80 Euro gezahlt haben. Also für Quatsch keine Oper und für Merkel.
Dass ehemalige Flüchtlinge sich bei Merkel bedanken wollen, kann ich verstehen. Sie hat sie damals, 2015, in Tausender-Gruppen über die Grenze gelassen. Eine humane Geste, keine Frage. Sie hätte diese notleidenden Menschen ja nicht einfach mit polizeilicher Gewalt an der -Grenze zu Österreich zurückweisen können. So weit, so gut. Aber danach versagte die Politik der Regierung Merkel. Sie hatte kein Konzept. Um so viele Menschen aus fremden Landen ohne deutsche Sprachkenntnisse hier aufzunehmen, hätte Merkel dafür sorgen müssen, dass massiv in die Integration investiert worden wäre. Es fehlten Wohnungen, Kita-und Schulplätze, Lehrer, Arbeitsplätze, Sprachkurse, Betreuung jeder Art.
Das Problem Flüchtlingspolitik
Dass Merkel heute, wie in Bonn geschehen, die amtierende Regierung Merz/Klingbeil kritisiert, finde ich ein starkes Stück. Wörtlich betonte sie: „Die demokratischen Parteien haben großen Einfluss darauf, wie stark die AfD tatsächlich werden kann. Wenn sie annehmen, die AfD kleinhalten zu können, indem sie unentwegt über deren Themen sprechen und diese dabei am besten auch noch rhetorisch übertrumpfen wollen, ohne tatsächliche Lösungen anzubieten, dann werden sie scheitern.“ Langer Zwischenapplaus erklingt, lese ich in dem ziemlich einseitigen Bericht der Bonner Zeitung weiter. Dann folgt wieder Merkel. „Maß und Mitte, das ist die Voraussetzung für den Erfolg demokratischer Parteien.“ Ok. Aber wo bitte schön, Frau Merkel, waren denn ihre Lösungen? Schuldenbremse etwa? Und ist es nicht so, dass der Zulauf der AfD durch ihre geschilderte Flüchtlingspolitik beinahe explosionshaft zunahm? Ich bin kein Fan von Friedrich Merz und auch nicht von Lars Klingbeil, aber diese Regierung wie auch die Koalition unter Olaf Scholz litten auch unter dem Erbe, das Sie hinterlassen haben. Nicht nur in der Flüchtlingspolitik.
Superschön, fanden Zuschauer und Zuhörer Merkels Auftritte, Signierstunden, ihr Erscheinen, ihre Schilderungen. „Wir sind mit Merkel aufgewachsen“, werden Zeitgenossen zitiert, die ihrer Begeisterung kaum Herr werden. Dann hätte man diese Menschen auch konkret fragen müssen, was hat die lange Kanzlerschaft von Angela Merkel denn mit Deutschland gemacht? Ist das Land nicht stehengeblieben? Wo sind ihre Spuren, der Fortschritt? In der kaputten Infrastruktur, die bundesweit zu beobachten ist und seit Jahren beklagt wird? Straßen, Schienen, Brücken, Schulen, alles marode. Eine heruntergewirtschaftete Bundeswehr, die nicht mehr verteidigungsfähig ist. Sind das die Erfolge ihrer Regierung? Ich weiß, vor allem die SPD war an der Regierung Merkel über 12 Jahre beteiligt, aber die Richtungsentscheidung liegt nun mal im Kanzleramt. Oder nehmen wir die Digitalisierung: Würde ich das Thema sportlich nehmen, also in einer Tabelle beschreiben wollen, stünde Deutschland auf einem Abstiegsplatz. Alles nur banal? Falsch? Einseitig? Merkel ist Physikerin.
Sie ist halt unsere Mutti
Merkel sei ruhig gewesen, professionell, zugewandt, hin und weg seien Zuschauer gewesen von der Kanzlerin, großartig sei es gewesen, die Leute seien so beseelt gewesen, gerade so, „als hätten sie einen tollen Film gesehen“. Unter der Kanzlerin Merkel, so die Begeisterung der Bonnerinnen und Bonner, „hat sich alles so behütet angefühlt. Sie ist halt unsere Mutti.“ Der Autor scheint eine Schnappatmung erlitten zu haben, so hin und weg muss er gewesen sein angesichts der Gegenwart der Ex-Regierungschefin, die früher mal als mächtigste Frau Europas bezeichnet wurde.
Dass Angela Merkel eine glückliche Kindheit hatte in der DDR, sei ihr gegönnt. „Das ständige Leben auf der Kante“ und der „Furcht vor dem Unrechtsstaat“ wird sie verunsichert haben damals in Templin. Ich habe sie nie darum beneidet. Uns im Westen wurde nach 1945 die Freiheit geschenkt, eine parlamentarische Demokratie mit der sozialen Marktwirtschaft inmitten, dagegen gab es jenseits der Elbe die SED-Diktatur mit Mauer, Hundestaffel, Schießbefehl und Stasi. Wir hier haben diese Vorzüge genossen und manchmal schnell vergessen oder als Selbstverständlichkeit betrachtet.
Angela Merkel hat sich mit Bravour in der CDU gegen die Männer-Dominanz durchgesetzt, hat all die Kochs und anderen des Anden-Pakts in der Union abblitzen lassen, ein Friedrich Merz, der damals Unions-Fraktionschef war, schlug sich in die Büsche und verließ auf Jahre die Politik, weil er den Machtkampf gegen Merkel scheute. Er hätte ihn Anfang der 2000er Jahre auch verloren. Auch deshalb verdiente sie sich die Bewunderung vieler, sie konnte diese Art von Machtpolitik. Und auch das muss man ihr eingestehen: Kanzlerin der Bundesrepublik wird man nicht so nebenbei und Kanzlerin über 16 Jahre, das bleibt man nicht, indem man den einen oder anderen aussticht. Dass Kanzler bei uns bescheiden bezahlt werden, wenn man sie mit mittleren Vorstandsposten einer mittleren Bank vergleicht, kommt hinzu. Aber auch das steht für Merkel: Diese Art von Anspruch hatte sie nie, da war sie eher bescheiden, eben die Mutti im Blazer und mit der Handtasche.
Schröders Nein zum Irak-Krieg
Aber zu Merkel gehört eben auch, das sie sich und uns nicht eingestehen will, Fehler gemacht zu haben. Und nicht nur kleine Fehler, wie die Autorin den zweiten Berichts in der Bonner Zeitung schreibt und dabei auf das Buch „Freiheit“ verweist. Als der Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 eine Beteiligung Deutschlands am Irak-Krieg der Vereinigten Staaten ablehnte, („Wir sind zu Solidarität bereit. Aber dieses Land wird unter meiner Führung für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen“), betonte die CDU-Chefin Angela Merkel in einem Gast-Beitrag für die „Washington Post“: „Herr Schröder spricht nicht für alle Deutschen.“ Merkel wollte also in den Krieg gegen den Irak unter Saddam Hussein. Später stellte sich heraus, dass der Vorwurf der Amerikaner, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, erlogen war.
Auch die Russland-Politik, wie sie Gerhard Schröder begonnen hatte, erwies sich spätestens mit der Annexion der Krim durch Russland als falsch, die einseitige Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energien wie Öl und Gas. Nur kleine Fehler? Aus der damaligen Zeit verständlich? Weil man den Krieg Putins gegen die Ukraine nicht vorhersehen konnte? Ja und Nein. Richtig dagegen ist Merkels Freiheitsbezug. „Wenn wir in Freiheit leben wollen, müssen wir unsere Demokratie im Innern und nach außen gegen die verteidigen, die sie bedrohen. Das kann gelingen, wenn wir zusammenarbeiten, wenn wir uns gemeinsam engagieren. Denn Freiheit kann es nicht nur für den Einzelnen geben. Freiheit muss für alle gelten.“
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