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Riesterrente – Weltrekordler oder unrentables Bürokratiemonster

Klaus Vater Von Klaus Vater
22. Juli 2021
Oma mit Geldscheinen - Symbolbild "Rente"

Auf  Weltrekorde sind die Deutschen nicht immer stolz. Es gibt einen Weltrekord, der nicht mal zur Kenntnis genommen wird. Den Träger des Rekords, den ich anspreche, hält man für verfehlt, für überbürokratisiert, als irgendwie aus der Welt gefallen. Der Grünen Finanzpolitiker Sven Giegold meinte, darauf angesprochen, ob dieser „Weltrekordler“ in Wirklichkeit nicht längst im Grabe liege: „Ja, sowieso.“

Sie werden gewiss geraten haben, um was es geht, nämlich um die Riesterrente, nach dem damaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester benannt, der in der ersten rot-grünen Koalition zwischen 1998 und 2002 eine staatlich geförderte, nicht obligatorische sondern freiwillige Zusatzrenten- Versicherung auf den Weg brachte. Mittlerweile haben 16,5 Millionen Menschen einen Vertrag über eine Riesterrente abgeschlossen. Das ist Weltrekord. Kein System dieser Art ist in der Welt weiter verbreitet als das mit dem Namen Riester. Seit 20 Jahren läuft dieses System, es wurde am 11. Mai 2001 aus der Taufe gehoben.

Riester ist ein Blítz-gescheiter Mann, er hatte als zweiter Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall neue Akzente in der Tarifpolitik gesetzt und damit die einflussreiche Arbeitnehmervertretung zurück in die Vorstellungswelt der Jüngeren in der Gesellschaft gebracht. Er hatte einen Weg vorgeschlagen, auf dem zeitweilige Branchenprobleme in die Tarifpolitik eingearbeitet werden konnten und auf dem den organisierten Beschäftigten verschiedene tariffähige Möglichkeiten zur Verfügung standen. Nicht vergessen: 1993 war durch die Bundesrepublik eine Strukturkrise wie eine Sense gefahren, die einige Hunderttausend Arbeitsplätze kostete, die nur deswegen an vielen Orten überwunden werden konnte, weil Betriebsräte eine Art Co-Management betrieben, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und dem Betrieb wieder  eine Perspektive zu verschaffen. Viele haben diesen Teil der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte vergessen. Riester tat das nie. 

Riester sah voraus, dass die Demografie der gesetzlichen Rentenversicherung über Jahrzehnte einen flacheren Anstieg der Zuwächse abverlangen würde. Die gesetzliche Rente lief also Gefahr,  ihre Funktion der Lebensstandard-Sicherung für Millionen Menschen zu verlieren. Für alle Versicherten hat sie diese Funktion übrigens nie gehabt. Auch das wusste Riester.

Die Jahre zwischen 1980 und 2002 waren auch von der Vorstellung geprägt, dass die alte gesetzliche Alterssicherung ohne Änderungen irgendwann die Last der wachsenden rechtlich verbindlichen Zusagen nicht mehr werde tragen können. Denn die Massenarbeitslosigkeit, das Verfallen der traditionellen Vollzeitbeschäftigung und die vorsichtige Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften senkten die Rentenkassen-Einnahmen. Riester wollte Antworten auf die Folgen der anhaltenden Arbeitskrise entwickeln.

Das tat er mit einer Zusatzversorgung, die die gesetzliche Rente nicht ersetzte, die aber Lücken der Alterssicherung  wegen flacher verlaufender Rentenerhöhungen schließen würde. Das war der Sinn. Sein Gesetzeswerk war freilich auf die Versicherungswirtschaft angewiesen, weil nur die bei Freiwilligkeit den Vertrieb organisieren konnte. Das ließ sich die Versicherungswirtschaft über Abschluss- und Verwaltungskosten gut bezahlen. 

Die Versicherungswirtschaft ist allein bereits durch ihr faktisches Gewicht nicht zu unterschätzen. Im vergangenen Jahr wies sie knapp 83 Millionen (!) Hauptversicherungen auf (dazu zählen auch die Riester-Verträge), also Renten-, Pensions-, Kapitalversicherungen und 22 Millionen Zusatzversicherungen, etwa Invaliden – und Unfallversicherungen, und das alles in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlichen Bedingungen. Die Deutschen sind ein schier unglaubliches Volk von Versicherungs-„Nehmern“. Die Hauptversicherungen sammelten 2020 über 93 Milliarden an Beiträgen ein.

Am besten schaut man sich an, was Riester heute leistet. Frau Dorothee Mustermann aus Alldorf im Allerweltstal „riestert“. Sie spart jedes Jahr vom Bruttoeinkommen vier Prozent an. Das Jahreseinkommen beträgt 40 000 €. Sie zieht zwei Kinder groß.

Vier Prozent machen 1600,00 € aus. Sie erhält von den anderen steuerzahlenden Menschen in der Republik  jährlich eine Zulage in Höhe von 175,00 €. Für ihre beiden nach 2008 geborenen Kinder bekommt sie zwei Mal eine Zulage in Höhe von 300,00 €. So hat damals die Bundesregierung die neue Zusatzrente schmackhaft gemacht. Über staatliche Zulagen. Die Förderung wurde mehrfach aufgestockt.

Die Rechnung:

Die jährliche Ansparsumme beträgt 1600,00 €. Davon gehen 175,00 € Zulage für sie und 600,00 € an Zulagen für die Kinder ab, Das ergibt eine Eigenleistung von 825,00 €. Frau „Mustermann“ zweigt also vom Einkommen jeden Monat 68 € und 75 Cent ab, um später eine zusätzliche Rente zu bekommen.

Was sie anspart wird garantiert, einschließlich der Zulagen. Das hat der Gesetzgeber festgelegt. Es unterliegt keiner Finanz- oder Bankenkrise. Und kompliziert ist der Vorgang auch nicht. Beim Banksparplan und ähnlichen Vertragsabschlüssen übernimmt die Sparkasse im Stadtteil den Zulagenantrag.

Von den 40 000 € Jahreseinkommen zahlt Frau Mustermann natürlich Rentenversicherungsbeiträge. Gegenwärtig 672 €, jeweils zur Hälfte als Arbeitnehmer- und als Arbeitgeberbeitrag. Diese Beiträge zählen zu Frau Mustermanns Eigentum.

Rentenversicherungsbeiträge und Riester- Beiträge einschließlich der Zulagen ergeben nach Ende der Lebensarbeitszeit von Frau  Mustermann deren Altersrenten.

Kritik an den Riester- Verträgen hat sich während der letzten Jahre verschärft, weil die Zinserträge auf solch Abschlüsse gesunken sind. Der Gesetzgeber hat im April des Jahres den Garantiezins für die Versicherungen auf 0,25 v.H. gesenkt. Damit wird es für die Versicherung unattraktiv, Riester-Verträge überhaupt anzubieten. Da sie Prämien und Zulagen zudem garantieren müssen, steigen Versicherungsgesellschaften aus dem Riester-Geschäft aus. Riester-Sparen ist folglich für jede Frau und jeden Mann etwas, die nicht auf hohe oder geringe Zinsen gucken, sondern mit der Zulage rechnen.

Ursprünglich hatte Walter Riester im Kopf, die Zusatzversorgung für alle Beschäftigten vorzuschreiben: eine echte Volksversicherung damit aufzubauen.  Das wurde damals nicht zuletzt von der Bild-Zeitung gestoppt. Es drohe Riesters „Zwangsrente“. Die Regierung Schröder-Fischer bekam kalte Füße. Zwar muss die Riester- Zusatzversorgung überarbeitet werden – und zwar in Richtung einer kapitalgedeckten Rente, die auf eine breite Verankerung im Aktienmarkt baut, aber bis dato ist traditionelles Riestern keineswegs falsch, wenn man es nicht mit falschen Erwartungen verbindet. Adam Riese würde heute gewiss „riestern“.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Michael Schwarzenberger, Pixabay License

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Tags: BeispielrechnungRenteRentenpolitikRentensystemRiesterrenteSoziale GerechtigkeitSozialpolitik
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Comments 1

  1. Kai Ruhsert says:
    4 Jahren ago

    Für den Einzelnen kann Riestern sich durchaus lohnen.
    Wer die Riester-Rente jedoch einmal aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive kritisch betrachten möchte, kann sich über die Hintergründe z.B. hier informieren: https://peaceful-spence.217-160-25-183.plesk.page/zur-rentenpanikmache-eine-oelquelle-ist-angebohrt-sie-ist-riesig-gross-und-sie-wird-sprudeln/

    Antworten

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