Die Sommerferien stehen vor der Tür und in manchen Ländern und Kommunen wird eine Diskussion wieder virulent, mit der die AfD die Lehrkräfte in den Schulen massiv unter Druck setzen möchte. – Es geht um das „Neutralitätsgebot“ an Schulen, das die AfD für ihre Zwecke als Druck gegen Lehrinnen und Lehrer nutzt. Allerdings – wenn die AfD vom Neutralitätsgebot für Lehrkräfte spricht, meint sie nicht die politische Ausgewogenheit im Klassenzimmer, sondern betreibt gezielte Einschüchterung und Kontrolle. Ihre Interpretation des Neutralitätsgebots dient nicht dem Schutz von Meinungsvielfalt, sondern zielt darauf ab, kritische, weltoffene oder antifaschistische Positionen aus den Schulen zu verbannen. Dabei instrumentalisiert sie bewusst das Schulrecht, um eine autoritäre Pädagogik zu etablieren – auf dem Rücken von Lehrerinnen und Lehrern.
Lehrkräfte in Deutschland sind keineswegs zu politischer Neutralität im Sinne eines Meinungsverbots verpflichtet. Der Begriff der politischen Neutralität im Bildungswesen wurde nie als Gleichsetzung von Demokratiefeinden mit Demokraten gedacht. Lehrerinnen und Lehrer haben vielmehr den Auftrag, die Werte des Grundgesetzes zu vertreten – darunter Demokratie, Menschenwürde, Gleichstellung, Pluralismus und Schutz von Minderheiten. (Beutelsbacher Konsens). Diese Werte stehen im Widerspruch zu vielen Forderungen der AfD. Wer also rassistische, queerfeindliche oder autoritäre Tendenzen im Unterricht thematisiert und kritisch beleuchtet, handelt nicht parteipolitisch, sondern verfassungstreu.
Das Neutralitätsgebot endet insbesondere dort, wo die Grundwerte des Grundgesetzes infrage gestellt werden. Gerade angesichts der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist es nicht nur erlaubt, sondern geboten, sich im Unterricht kritisch mit dieser Partei auseinanderzusetzen.
Aktuelle Beispielen veranschaulichen, wie die AfD versucht das Neutralitätsgebot als Waffe gegen kritisches Denken und Zivilcourage in Schulen zu benutzen:
Bayern: AfD verlangt Meldeportal für „politisch auffällige Lehrer“
In Anlehnung an das Modell aus Hamburg hat die bayerische AfD-Landtagsfraktion im März 2025 erneut ein Online-Portal gefordert, auf dem Schüler*innen und Eltern Lehrerinnen melden sollen, die „gegen die AfD hetzen“. Das Denunziationsinstrument wurde scharf von GEW und Kultusminister kritisiert, denn es stellt Lehrkräfte unter Generalverdacht und schafft ein Klima der Angst. Ähnliches ist für Niedersachsen zu vermelden. Mit Schreiben vom 28. Mai 2024 an die Schülerinnen und Schüler und die Erziehungsberechtigten bezieht die Niedersächsischen Kultusministerin zu dem von der AfD betrieben Internetportal „neutrale-lehrer.de“ eindeutig Stellung. „Gerade in Schulen und für Lehrkräfte und für Beamtinnen und Beamte gilt, für das Grundgesetz und die freiheitliche Demokratie einzustehen und sich gegen Verletzungen des Grundgesetzes zu positionieren. Diese Verpflichtung wird von der AfD in dem von ihr betriebenen Portal und in den dort formulierten Inhalten unterschlagen. Hier wird also ein falscher Neutralitätsbegriff unterstellt.“
Sachsen: Druck auf Schulleitung wegen Projekttag zu Demokratie
An einer Oberschule in Chemnitz wurde im Januar 2025 ein Projekttag zum Thema „Demokratie und Menschenrechte“ durchgeführt – mit Beteiligung eines Jugendbildungsvereins. Die lokale AfD stellte eine Kleine Anfrage im Landtag, ob die beteiligten Träger „linksextremistisch“ seien und warf der Schule politische Indoktrination vor. Die Folge: Die Schulleitung bekam vom Schulamt die Auflage, solche Projekte vorher genehmigen zu lassen – ein klarer Einschüchterungseffekt.
Thüringen: Hetzkampagne gegen Lehrer wegen Haltung zu AfD
Ein Lehrer aus Gera äußerte sich im Rahmen eines pädagogischen Elternabends kritisch zur AfD. Ein anwesender Vater, selbst AfD-Kommunalpolitiker, veröffentlichte ein Video der Veranstaltung mit diffamierenden Kommentaren. Es folgte ein Shitstorm, Morddrohungen und eine vorübergehende Beurlaubung des Lehrers – ohne arbeitsrechtliche Grundlage. Das Vorgehen des AfD-Kommunalpolitikers und die anschließende Beurlaubung des Lehrers stehen in einem größeren Kontext gezielter Einschüchterungsversuche gegen Lehrkräfte, die sich kritisch zur AfD äußern. Rechtlich und pädagogisch ist die kritische Auseinandersetzung mit der AfD im Rahmen der politischen Bildung ausdrücklich gedeckt und Teil des Bildungsauftrags. Die Veröffentlichung von Videos ohne Zustimmung und die daraus resultierenden persönlichen Angriffe sind hingegen aufs Schärfste zu verurteilen.
NRW: AfD klagt gegen Schullektüre
Im Mai 2025 reichte die AfD-Landtagsfraktion NRW tatsächlich Klage gegen eine Schule in Köln ein, weil dort das Jugendbuch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ im Politikunterricht im Zusammenhang mit Ausgrenzung und Drogenproblematik behandelt wurde. Die AfD warf der Schule eine „Moralisierung“ und eine „einseitige politische Agenda“ vor. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Obwohl die Klage juristisch keinen Erfolg hatte, wurde das von der AfD angestrebte Ziel – eine öffentliche Debatte und Verunsicherung über die Auswahl von Unterrichtsinhalten und mögliche „Zensur“ – erreicht. Die Situation führte zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die Rolle der AfD an Schulen, wobei zahlreiche Initiativen, Eltern und zivilgesellschaftliche Gruppen forderten, die Partei aus öffentlichen Bildungseinrichtungen auszuschließen, insbesondere aufgrund ihrer Einstufung als rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz.
Nur einige Beispiel aus einer Vielzahl von Einschüchterungsversuchen durch die AfD. Die AfD missbraucht das Neutralitätsgebot als politische Waffe, um Lehrkräfte einzuschüchtern, demokratische Bildungsarbeit zu unterbinden und ihre eigenen rechtsextremen und verfassungswidrigen Positionen zu schützen. Die Reaktivierung von Meldeportalen, die Forderung nach Disziplinarmaßnahmen und die öffentliche Diffamierung von Lehrkräften sind Teil einer autoritären Strategie, die die Grundlagen der Demokratie und die Freiheit der Bildung massiv bedroht. Lehrkräfte dürfen und müssen sich dem entgegenstellen – im Sinne des Grundgesetzes und einer offenen, demokratischen Gesellschaft.