Die Rücktritte von Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis kommen wie ein Paukenschlag daher. Zum wiederholten Mal ist vom bevorstehenden Sturz der britischen Premierministerin die Rede, von Chaos und Scheitern. Allerdings dürfte Theresa May der Abgang der Hardliner keineswegs überrascht haben. Er war als Konsequenz ihrer jüngsten Kursbestimmung für einen „weichen“ Austritt aus der Europäischen Union vorhersehbar.
Mit Ach und Krach hatte die konservative Regierungschefin gerade ihr Kabinett hinter sich und ihre neue Strategie für die Verhandlungen mit Brüssel gebracht. Statt eines harten Schnitts, der Großbritannien von allen wirtschaftlichen Vorzügen der Gemeinschaft trennt, strebt die britische Regierung nun die sanfte Variante an: faktisch im Binnenmarkt zu bleiben und der heimischen Wirtschaft die Segnungen des Freihandels zu bewahren.
Anders ist allein für das brenzlige Nordirland-Problem keine Lösung in Sicht. Eine europäische Außengrenze zwischen EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland würde den mühsam befriedeten Konflikt neu schüren. Nur ein Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt ermöglicht den Verzicht auf die Errichtung neuer Grenzanlagen. Neben der wirtschaftlichen Vernunft kommt also allmählich auch wieder politische Verantwortung zum Tragen. Beides war im Taumel der Brexit-Träume lange untergegangen.
Der Sinn für die Realitäten hat sich freilich auch mit Mays Schwenk zur weichen Variante noch nicht vollständig eingestellt. Was ihr vorschwebt, weist Brüssel zu Recht als „Rosinenpickerei“ zurück. Alle Vorteile des großen Marktes zu nutzen, ohne sich jedoch an die gemeinsamen Regeln zu halten, kann die Europäische Union den Briten nicht zubilligen. Sie würde Nachahmer auf den Plan rufen und den Zerfall der politischen Gemeinschaft riskieren.
Genau dieser gefährlichen Entwicklung hat der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) soeben mit seinem Brief an die Europäische Kommission das Wort geredet. Brüssel möge doch den Briten großzügiger gegenübertreten und es mit den Spielregeln nicht ganz so genau nehmen, hat der Krawallminister gemeint. Nur gut, dass die Bundesregierung sich prompt und deutlich davon distanziert hat. Die Peinlichkeit des Vorstoßes ist damit allerdings nicht aus der Welt.
Boris Johnson und David Davis haben also wahrgemacht, womit Seehofer nur gern droht, und sind zurückgetreten. Das wird es Theresa May nicht leichter machen, die gespaltenen Konservativen im Unterhaus zu einen und sich eine Mehrheit zu sichern. Doch für das Szenario einer Revolte der Torys spricht zumindest solange nichts, wie kein Nachfolgekandidat in Sicht ist. Taktische Erwägungen haben Vorrang vor politischen Überzeugungen.
Gemessen an dem Demagogen Johnson ist Davis ein Leichtgewicht. Seit er vor zwei Jahren in das nach dem Referendum eigens geschaffene Ministerium kam, hat er kontinuierlich an Einfluss verloren. Was immer er mit seinem Brüsseler Verhandlungspartner Michael Barnier besprach, hatte wenig Bedeutung. Theresa May hatte stets ihren eigenen Kopf und ließ ihren Minister oft genug im Regen stehen. Von vertrauensvoller Zusammenarbeit konnte schon lange nicht die Rede sein.
Wie man es auch dreht und wendet: Der Brexit bleibt ein Desaster für alle, es wird am Ende keine Gewinner geben. Es bleibt ein Lehrstück für die Gefahren scheinheiliger und verlogener Politik. Ausgelöst von dem damaligen Premierminister David Cameron, der seine innerparteiliche Macht festigen und die europaskeptischen Torys disziplinieren wollte, gewann die Kampagne mit populistischen Parolen und dreisten Lügen eine Dynamik, die unaufhaltsam Richtung Abgrund treibt. In der Migrationsdebatte sind Parallelen erkennbar, dass die Geister, die der wieder erstarkende Nationalismus rief, nicht mehr zu bändigen sind und das historische Friedensprojekt in Existenzgefahr bringt.
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