EU-Komission

Rückenwind für von der Leyen ist keine Erfolgsgarantie

Die Mehrheit für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist beeindruckend. Nie zuvor hat es im Europäischen Parlament soviel Zuspruch für die europäische Spitzenpersonalie gegeben. Das liegt kaum daran, dass es erstmals eine Frau und nach mehr als einem halben Jahrhundert eine Deutsche ist. Vielmehr sind es unterschiedliche nationale und auch widerstreitende Interessen, die sich auf die 61-Jährige und ihr Kollegium richten. Es wird mühsam werden, die großen Versprechen und die noch größeren Erwartungen zu erfüllen.

Nach ihrem holprigen Start hat von der Leyen einen satten Vertrauensvorschuss erhalten. 461 Ja- und 157 Nein-Stimmen bei 89 Enthaltungen vor allem von den Grünen sind ein ermutigendes Ergebnis für die ehrgeizige Christdemokratin, die nicht weniger als einen Neustart Europas ankündigt. Allerdings darf daran erinnert werden, dass sie schon ihre ersten Versprechen nicht eingelöst hat.

Das Kollegium ist nicht zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt; es startet einen Monat verspätet, weil gleich drei Anwärter im Parlament durchfielen; es hat mit den Kommissaren aus Frankreich und Ungarn mindestens zwei Mitglieder an entscheidenden Stellen, deren Eignung fraglich ist; und es hat keinen britischen Kommissar, obwohl Großbritannien noch mindestens bis Ende Januar ordentliches EU-Mitglied ist.

Das ist zwar vor allem dem britischen Premierminister Boris Johnson zur Last zu legen, der sich weigerte, im Vorfeld der Unterhauswahlen eine Kandidatin zu benennen. Doch es zeugt durchaus von mangelnder Durchsetzungskraft der Kommissionspräsidentin, die nun mit dem Risiko leben muss, dass Brüsseler Entscheidungen anfechtbar sind. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen London bietet jedenfalls keinen verlässlichen Schutz vor möglichen Klagen. Von der Leyens Appell „Machen wir uns an die Arbeit“, wird allein dadurch gebremst.

Gleich mit ihrer ersten Auslandsreise sucht sie die Bühne der Welt. In Madrid spricht sie zum Auftakt der UN-Klimakonferenz und damit zu ihrem selbstgewählten Megathema. Mit der Resolution zum Klimanotstand hat das Europäische Parlament ihr Rückenwind gegeben. Von der Leyen reklamiert eine globale Vorreiterrolle für Europa und propagiert mit ihrem „Green Deal“ strengere CO2-Einsparungen, die zu weltweiten Standards werden sollen.

Europa ist nicht genug. An vielen Stellen richtet von der Leyen ihren Blick auf die Welt. „Ein stärkeres Europa bedeutet unterm Strich eine bessere Welt“, sagt sie und spricht von Europas „Berufung“, eine bessere Weltordnung zu gestalten.
Globale Führung strebt sie sogar bei der Digitalisierung an, bei der Europa doch seit Jahren von China und den USA abgehängt ist.

So wohltönend die visionären Ambitionen nach außen auch klingen mögen, so drängend sind die praktischen Konflikte im Innern. Noch ist wenig Konkretes zu hören, wie die Blockaden bei der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik überwunden, wie die Widerstände gegen ehrgeizigere Klimaschutzvorschriften gebrochen werden können. Und dann stehen noch die Reformpläne für die EU auf der Tagesordnung, mit denen es seit Jahren nicht vorangeht. Das Abstimmungsergebnis im Europäischen Parlament schmeichelt Ursula von der Leyen. Handfeste Erfolge garantiert es nicht.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Jai79 , Pixabay License

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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